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Der Blaue Engel wird 30
Vorbei sind die Zeiten, als den Bundesbürgern beim Stichwort "Blauer Engel" nur Marlene Dietrich einfiel. 30 Jahre nach seiner Einführung kennen vier von fünf Deutschen das Gütesiegel für einen umwelt- und gesundheitsbewussten Einkauf. Im Dickicht der Produktvielfalt soll der Blaue Engel dem Konsumenten eine rasche Orientierung ermöglichen, sei es bei der Suche nach recyceltem Klopapier, schadstoffarmen Lacken oder einem besonders leisen Rasenmäher. Selbst Flugzeugenteisungsanlagen und Schiffsbetriebe, die ihre Abfälle geregelt entsorgen, schmückt das Umweltzeichen für den ökologisch korrekten Einkauf inzwischen.
Rund 10.000 Waren und Dienstleistungen aus 80 Produktgruppen dürfen mit dem Blauen Engel für sich werben. Ob ein Produkt den vom Umweltbundesamt entwickelten Kriterien genügt, entscheidet eine unabhängige Jury, die mit Vertretern aus Umwelt- und Verbraucherverbänden, Gewerkschaften, Industrie, Handel, Handwerk, Kommunen, Wissenschaft, Medien, Kirchen und den Bundesländern besetzt ist.
Nicht nur Beifall
Erste Bekanntheit erlangte der Blaue Engel Ende der 1970er Jahre in der Diskussion um das in Spraydosen verwendete Treibmittel Flourchlorkohlenwasserstoff (FCKW), das maßgeblich zur Schädigung der Ozonschicht beitrug. Die ersten Umweltzeichen auf FCKW-freien Spraydosen setzten nicht nur Hersteller, die wider besseres Wissen an dem schädlichen Treibgas festhielten, unter Handlungsdruck. Auch die Politik, die zunächst ein FCKW-Verbot ablehnte, reagierte schließlich: 1989 wurde FCKW in Spraydosen auch offiziell verboten. Nach dem Prinzip des sanften Zwangs zur ökologischen Innovation funktioniert der Blaue Engel bis heute. Die Erfolge scheinen den Initiatoren recht zu geben, sei es beim Einsatz für asbestfreie Brems- und Kupplungsbeläge oder für Heizungsanlagen, die weniger Schadstoffe in die Luft blasen.
Der Blaue Engel ist war weltweit erste Umweltzeichen. Nur die aus Umweltsicht besten Waren und Dienstleistungen einer Produktgruppe erhalten den Blauen Engel. Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit garantieren die Jury Umweltzeichen, das Bundesumweltministerium, das Umweltbundesamt und die RAL gGmbH. Mitglieder der Jury Umweltzeichen sind BDI, BUND, DGB, HDE, NABU, vzbv, ZDH, Stiftung Warentest, Medien, Kirchen, Wissenschaft, der Deutsche Städtetag und Vertreter von zwei Bundesländern.
Doch der Blaue Engel erhielt in seiner 30-jährigen Geschichte nicht nur Beifall. Selbst Umwelt- und Verbraucherschützer sparen bisweilen nicht mit Kritik. Anfang der 1990er Jahre entdeckten schwedische Naturschutzbehörden, dass lösemittelfreie und -reduzierte Farben, die in Deutschland den Blauen Engel erhalten hatten, ein ernstes Problem in Kläranlagen darstellten. Gelangten die in den Farbresten enthaltenen Konservierungsmittel ins Abwasser, töteten sie die Mikroorganismen in den Klärgruben ab. Das Verbrauchermagazin Öko-Test schließlich mochte 1994 von 33 getesteten Lackfarben für den Heimwerkerbedarf, darunter 26 mit dem Blauen Engel, nur vier als uneingeschränkt empfehlenswert einstufen - eines davon übrigens das des NABU-Partners Auro.
Nicht allumfassend
Kritiker bemängelten, dass das Umweltzeichen keine Garantie für umfassende Umweltfreundlichkeit sei, sondern bereits vergeben werde, wenn ein Produkt über eine besonders umweltverträgliche Eigenschaft verfüge, in anderen Bereichen aber weniger gut abschneide. Moniert wurde außerdem, dass der Blaue Engel dem Verbraucher keine Informationen an die Hand gibt, welches von zwei zertifizierten Produkten das umweltfreundlichere ist.
Aus der Kritik hat man gelernt. Inzwischen müssen Produkte, die den Blauen Engel tragen, ihre Umweltfreundlichkeit unter mehr als nur einem Gesichtspunkt unter Beweis stellen. In die Bewertung fließen neben der geringen Belastung für Umwelt und Gesundheit durch schädliche Substanzen auch Aspekte wie die ressourcenschonende Herstellung, Nutzung und Entsorgung ein. Experten wie Dr. Frieder Rubik vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) in Heidelberg plädieren jedoch dafür, die Zahl der Anforderungskriterien gerade bei komplexen Produkten wie etwa einem Fernsehgerät nicht zu hoch zu schrauben: "Um das Label für die Hersteller anwendbar zu machen, ist es sinnvoll, sich auf einige wichtige Merkmale zu beschränken."
Letztendlich bleibt es jedem Hersteller selbst überlassen, ob er seine Produkte mit dem Blauen Engel zertifizieren lässt. So boykottiert das Gros der Handy-Produzenten den Blauen Engel. Nur ein Hersteller wirbt bislang mit dem Gütesiegel für ein spezielles Kinder-Handy. Der Rest befürchtet wohl, durch den Hinweis "Blauer Engel, weil strahlungsarm" eine Diskussion loszutreten, die man vermeiden will. Obwohl ihre Wasch- und Spülmaschinen die Vergabekriterien erfüllen würden, bewerben sich auch Markenhersteller von Haushaltsgeräten nicht um das Zeichen. Die Großen der Branche wollen nicht mit den No-name-Produkten in einen Topf geworfen werden, die auch den Blauen Engel tragen.
Zahlreiche Nachfolger
Längst hat der Blaue Engel Konkurrenz durch andere Öko-Siegel bekommen. Holz aus nachhaltiger Forstwirtschaft wird mit dem FSC-Zeichen beworben, das Öko-Tex-Siegel steht für schonend gefärbte Kleidung. Auch Baugewerbe, Teppichindustrie und Ökostromanbieter warten mit eigenen Zeichen auf. Anfang der 1990er Jahre hat die Europäische Union (EU) ein Umweltzeichen eingeführt. Die Vielzahl der Zeichen könnte einer der Gründe dafür sein, dass sich nur noch 38 Prozent der Deutschen bei ihrer Kaufentscheidung durch den Blauen Engel leiten lassen. Besonders stark an Boden verloren hat das Siegel laut Bundesumweltministerium bei der jüngeren Generation.
Grund genug, die Hände nicht in den Schoß zu legen. Angesichts der aktuellen Debatten um Klimaerwärmung und steigenden Rohstoffverbrauch hat sich die Jury Umweltzeichen für die nächsten Jahre das Thema Nachhaltigkeit auf die Fahnen geschrieben. Der Blaue Engel soll künftig verstärkt Produkte und Dienstleistungen auszeichnen, die besonders wenig Rohstoffe verbrauchen, in hohem Maße klimafreundlich sind und auf erneuerbare Energien setzen.
Werner Girgert