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Interview der AGRA-EUROPE mit dem NABU-Präsidenten Jörg-Andreas Krüger
AGRA-EUROPE 16/LÄNDERBERICHTE 20, 14. April 2020
Konsequenzen für die künftige Ausrichtung der Land- und Ernährungswirtschaft fordert der Präsident vom Naturschutzbund Deutschland (NABU), Jörg-Andreas Krüger, aus der gegenwärtigen Corona-Krise. „Aus ökologischer Sicht spricht vieles für möglichst regionale Wirtschaftskreisläufe und kurze Lieferketten“, sagt Krüger im Interview mit AGRAEUROPE.
Für ihn ist das gleichbedeutend mit einer Abkehr vom bisherigen Credo der weltmarktorientierten deutschen Landwirtschaft. Der NABU-Präsident widerspricht der Einschätzung, dass die Agrarumweltdiskussion künftig an Bedeutung verlieren könnte: „Der gesellschaftliche Wunsch nach einer
naturverträglicheren und tierfreundlicheren Landwirtschaft wird nach der Corona-Krise nicht verschwunden sein.“ Vertagen und Nichtstun seien keine Optionen.
Krüger spricht sich gegen eine flächendeckende Extensivierung der Landwirtschaft aus, betont aber die Notwendigkeit von Schutzgebieten in der Agrarlandschaft. Verständnis äußert er für die von landwirtschaftlicher Seite vorgebrachte Kritik am Aktionsprogramm Insektenschutz. „Freiwilligkeit sorgt für Akzeptanz“, erklärt der NABU-Präsident. Er könne sich vorstellen, dass ein Verbot einzelner Wirkstoffe auf einzelne Kernflächen von Schutzgebieten beschränkt werde, darüber hinaus jedoch verstärkt kooperative Ansätze zum Tragen kommen.
Es gibt nicht die Landwirtschaft
Krüger betont die Dialogbereitschaft des NABU insbesondere in Richtung des Deutschen Bauernverbandes (DBV) als wichtigste Interessenvertretung der Landwirtschaft und Hauptansprechpartner auf Berliner Ebene. „Der Dialog hat begonnen, und wir werden ihn fortsetzen“, kündigt der Verbandspräsident an und bescheinigt dem DBV „vielfältige konzeptionelle Grundlagen im Agrarumweltbereich“.
Als Markenkern des NABU im Vergleich zu anderen Umweltverbänden sieht Krüger dessen Verankerung vor allem in den ländlichen Gebieten. Daher werde man den Diskurs über die künftige Gestaltung der Agrarpolitik stärker in die Regionen tragen, weil dort die Lösungen gefunden werden müssten: „Wer immer nur von der Landwirtschaft redet, wird den tatsächlichen Verhältnissen nicht gerecht.“
Nicht entscheidend für den Erfolg im Naturschutz sei die Betriebsgröße: „Naturschutz kann in ostdeutschen Regionen, die von Großbetrieben geprägt sind, ebenso gut laufen wie in Mittelgebirgsregionen mit kleinbetrieblicher Agrarstruktur.“
Das Interview im Wortlaut
Der Präsident des Naturschutzbund Deutschland (NABU), Jörg-Andreas Krüger, über die Folgen der Corona-Krise für die künftige Ausrichtung der Landwirtschaft, die Vorzüge von kooperativen Ansätzen und den Markenkern des NABU:
Vertagen oder Nichtstun sind keine Optionen.
AGRA-EUROPE: Wie hat sich der größte deutsche Umweltverband auf die Corona-Krise eingestellt?
Krüger: Bundesweit sind alle unsere Zentren geschlossen, alle NABU-Veranstaltungen und Naturführungen sind abgesagt. Unsere Mitarbeitenden arbeiten im Homeoffice. So gut es geht betreiben wir auch weiter unseren praktischen Naturschutz, etwa bei der Betreuung von Krötenzäunen entlang von Straßen.
AGRA-EUROPE: Was bedeutet die Corona-Krise für die inhaltliche Arbeit des NABU?
Krüger: Auch wenn die Corona-Krise aktuell zu Recht alles dominiert: Die weiteren globalen Krisen, der Klimawandel und das Artensterben, sind nicht gelöst und müssen wirksamer als bisher bekämpft werden. Im Rahmen von Konjunkturprogrammen soll jetzt viel Geld ausgeben werden - möglicherweise so viel wie nie zuvor. Dieses Geld muss klug investiert werden, in sichere Arbeitsplätze, neue Technologien und Wirtschaftsweisen, die zum Klima- und Naturschutz beitragen. Keinesfalls dürfen diese Investitionen dazu führen, dass Rückschritte beim Klima- und Naturschutz die Folge sind. Das gilt auch für den Agrar- und Ernährungssektor.
AGRA-EUROPE: Die Bundesregierung hat die Landwirtschaft als systemrelevant eingestuft. Muss die Politik künftig stärker Wert auf die Produktion am Standort Deutschland legen?
Krüger: Ja, diese Diskussion ist überfällig. Wir müssen darüber reden: Welchen Fokus sollte die Landwirtschaft haben? Wie können wir die Risiken globaler Lieferketten reduzieren? Aus ökologischer Sicht spricht vieles für möglichst regionale Wirtschaftskreisläufe und kurze Lieferketten. Das entspricht aber nicht dem bisherigen Credo der weltmarktorientierten deutschen Landwirtschaft, die beispielsweise Schweinefleisch - auch zu
Lasten unserer Ökosysteme - für den Weltmarkt produziert.
Gleichzeitig ist globale Zusammenarbeit unverzichtbar, um Krisen zu bewältigen. Künftig wird es stärker als bisher darauf ankommen, globale Lieferketten mit wirksamen Sozial- und Umweltstandards zu verknüpfen.
AGRA-EUROPE: Verlieren Forderungen von Umwelt- und Naturschutzverbänden an die künftige Ausrichtung der Landwirtschaft in Folge der Corona-Krise mittel- und langfristig an Gewicht?
Krüger: Das erwarte ich nicht. Denn die Klimakrise, Überdüngung von Gewässern, der Verlust von Landschaftsstrukturen, das Verschwinden vieler Vögel und Insekten – all das passiert weiter vor unserer Haustür. Auch der gesellschaftliche Wunsch nach einer naturverträglicheren und tierfreundlicheren Landwirtschaft wird nach der Corona-Krise nicht verschwunden sein.
Vertagen oder Nichtstun sind keine Optionen. Die aktuelle Situation zeigt deutlich, wie anfällig unsere Art des Lebens und Wirtschaftens sind. Und wie wichtig es ist, den Warnungen der Wissenschaft zu folgen und möglichst frühzeitig zu handeln.
Der Dialog hat begonnen und wir werden ihn fortsetzen.
AGRA-EUROPE: Der Unmut vieler Bauern richtete sich zuletzt auch gegen die Umweltverbände, wie die Demonstrationen der vergangenen Monate gezeigt haben. Ist dem NABU im Zweifel eine Feldhamsterkolonie wichtiger als die Existenz von bäuerlichen Betrieben?
Krüger: Nein. Mit Verlaub, die Frage ist eine unzulässige Verkürzung der Debatte.
AGRA-EUROPE: Tatsache ist jedoch, dass der Ton zwischen berufsständischen Verbänden und Umweltverbänden rauer geworden ist. Welchen Anteil hat die Umweltseite daran?
Krüger: Es gibt Beispiele, dass in der Diskussion hier und da überzogen wurde, und zwar von beiden Seiten, also von Umweltverbänden genauso wie vom Bauernverband und anderen.
In einer zugespitzten Debatte kommt es vor, dass über das Ziel hinausgeschossen wird. Da haben alle Fehler gemacht, wir auch. Ich bin für eine Auseinandersetzung in der Sache, die auch hart geführt wird. Polemik und persönliche Angriffe sollten aber unterbleiben.
AGRA-EUROPE: Diese Auseinandersetzung gibt es seit langem. Warum, glauben Sie, hat sie an Schärfe zugenommen, wie die Proteste gezeigt haben?
Krüger: Ich bin seit den achtziger Jahren im Natur- und Umweltschutz aktiv. Fast genauso lange reden wir über Artenrückgang in der Agrarlandschaft, zum Beispiel von Kiebitz und Feldlerche. Wir beklagen eine Strukturverarmung in der Feldflur und kritisieren den Umbruch von Grünland. Diese Themen sind mittlerweile in der Gesellschaft angekommen. Dort wird erkannt, dass keines der Probleme gelöst ist, vom Artenrückgang bis zum Grundwasserschutz. Immer mehr Menschen signalisieren der Politik, dass es so nicht mehr weitergehen kann.
AGRA-EUROPE: Auch in der Landwirtschaft sind diese Probleme längst präsent. Die Bereitschaft, Naturschutzleistungen zu erbringen, ist stetig gewachsen. Umso überraschender, dass es jetzt eskaliert.
Krüger: Der Druck auf die Landwirtschaft hat zugenommen. Denken Sie an das Insektensterben, das weite Teile der Bevölkerung bewegt, wie das Volksbegehren in Bayern mit knapp 1,8 Millionen Unterschriften eindrucksvoll gezeigt hat. Eine der Botschaften lautet: Wir wollen nicht mehr diese Art von Landwirtschaft, die uns das Insektensterben und den Verlust an Biodiversität beschert. Die Politik greift das auf und verlangt Änderungen. Aus unserer Sicht ist das längst überfällig und geht nicht weit genug. Aber immerhin, es tut sich was.
AGRA-EUROPE: Viele Landwirte haben den Eindruck, sie allein würden für das Insektensterben verantwortlich gemacht. Wird die öffentliche Debatte verkürzt geführt?
Krüger: Dass dies so wahrgenommen wird, kann ich nachvollziehen. Ein Grund ist sicher, dass die Landwirtschaft insgesamt zuletzt viel stärker in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt ist, da sie Haupttreiber für den Naturverlust in Europa ist. Tatsache ist aber auch, dass die Diskussionen um Lichtverschmutzung und den Pestizideinsatz in Privatgärten weiter intensiv geführt werden. Dass wir beim Stopp des Insektensterbens sehr schnell zu Ergebnissen kommen müssen, steht außer Frage.
AGRA-EUROPE: Ist der Insektenschutz für die Umweltverbände der Einstieg in den Ausstieg aus dem chemischen Pflanzenschutz?
Krüger: Das Aktionsprogramm Insektenschutz der Bundesregierung kann ein Einstieg in die Reduzierung sein, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Wir brauchen eine intensive und detaillierte Diskussion über die ökologischen Auswirkungen bestimmter Insektizide und Herbizide, aber auch von Fungiziden. Da müssen wir uns die einzelnen Wirkstoffe anschauen und gegebenenfalls bestimmte Stoffe verbieten.
AGRA-EUROPE: Will der NABU langfristig raus aus dem chemischen Pflanzenschutz?
Krüger: Dazu gibt es noch keine abgestimmte Verbandsposition.
AGRA-EUROPE: Was sagt der Präsident?
Krüger: Der Präsident tritt dafür ein, den Einsatz chemischsynthetischer Mittel kontinuierlich und so gut es geht zurückzufahren. Ich wäre schon mal zufrieden, wenn Deutschland sich endlich konsequent auf den Weg des Integrierten Pflanzenschutzes begeben würde. Es geht nicht darum, bestimmte Mittel zu verbieten und dann zu schauen, was herauskommt. Vielmehr brauchen wir grundsätzliche Veränderungen im Pflanzenbau, etwa erweiterte und neue Fruchtfolgen, marktfähige Produkte. Dafür ist es notwendig, dass wir rauskommen aus dieser Debatte „ich will dir was verbieten und du willst mir was wegnehmen“.
AGRA-EUROPE: Sie haben nach Ihrer Wahl im November vergangenen Jahres angekündigt, den Dialog mit Landwirten zu suchen. Was ist daraus geworden?
Krüger: Es hat seither einige Treffen mit Vertretern der Landwirtschaft gegeben, und zwar sowohl vom Deutschen Bauernverband als auch von Land schafft Verbindung. Der Dialog hat begonnen und wir werden ihn fortsetzen.
AGRA-EUROPE: Ihr Vorgänger im Präsidentenamt hat wiederholt beklagt, dass es keinen Austausch mit dem Bauernverband auf der Spitzenebene gebe. Gilt das noch?
Krüger: Ich habe mich auf der Grünen Woche mit Herrn Rukwied zu einem Kennenlerngespräch getroffen. Ich gehe davon aus, dass es nicht bei einem einmaligen Treffen bleiben wird.
AGRA-EUROPE: Wie wichtig ist Ihnen der Bauernverband als Gesprächspartner?
Krüger: Der Bauernverband ist als wichtigste Interessenvertretung der Landwirtschaft einer unserer Hauptansprechpartner auf Berliner Ebene. Das gilt für den politischen Austausch ebenso wie für den fachlichen. Wir erkennen an, dass der DBV auch im Agrarumweltbereich vielfältige konzeptionelle Grundlagen erarbeitet hat.
AGRA-EUROPE: Dennoch ist der Eindruck entstanden, dass sich Landwirte und Naturschützer vor Ort leichter im Umgang miteinander tun als die Spitzenvertreter auf dem Berliner Parkett. Zu Recht?
Krüger: Ja, das ist so. Davon zeugt eine Vielzahl von gemeinsamen Aktionen wie das Anlegen und Pflegen von Biotopen, Saumstrukturen und vielem anderem, um dem Artenrückgang etwas entgegenzusetzen. Das ist allerdings auch leichter als sich in Berlin auf eine andere Agrarpolitik zu verständigen. Aber richtig ist: Naturschützer und Landwirte gehen in der Regel unverkrampfter miteinander um als deren Interessenverbände.
AGRA-EUROPE: Wie halten Sie es mit Land schafft Verbindung, deren Vertreter in der Agrarumweltpolitik zum Teil eine sehr strikte Linie verfolgen?
Krüger: Auch mit Vertretern von Land schafft Verbindung sind wir in Kontakt. In deren Bewertung von Umweltproblemen stellen wir inzwischen eine Entwicklung fest. Wurde zunächst beispielsweise eine Mitverantwortung der Landwirtschaft für das Insektensterben noch generell bezweifelt, steht inzwischen die Frage im Mittelpunkt, „wie gehen wir damit um und wie kommen wir zu Lösungen?“. Ich begrüße das.
Landwirtschaft ist das wichtigste Thema für den Naturschutz.
AGRA-EUROPE: Wie wichtig ist für den NABU das Thema Landwirtschaft?
Krüger: Landwirtschaft ist aus meiner Sicht das wichtigste Thema für den Naturschutz. Die Hälfte der Fläche in Deutschland wird landwirtschaftlich genutzt. Die Intensität der Bewirtschaftung hat unmittelbaren Einfluss auf die Artenvielfalt, auf Landschaftsökosysteme, die Qualität des Grundwassers und vieles mehr.
AGRA-EUROPE: Welchen Stellenwert hat die Landwirtschaft für den NABU als Mobilisierungsfaktor?
Krüger: Unsere Satzung verpflichtet uns, den Natur- und Artenschutz in den Mittelpunkt unserer Aktivitäten zu stellen. Da kommen wir nun einmal nicht an der Landwirtschaft vorbei. Das erwarten unsere Mitglieder von uns und dem tragen wir Rechnung.
AGRA-EUROPE: Auch die Umweltverbände stehen im Wettbewerb untereinander. Was ist im Hinblick auf die Landwirtschaft der Markenkern des NABU im Vergleich zu anderen Umweltverbänden und -organisationen?
Krüger: Anders als etwa der World Wide Fund for Nature (WWF) und Greenpeace sind wir in den Regionen und insbesondere auf dem Lande verankert. Wir verfügen über annähernd 2 000 lokale Gruppen, ein Großteil davon im ländlichen Raum. Wir nehmen also für uns in Anspruch, dass wir nah dran sind an den Problemen, aber auch an möglichen Lösungen. Die NABU-Gruppen sind aktiv im Erhalt und in der Pflege von Streuobstwiesen, Sandtrockenrasen und Ähnlichem. Das unterscheidet uns beispielsweise vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), der einen stärkeren Akzent auf die Umweltpolitik legt.
AGRA-EUROPE: Wie beschreiben Sie Ihren politischen Ansatz?
Krüger: Für mich darf es keine Abstriche geben, wenn es darum geht, die tiefgreifenden Probleme - wie das ungebremste Artensterben - immer wieder in Berlin und Brüssel auf die Tagesordnung zu setzen und politische Lösungen einzufordern, gerade auch in der Agrarpolitik. Gleichzeitig wollen wir diesen Diskurs künftig stärker in die Regionen tragen, weil dort nach meiner Überzeugung die Lösungen gefunden werden müssen. Wer immer nur von der Landwirtschaft redet, wird den tatsächlichen Verhältnissen nicht gerecht. Ein Bördebetrieb hat nun einmal nicht viel gemeinsam mit einem Betrieb im Mittelgebirge, ein Veredlungsbetrieb im Südoldenburgischen steht vor völlig anderen Fragestellungen als ein Großbetrieb im Mecklenburgischen. Mehr Naturschutz werden wir nur erreichen, wenn wir diese Unterschiede berücksichtigen.
AGRA-EUROPE: Wie relevant ist für Sie die Betriebsgröße, um mehr Naturschutz zu erreichen?
Krüger: Sie ist nicht entscheidend. Naturschutz kann in ostdeutschen Regionen, die von Großbetrieben geprägt sind, ebenso gut laufen wie in Mittelgebirgsregionen etwa im Schwarzwald mit kleinbetrieblicher Agrarstruktur. Da kann ich mich nicht auf der Bundesebene hinstellen und sagen, nur der 60-Hektar-Betrieb ist gut.
AGRA-EUROPE: Funktioniert Naturschutz in Großbetrieben womöglich besser als in Kleinbetrieben?
Krüger: Nicht grundsätzlich besser, aber er kann funktionieren. Natürlich hat ein Großbetrieb ganz andere Möglichkeiten als ein Kleinbetrieb, etwas für den Naturschutz zu tun. Wer 1 500 ha bewirtschaftet, kann nun einmal leichter Flächen für Artenschutzmaßnahmen bereitstellen als ein 20-Hektar-Betrieb.
AGRA-EUROPE: Ist Nicht-Nutzung der bestmögliche Naturschutz, jegliche landwirtschaftliche Nutzung ein Kompromiss, den man gezwungenermaßen eingehen muss?
Krüger: Nein. Die Kulturlandschaft in Deutschland ist landwirtschaftlich geprägt. Kein Naturschützer ist so naiv zu glauben, wir drehen das Rad in die Zeit der Dreifelderwirtschaft zurück und alles wird gut. Wir brauchen selbstverständlich Rückzugsflächen in der Agrarlandschaft, auf denen sich Natur entwickeln kann. Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass dies mindestens zehn Prozent sein sollten.
AGRA-EUROPE: Also keine flächendeckende Extensivierung?
Krüger: Nein. Klar ist aber auch, dass Schutzgebiete in der Agrarlandschaft eine wichtige Rolle spielen. Eine stärkere Reglementierung des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln in diesen Gebieten ist ebenso geboten wie besondere Auflagen für die Düngung. Da müssen Naturschützer und Landwirte an einen Tisch und Konzepte entwickeln.
AGRA-EUROPE: Landwirte sind dazu in der Regel bereit, fordern aber einen verlässlichen finanziellen Ausgleich für Bewirtschaftungseinschränkungen - aus Ihrer Sicht zu Recht?
Krüger: Absolut. Förderprogramme mit einer Laufzeit von zwei oder drei Jahren sind weder für den Naturschutz zielführend noch für Landwirte sonderlich attraktiv. Landwirte müssen zudem wissen, ob und wie sich der Charakter von Flächen ändert, die aufgrund von Naturschutzmaßnahmen künftig eventuell eine ökologisch höhere Wertigkeit bekommen. Wer fürchten muss, dass eine Fläche irgendwann für ihn nicht mehr nutzbar sein wird, wird sich kaum auf längerfristige Naturschutzprogramme einlassen. Da brauchen wir auch für die Landwirte mehr Verlässlichkeit.
AGRA-EUROPE: Was ist besser, Naturschutz auf freiwilliger Basis gegen Honorierung oder über mehr Ordnungsrecht?
Krüger: Auf diese Frage gibt es keine einfache Antwort. Ordnungsrecht kann der Landwirtschaft helfen. Etwa wenn es darum geht, ein hohes europäisches Schutzniveau gegen außereuropäische niedrigere Standards abzusichern, wie beim Einsatz von bestimmten Pflanzenschutzmitteln. Wir brauchen wirksame Mindestanforderungen für Produkte aus Drittländern, die auf dem hiesigen Markt abgesetzt werden sollen. Das geht nur über mehr Ordnungsrecht. Zu sagen, Ordnungsrecht ist schlecht und geht grundsätzlich zu Lasten der Landwirtschaft, greift also viel zu kurz.
AGRA-EUROPE: Ist das Aktionsprogramm Insektenschutz ein Beispiel für ein Konzept mit einem Übergewicht an Ordnungsrecht im Vergleich zu kooperativen Ansätzen?
Krüger: Der NABU ist bereit, die Inhalte des Aktionsprogramms unter diesem Aspekt noch einmal zu überprüfen und gegebenenfalls an der einen oder anderen Stelle Veränderungen zu befürworten. Voraussetzung ist aber, dass die Insektenschutzziele erreicht werden. Freiwilligkeit sorgt für Akzeptanz. Wenn damit Naturschutzziele erreicht werden, umso besser.
AGRA-EUROPE: Was heißt das beim Insektenschutzprogramm?
Krüger: Ich könnte mir vorstellen, dass ein Verbot einzelner Wirkstoffe auf bestimmte Kernflächen von Schutzgebieten beschränkt wird, darüber hinaus jedoch verstärkt kooperative Ansätze zum Tragen kommen. Das könnte zur Entspannung in der Diskussion beitragen.
AGRA-EUROPE: In den Niederlanden finden Kooperationsmodelle von Landwirten und Naturschutzverbänden Zuspruch. Ist das ein auch ein Modell für Deutschland?
Krüger: Ich bin davon überzeugt. Das entspricht unserem Ansatz, vor Ort Lösungsansätze zu entwickeln und gemeinsam zu tragen. Auf diese Weise sind mehr Flexibilität und damit eine höhere Effizienz von Maßnahmen möglich. Fachlich und finanziell bietet das niederländische Modell viele Vorteile. Wir stehen dem offen gegenüber. Was am Ende aber zählt, ist die Wirksamkeit und dass in der Fläche ausreichend hochwertige Maßnahmen umgesetzt werden.
Wir brauchen ein System, in dem sich Ökosystemdienstleistungen in Erzeugerpreisen abbilden.
AGRA-EUROPE: Der NABU kritisiert ebenso wie andere Umweltverbände vehement die europäische Agrarpolitik. Sie fordern eine grundlegende Neuausrichtung und insbesondere eine Abschaffung der Direktzahlungen. Wie realistisch ist diese Forderung?
Krüger: Uns ist bewusst, dass dies bei der anstehenden Reform nicht vollständig durchzusetzen sein wird. Die Zielsetzung bleibt aber klar bestehen. Auf dem Weg dorthin sollten wir über Schritte diskutieren, wie bereits jetzt in diese Richtung gegangen werden kann. Wir brauchen eine wesentliche stärkere Ausrichtung der EU-Zahlungen auf Natur- und Umweltschutzziele. Am besten dafür eignet sich die Zweite Säule. Gegen deren weitere Kürzung werden wir uns massiv zur Wehr setzen.
AGRA-EUROPE: Welchen Beitrag können die Direktzahlungen zu einer grüneren GAP leisten?
Krüger: Einen erheblichen, denn wir sprechen von über 40 Milliarden Euro pro Jahr. Voraussetzung ist aber, dass diese Gelder an die Erbringung von Ökoleistungen gebunden werden, zum einen über die Konditionalität, zum anderen über Eco- Schemes. Wenn es uns gelingt, aus der weitgehend bedingungsfreien Gewährung eine solche Qualifizierung der Zahlungen zu erreichen, wäre das ein entscheidender Teil der Lösung. Ich kenne die Diskussion in Brüssel und weiß, wie schwierig das wird. Umso mehr werden wir uns auf allen Ebenen dafür einsetzen, dass die Chance nicht vertan wird.
AGRA-EUROPE: Derzeit treten die Verhandlungen um den Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) auf der Stelle. Was würde es bedeuten, sollte der EU-Agrarhaushalt erheblich Federn lassen müssen?
Krüger: Das würde die ohnehin schwierige, aber dringend notwendige Weiterentwicklung der GAP in eine Bezahlung ökologischer und Klimaschutzleistungen der Landwirte noch zusätzlich erschweren. Die GAP-Mittel müssen genutzt werden, um den Umbau in der Landwirtschaft zu finanzieren.
AGRA-EUROPE: „Wir wollen eine andere Landwirtschaft mit fairen Preisen“, haben Sie unlängst als Zielsetzung ausgegeben. Wie wollen Sie das erreichen?
Krüger: Wir brauchen ein System, in dem sich Ökosystemdienstleistungen in Erzeugerpreisen abbilden. Die Einbeziehung der Landwirtschaft in eine CO2-Bepreisung könnte dafür den Weg ebnen. Landwirte werden honoriert für ökologische Leistungen, die sie erbringen, indem sie für ihre Produkte höhere Preise erzielen. Ich denke, es lohnt sich über diesen Vorschlag intensiv nachzudenken.
AGRA-EUROPE: Vielen Dank für das Gespräch!
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