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Historische Fundstücke zur Dohle
Plinius berichtet, die Dohle habe die Menschen die Fertigkeit des Getreideanbaus gelehrt. Sie sei so klug, dass sie die Reste von Getreide, die sie nicht fressen könne, in der Erde verstecke und im folgenden Jahr die inzwischen gewachsenen Ähren einsammle. Die Menschen hätten dieses Verhalten beobachtet und dann begonnen, auch Samen in die Erde zu legen – die Erfindung des Ackerbaus.
Bei den Thessaliern und Illyriern wurden laut Aelian (170-235 n.Chr.) Dohlen in der biologischen Schädlingsbekämpfung eingesetzt. Sie fraßen die Eier der Heuschrecken und vernichteten so die Nachkommenschaft der Insekten, die den Feldfrüchten der genannten Völker Schaden zufügten. Für die Verminderung der Heuschreckenschwärme – und zum Anlocken der Vögel – bedankte man sich mit öffentlichen Fütterungen.
Die Dohle ist schon Thema antiker Sagen. In den Metamorphosen des Ovid lesen wir von einer Frau namens Arne, die gegen Gold die Kykladeninsel Siphnos an Minos, den König von Kreta, verriet. Nachdem sie das Gold erhalten hatte, wurde sie in den Vogel verwandelt, der auch jetzt noch das Gold liebt, die schwarzfüßige, in schwarze Federn gekleidete Dohle. Die Sage bezieht sich auf die ebenfalls bereits in der Antike beobachtete Vorliebe der Dohle für glänzende Gegenstände. So hält Cicero in einer Rede seinem Prozessgegner vor, man dürfe ihm nicht mehr Gold anvertrauen als einer Dohle. Eine weitere Eigenschaft der Dohle, ihre „Schwatzhaftigkeit“, gab den Menschen des Mittelalters Anlass für allegorische Deutungen. Ihr Verhalten galt als Sinnbild für das leere Gerede der Philosophen oder für den verderblichen Wortschwall der Irrlehrer.
Der mittelalterliche Gelehrte Thomas von Cantimpré (1201-1270) spricht als erster von der Fähigkeit der Dohle, menschliche Stimmen nachzuahmen. Sie werde darin annähernd perfekt, wenn man sie schon im Kükenstadium unterrichte, und besonders in den Morgenstunden lerne sie begierig und nachhaltig. Diese Eigenschaft wird noch von Friedrich Naumann gerühmt, der im 19. Jahrhundert in seiner „Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas“ schreibt: „Wenn man sie jung aus dem Neste nimmt, sie mit Brot, Semmel, Insekten füttert, lernen sie verschiedene Worte ziemlich deutlich nachsprechen und vergnügen durch ihr Betragen, indem sie viel Verstand und Klugheit verraten, ganz ungemein.“ Im selben Kapitel steht allerdings auch: „Ihr Fleisch schmeckt gut, besonders wenn sie jung sind; viele essen es mit Appetit, viele aber nicht. Da es dem Fleisch der jungen Tauben gleich kommen soll, so soll dies zuweilen von betrügerischen Gastwirten benutzt werden.“
Der Grieche Äsop überliefert uns eine Fabel, in der die Dohle eine unrühmliche Rolle spielt. Göttervater Zeus wollte den Vögeln einen König geben und „setzte einen Tag fest, an dem sie vor ihm erscheinen sollten, damit er den schönsten von ihnen zum König einsetzen könnte. Dann versammelten sich die Vögel am Ufer eines Flusses, um sich zu säubern. Die Dohle, die sich ihrer Hässlichkeit bewusst war, machte sich daran, die Federn, die den anderen Vögeln ausgefallen waren, aufzusammeln. Sie verteilte die Federn auf ihrem Körper und befestigte sie. Auf diese Weise gelang es ihr, schöner zu werden als alle anderen Vögel. Der festgesetzte Tag kam, und alle Vögel erschienen vor Zeus. Auch die Dohle präsentierte sich, geschmückt mit Federn von jeder Farbe, und Zeus wollte sie schon wegen ihres glänzenden Aussehens zum König erklären, als ihr die entrüsteten anderen Vögel die jeweils eigenen Federn entrissen. So wurde die Dohle, entblößt, wieder zur Dohle.“
Als Moral fügt der antike Schriftsteller hinzu: „Dieses geschieht auch denen, die von Schulden leben: Solange sie das Geld der anderen haben, scheinen sie jemand zu sein; aber wenn sie es zurückbezahlt haben, sind sie wieder die, die sie vorher waren.“ Die deutsche Redewendung „sich mit fremden Federn schmücken“ geht auf diese Fabel zurück.
Karl Wilhelm Beichert