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Die Dohle ist „Vogel des Jahres“ 2012
Während ich im Klosterhof stehe, kreist über mir eine Schar Dohlen am blauen Himmel und ruft unentwegt munter „kjakk-kjakk“. Woran es wohl liegen mag, dass „des Pastors schwarze Tauben“ weit weniger in der Kritik und – im wahrsten Wortsinn – in der Schusslinie stehen als ihre Verwandten Elster, Krähe und Eichelhäher?
Die Dohle ist vielleicht der attraktivste und sympathischste unter den Rabenvögeln. Mit 32 Zentimetern Körperlänge und 65 Zentimetern Flügelspannweite ist sie vergleichsweise klein. Bei ihr verbinden sich mitreißende Verhaltensweisen und ein attraktives Äußeres. Dohlen haben ein schwarzes, in der Sonne grün-blau schimmerndes Gefieder mit kontrastreichen samtgrauen Ohrdecken und Hinterkopf. Die Krönung ist die hellgraue, in der Jugend blaue Iris. Zurecht gelten Dohlen als „Rabenvögel mit dem Silberblick“ – ihm kann man sich nur schwerlich entziehen.
Fröhliche Rufe
Natürlich sind Dohlen umtriebig, keck, neugierig, etwas vorwitzig und haben etwas Lustiges, Clowneskes. Untermalt wird das Verhalten mit dem hellen, weit hörbaren „kja“ oder „jack“, das ihr im Englischen den lautmalerischen Artnamen „Jackdaw“ einbrachte. Dohlenrufe klingen fröhlich, kein Vergleich zum Krähen-Gekrächze oder Elstern-Schackern. Genaues Hinhören lohnt sich allerdings bei allen Rabenvögeln: Neben den lauten und eher unbeliebten Rufen sind sie auch leise geschwätzig und verfügen über ein bezauberndes Repertoire sowie die faszinierende Fähigkeit, Geräusche und Vogelstimmen zu imitieren. Mit diesen oft verkannten Stimmqualitäten zählen Rabenvögel durchaus berechtigt zu den Singvögeln.
Mit den Lautäußerungen ist sicher auch die Wahrnehmung der Rabenvögel verbunden: Wer lauthals ruft, wird leichter bemerkt. So fallen Elstern und Krähen auch wegen der lauten Rufe auf, besonders wenn sie in Gruppen oder Schwärmen unterwegs sind. Selbst an Vögeln Uninteressierte bemerken sie, während Dohlen eher unbeachtet oder in großen Krähenschwärmen unentdeckt bleiben.
Immer hoch hinaus
Beeindruckt schweift mein Blick über die dicken Klostermauern. Dohlen sind Kirchgänger. Während die anderen Schwarzen draußen in der Fläche leben und dank vielfältiger Nistplatzangebote und Wohlstandabfällen erfolgreich Siedlungen bewohnen, sind die „Turmdohlen“, wie sie auch genannt werden, spezialisiert und auf hohe Bauwerke konzentriert.
Von ursprünglichen Steppenbewohnern und Höhlenbrütern wurden Dohlen zu Kulturfolgern. Gerne nutzen sie große Bauwerke, in denen sie zu mehreren brüten, denn sie sind Koloniebrüter. Außerdem begrenzen die Rahmenbedingungen ihre Verbreitung. Zum geeigneten Brutgebäude muss es ergiebige Nahrungsgründe geben. Nur in dieser Kombination brüten Dohlen dauerhaft erfolgreich: Viel Grünland, viele Dohlen.
Forschungsobjekt Dohle
Ihre Popularität verdanken Dohlen auch einer besonderen „Adelung“ als Forschungsobjekt. Fast jeder von uns hat im Biologie-Unterricht von ihrem Sozialleben gehört. Untrennbar ist die Vogelart mit dem Verhaltensforscher und Nobelpreisträger Konrad Lorenz verbunden, der als junger Wissenschaftler bereits 1926 – und damit lange vor den berühmt gewordenen Graugänsen – seine erste zahme Dohle zu studieren begann. Lorenz entdeckte bei den Dohlen die für im Gruppenzusammenleben sinnvolle Einrichtung einer Rangordnung, die ranghohen Vögeln mehr Rechte gewährt, aber auch große Pflichten aufbürdet. Und nicht die stärkste, verwegenste Dohle wird Schwarm-Chef, sondern die Erfahrenste. Weibchen können durch Heirat sozial aufsteigen, wenn sie ein ranghohes Männchen wählen – sicher ein gutes Fundament für die bei Dohlen übliche lebenslange Partnerschaft.
Auf dem Klosterkirchendach haben sich zwei Dohlen niedergelassen, wohl ein „Ehepaar“ der hiesigen Kolonie. Liebevoll beginnen sie zu schnäbeln, putzen sich gegenseitig das Gefieder und starten zu einem formvollendeten Synchronflug über den Klosterhof. Diese intensive Beziehung und Bindung der Vögel berührt uns. Dohlenpartner machen alles gemeinsam und gerne synchron: putzen, fliegen, hüpfen, Nistmaterial beschaffen. Im Familienleben sind Dohlen und andere Rabenvögel alles andere als „Rabeneltern“, sondern fürsorglich und aufopfernd. Dieser Einsatz ist auch erforderlich, denn Rabenvögel haben nur eine Brut pro Jahr, und für die geben sie alles. Dennoch bringen nicht wenige Dohlenpaare aus einem Gelege mit vier bis sechs Eiern nur einen Jungvogel zum Ausfliegen.
Insektenreiche Wiesen gesucht
Weitgehend verborgen bleibt uns das Brutgeschäft der Dohlen. Ihre Brutplätze liegen schwer zugänglich in luftigen Höhen. Die Vögel brüten traditionell in Mauernischen, Kaminen, Dachstühlen und Schächten von Kirchen, alten Fabriken, Schlössern, Ruinen oder großen Brücken. Manche wählen Felswände in Steinbrüchen oder an Steilküsten, Kaninchenbauten in Dünen oder Schwarzspechthöhlen in Eichen- und Buchenwäldern.
Will man Dohlen ansiedeln, funktioniert das nur im Komplettpaket von Nistplätzen und passendem Grünland. Nisthilfen lassen sich mit wenig Aufwand schaffen. Zwingend zum Gelingen ist allerdings giftfreies, insektenreiches Grünland in ausreichender Ausdehnung und idealerweise maximal einen halben Kilometer Luftlinie vom Brutplatz entfernt. Mit 100.000 Brutpaaren sind Dohlen in Deutschland zwar nicht generell bedroht, aber trotz ihrer Flexibilität und Anpassungsfähigkeit vielerorts hilfsbedürftig. Brutplatzmangel und Nahrungsverknappung führten zu regionalen Rückgängen und brachten Dohlen in einigen Bundesländern auf die Rote Liste.
Vorsichtige Neugier
Das Faszinierendste an der Dohle und ihrer Verwandtschaft sind ihre beeindruckenden kognitiven Leistungen. Forscher zählen Rabenvögel zu den intelligentesten Vögeln und stellen sie in eine Reihe mit Affen und Delfinen. Ausgeprägte Neugier, gepaart mit einer gehörigen Portion Vorsicht, lässt Rabenvögel ihre Umwelt erforschen und entdecken. Schnelle Auffassungsgabe und Lernfähigkeit versetzen sie in die Lage, Einsicht in Zusammenhänge zu gewinnen, Probleme zu lösen und flexibel zu reagieren.
Gerade beim Nahrungserwerb sind diese Eigenschaften wichtig. Man kooperiert im Schwarm gegen Konkurrenten. Manche Vögel entwickeln individuelle Techniken, die von den Kollegen beobachtet, kopiert und weiter vererbt werden: Dohlen weichen hartes Futter in Wasser ein, öffnen Kastanien durch gezieltes Abwerfen auf harten Grund, kontrollieren systematisch Futterquellen wie Abfalleimer, Komposthaufen und Hühnerställe, spezialisieren sich als „Feinschmecker“ auf Spatzenbruten und legen clevere Nahrungsverstecke an. Dohlen erkennen untereinander individuell und haben ein Zahlenverständnis bis sieben. Andere Rabenvögel gebrauchen Werkzeuge und sind sogar in der Lage sie selbst herzustellen. Mit Dohlen und den Rabenvögeln begegnet uns jedenfalls gefiederte Intelligenz auf höchstem Niveau.
Stefan Bosch