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Neubürger in der Tier-und Pflanzenwelt
Als Christoph Kolumbus am 4. August 1492 in See stach, wollte er einen neuen Weg nach Indien und China finden. Einfach mal die Gegenrichtung einschlagen, da kommt man auf der Erdkugel am Ende auch ans Ziel. Gemessen daran, ist Kolumbus krachend gescheitert, denn Amerika versperrte den Weg und er landete nach zehn Wochen Fahrt statt in Indien auf den Bahamas.
Für die Weltgeschichte erwies sich diese Irrfahrt jedoch als enormer Einschnitt. Auch für den Austausch von Tieren und Pflanzen über Kontinente hinweg. Ob mit Absicht oder unbemerkt: Seit Kolumbus‘ Zeiten nimmt das Globalisierungstempo in der Natur ständig zu.
Vor oder nach Kolumbus?
Noch heute gelten für Biologen Arten nur dann als alteingesessen, wenn sie schon vor Kolumbus da waren. Alles was nach 1492 kam, ist ein Neuankömmling; in der Fachsprache Neozoon bei Tieren, Neophyt bei Pflanzen und Neobiont für alles zusammen.
Dabei brachte der Mensch auch schon vor Kolumbus die Natur in Bewegung. Die Römer bescherten Mitteleuropa zahlreiche neue Nutzpflanzen, und noch früher, in der Jungsteinzeit, kamen mit der Ausdehnung des Ackerbaus neben den Feldfrüchten zahlreiche Wildkräuter neu zu uns. Steppentiere wie Feldhamster und Feldhase dehnten als Kulturfolger ihre Siedlungsgebiete enorm aus.
Aus biologischer Sicht sind diese Arten „gebietsfremde“ Alt-Einwanderer. Nur Arten, die es ohne menschliche Hilfe zu uns schaffen oder schon seit der letzten Eiszeit nachgewiesen sind, bekommen das Etikett „einheimisch“. Ganz schön streng.
Wer darf bleiben?
Von praktischer Bedeutung wird all das, wenn es darum geht, welche Ausbildung von Natur und welche Arten wir schützen wollen, welche wir dulden oder welche wir vielleicht sogar bekämpfen. Eine einhellige Meinung dazu gibt es nicht. Jäger werden andere Antworten geben als Naturschützer, Wissenschaftler andere als Politiker.
Viele Menschen halten Natur für etwas Starres. Sie haben von Ökosystemen gehört und vom Gleichgewicht der Natur, das nicht gestört werden soll. Dabei ist Natur im Gegenteil meist enorm dynamisch und Ökosysteme sind vom Menschen erdachte Hilfskonstruktionen, mit denen wir die unübersichtliche Natur verstehen wollen.
Bereicherung oder Gefahr?
Neuankömmliche werden oft misstrauisch beäugt. Sie sind fremd, möglicherweise gefährlich. Schadensabwehr ist ein gemeinsamer Nenner, auf den sich Viele einigen können. Dabei halten sich längst nicht alle Einwanderer auf Dauer. Von den 1500 in Deutschland wachsenden Neophyten haben nur 400 fest Fuß gefasst und nur 40 gelten als invasiv, also mehr oder minder aggressiv in Ausbreitung befindlich. Ähnlich sieht es bei den Tieren aus.
Viele Arten machen also keine Probleme. Überhaupt könnte man das neue sich Zurechtrütteln von Lebensräumen und Artenbeziehungen einfach auch wertfrei als spannenden Prozess sehen. Man muss nicht so weit gehen wie der Freiburger Naturschützer Konrad Guenther, der um 1910 „zur Bereicherung der Wasserlandschaft” für die Ansiedlung von Sumpfbibern, Brautenten und Ochsenfröschen warb.
Von den meisten gebietsfremden Arten, die sich bei uns ansiedeln konnten, gehen keine Gefahren für unsere Natur oder Gesundheit aus und sie haben auch keine negativen wirtschaftlichen Auswirkungen.
Bundesamt für Naturschutz
Wenn die Umweltbedingungen der gebietsfremden Arten ihrer Herkunftsregion entsprechen, dann breiten sie sich oft ungestört aus. Sie zeigen dabei teilweise unerwartete Auswirkungen, weil unter anderem die natürlichen Gegenspieler – Feinde, Konkurrenten, Krankheitserreger – fehlen. Im Abwehrkampf um die Restnatur im industrialisierten Mitteleuropa fällt es natürlich auch Naturschützern schwer, dem bunten Treiben invasiver Arten entspannt zuzusehen. Gerade durch menschliches Einwirken „gestresste“ Lebensräume sind besonders anfällig für manche Invasoren.
Außerdem ist nicht zu leugnen, dass teils erhebliche wirtschaftliche Schäden entstehen, etwa durch die pazifische Auster in Miesmuschelbänken im Wattenmeer. Oder es geht um die Gesundheit der Menschen, zum Beispiel bei der Ambrosie, deren Pollen für Allergiker gefährlich sind. Die Folgekosten invasiver Arten werden EU-weit auf mindestens zwölf Milliarden Euro jährlich geschätzt.
Lohnt sich Bekämpfung?
Kein Wunder also, dass sich inzwischen Politik und Verwaltung des Themas annehmen. Auf Basis einer EU-Verordnung zu „invasiven gebietsfremden Arten“ liegt eine Liste von inzwischen 88 Arten vor (dritte Erweiterung von August 2022), die bekämpft werden sollen. Außerdem geht es um bessere Vorbeugung und Früherkennung. Auf der sogenannten Unionsliste steht die Asiatische Hornisse ebenso wie zahlreiche amerikanische Krebsarten und die Wollhandkrabbe, Wassernabel und Heusenkraut.
Wo eine Bekämpfung überhaupt erfolgsversprechend ist und mit welchen Methoden, wird noch heiß diskutiert werden. Bestes Beispiel ist der Waschbär. Wie große und wie dauerhafte Schäden richtet er wirklich an, will man nur seine Ausbreitung stoppen oder ihn sogar zurückdrängen, kann man gegen ihn überhaupt effektiv vorgehen?
Helge May
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