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Jetzt NABU-Mitglied werden!Deutschland verstößt gegen EU-Recht
EuGH verlangt deutliche Nachbesserungen in FFH-Schutzgebieten
21. September 2023 - Deutschland hat bei seinen Fauna-Flora-Habitat-Schutzgebieten gegen EU-Naturschutzrecht verstoßen – so lautet das heutige Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), nachdem die Europäische Kommission im Zuge eines Vertragsverletzungsverfahrens geklagt hatte. Jetzt muss Deutschland bei einem Teil seiner FFH-Gebiete nachbessern, sonst drohen Strafzahlungen.
Konkret rügt der EuGH drei Missstände: Die unzureichende rechtliche Sicherung der deutschen Natura-2000-Gebiete, unkonkrete und rechtlich unverbindliche Erhaltungsziele für geschützte Arten und Lebensräume je Gebiet sowie unzureichende Erhaltungs- und Entwicklungsmaßnahmen, um „günstige Erhaltungszustände” der geschützten Arten und Lebensräume zu gewährleisten.
Nur 25 Prozent der Arten und 30 Prozent der Lebensraumtypen befinden sich derzeit in einem günstigen Erhaltungszustand.
NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger
„Unverbindlich, unkonkret und unzureichend – nachdem Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten bei der Umsetzung der FFH-Richtlinie in seinen Schutzgebieten geschlampt hat, bestätigt das heutige Urteil, was man in den Schutzgebieten selbst schon sieht”, betont NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger. „Nur 25 Prozent der Arten und 30 Prozent der Lebensraumtypen befinden sich derzeit in einem günstigen Erhaltungszustand. Es ist die letzte Mahnung an Bund und Länder, FFH-Gebiete nicht nur auszuweisen, sondern konkret zu schützen – sonst drohen Strafzahlungen. Der besorgniserregend schlechte Zustand vieler Gebiete unterstreicht den dringenden Handlungsbedarf. Deutschland muss jetzt dringend nachlegen.”
Der NABU fordert für die Schutzgebiete verbindliche und gebietsspezifische Erhaltungs- und Entwicklungsziele, ein aktives Management sowie ein transparentes Monitoring, damit der Schutz der Lebensräume und Arten mindestens regional, messbar wird. So sieht es auch die EU-Biodiversitätsstrategie vor. Darüber hinaus gelte es zusätzliche, ökologisch hochwertige Flächen als Schutzgebiete auszuweisen und die Gebiete besser miteinander zu verbinden. Eine Chance hierfür bietet das EU-Gesetz zur Wiederherstellung der Natur (Nature Restoration Law) und das Natur-Flächen-Gesetz.
Hintergrund: Vertragsverletzungsverfahren und Klagen gegen Deutschland
Von Beginn an hinkte Deutschland bei der Umsetzung der FFH-Richtlinien und damit dem Schutz von Natura-2000-Gebieten hinterher und verschleppte entsprechende Gebietsmeldungen nach Brüssel. Weil Deutschland viele seiner Natura-2000-Gebiete (2.784 der 4.606 Gebiete) trotz Ablauf der Frist im Jahr 2010 nicht unter Schutz gestellt hatte, leitete die EU-Kommission 2015 schließlich ein Vertragsverletzungsverfahren ein. Das Gericht hat heute festgestellt, dass für 737 Gebiete noch keine Erhaltungsmaßnahmen festgelegt wurden, 88 Gebiete sind nicht einmal rechtlich gesichert und haben keine konkreten Ziele. Im Verlauf des Verfahrens haben viele Bundesländer jedoch erheblich nachgebessert, sodass die heutige Situation sich bereits besser darstellt – jedoch klar nur aufgrund der Klage der EU-Kommission.
18. Februar 2021 - Deutschland setzt laut Einschätzung der Europäischen Kommission die Fauna-Flora-Habitat (FFH)-Richtlinie nur unzureichend um. Die Klage kommt nicht unerwartet: Bereits im letzten Jahr hat die EU-Kommission einen Warnschuss abgegeben. In der sogenannten begründeten Stellungnahme hatte sie auf die Missstände bei der Umsetzung der FFH-Richtlinien und damit dem Schutz von Natura-2000-Gebieten hingewiesen. Doch diesen Warnschuss scheinen Bund und Länder nicht gehört zu haben, meint Präsident Jörg-Andreas Krüger. „Jetzt drohen eine weitere Verurteilung durch die Richter in Luxemburg und bei weiterem Nichtstun unter Umständen sogar Strafzahlungen. Die Länder und der Bund müssen endlich tätig werden.“
Der schwerwiegendste Vorwurf aus NABU-Sicht ist, dass Deutschland bisher keine gebietsspezifischen Erhaltungsmaßnahmen festgelegt und umgesetzt hat. „Es ist ein Unding, dass dies auch sieben Jahre nach Einleitung dieses Vertragsverletzungsverfahrens und fast drei Jahrzehnte nach Inkrafttreten der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie noch erstritten werden muss.“ beschreibt Raphael Weyland, NABU-EU-Umweltrechtsexperte, das Verhalten Deutschlands. Dabei geht es hier um das Umsetzen von Vorgaben, zu denen sich Deutschland bereits 1992 verpflichtet hat, und nicht etwa um das Ausweisen neuer Schutzgebiete.
Die Konsequenzen der mangelhaften Natura-2000-Umsetzung sind auch in Nord- und Ostsee nicht zu übersehen. Zuletzt dokumentierten Wissenschaftler*innen einen Rückgang des streng geschützten Schweinswals in seiner Kinderstube im Sylter Außenriff um jährlich fast vier Prozent in den vergangenen zwei Jahrzehnten. „Weder in Schutzgebieten noch in wichtigen Wanderkorridoren wird Deutschlands einziger heimischer Wal wirksam vor den Auswirkungen von Fischerei, Schifffahrt oder Offshorewind geschützt“, kritisiert NABU-Meeresschutzexperte Kim Detloff.
Bundesländer und Bundesregierung müssen nachbessern
Im weiteren Vorgehen sind vor allem die Bundesländer zunächst am Zug. Sie müssen die Vorgaben der FFH-Richtlinie systematisch umsetzen, ebenso muss die Bundesregierung dies für die marinen Gebiete in der Ausschließlichen Wirtschaftszone von Nord- und Ostsee tun. „Damit in den Gebieten aber tatsächlich Arten und Lebensräume geschützt werden, ist eine ausreichende Finanzierung notwendig. Wer nicht mit Verboten und Vorgaben arbeiten will, muss Landwirten und Waldbesitzern attraktive Anreize für Naturschutzmaßnahmen bieten“, so Weyland. Basierend auf Zahlen der Bundesregierung schätzt der NABU, dass hierfür 1,4 Milliarden Euro im Jahr notwendig sind. Diese müssen und können durch Umschichtung von bisher pauschal fließenden Agrarzahlungen mobilisiert werden. Doch die derzeitigen Pläne des Bundeslandwirtschaftsministeriums ignorieren dies völlig und riskieren so weiter schmerzhafte Urteile des Europäischen Gerichtshofs.
Historie des EU-verfahrens
In den deutschen Schutzgebieten sind 18.000 Hektar Mähwiesen verschwunden. Für den ungenügenden Schutz droht Deutschland nun vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) verurteilt zu werden. Das Verfahren geht auf eine NABU-Beschwerde zurück. Mehr →
Blogartikel zum EU-Verfahren
EU-Kommission leitet weitere Stufe im Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland ein. Deutschland setzt Vorgaben der FFH-Richtlinie zum Schutz von Natura 2000 nicht ausreichend um. mehr →