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Jetzt NABU-Mitglied werden!Mostobstpreise im freien Fall
Hohe Erntemengen treffen auf volle Lager / Niedrigpreise boykottieren?
22. August 2014 - Der NABU-Bundesfachausschuss (BFA) Streuobst kritisiert ein sich abzeichnendes massives Preisgefälle beim Mostobst in Deutschland. Nach Angaben des BFA-Sprechers Markus Rösler beginnen einzelne Keltereien speziell in Süddeutschland die Obstkampagne mit 3,50 Euro je 100 Kilogramm, während in Hessen oder Nordrhein-Westfalen zehn bis zwölf Euro je 100 Kilogramm bezahlt werden. Hintergrund ist nicht nur die insbesondere in Süddeutschland überdurchschnittliche Streuobsternte, sondern auch hohe Lagerbestände an Tafelobst und Apfelsaft in Deutschland, eine hohe Obsternte insbesondere in Polen sowie das Einfuhrverbot auch von EU-Obst nach Russland.
„Die Lage für die mittelständischen Keltereien, mit denen wir eng kooperieren, ist schwierig. Der Preis für Direktsaft im 25.000-Liter-Tanklastzug sank seit vergangenem Jahr von 35 Cent auf derzeit 16 Cent je Liter und wir befürchten, dass es sich dem historischen Tiefststand von 2008, nämlich zehn Cent je Liter zubewegt. Damit bricht der Saftmarkt quasi zusammen und die Keltereien bleiben auf ihren Vorräten sitzen, sofern sie nicht direkte, unabhängige Absatzwege besitzen“, so Rösler.
Niedrige Erlöse bedrohen Baumbestand
Am Bodensee wird für 2014 eine enorme Obsternte erwartet – vergleichsweise größer als in anderen Regionen Deutschlands mit sehr uneinheitlichen Ernten – dort sitzen aber einige der bundesweit bedeutendsten Keltereien und Händler von Apfelsaft. In Baden-Württemberg und Teilen Bayerns fallen laut Rösler die Grenzen des Anstands. Denn bei 3,50 Euro für 100 Kilogramm zahlen die Streuobstbewirtschafter noch zu. Derartige Preise führten dazu, dass die Bäume nicht gepflegt und im schlimmsten Fall gerodet werden.
„Die ersten Bewirtschafter und sogar Keltereien melden uns, dass man bei solchen Preisen die Bäume ja gleich abhacken könne. Dazu raten wir beim NABU nicht nur aus ökologischen, sondern auch aus ökonomischen Gründen ab. Ein Hochstamm ist in wenigen Minuten abgesägt, aber es benötigt 15 Jahre, bis ein neu gepflanzter in den Vollertrag kommt.“
Die NABU-Streuobstexperten diskutieren derzeit über einen Lieferboykott gegenüber Keltereien, die weniger als sechs Euro je 100 Kilogramm bezahlen. Beim NABU gibt es Hunderte von Gruppen, die Streuobstwiesen besitzen und pflegen und Tausende Mitglieder tun dasselbe auf ihren Privatgrundstücken. „Preise von unter sechs Euro sind ein Affront gegenüber dem gesellschaftlichen Engagement und der Arbeit all derjenigen, die sich privat, ehrenamtlich oder beruflich im Streuobstbau betätigen“, kommentiert Rösler die avisierten extremen Niedrigpreise in einigen Teilen Deutschlands. Die Situation sei vergleichbar mit den Milchbauern: „Die Milchbauern haben bei zu geringen Preisen ihre Milch ausgeschüttet, da lag der Preis noch über der Hälfte dessen, was sie fordern. Im Streuobstbau sind 20 bis 25 Euro je 100 Kilogramm erforderlich, um rentabel wirtschaften zu können – wer zu deutlich unterhalb dieser Preise liegt, gefährdet die eigene Existenzgrundlage.“
Selbst- und Aufpreisvermarktung als Alternativen
Einen Ausweg sieht der NABU in betriebseigener Vermarktung, Aufpreisvermarktung von Streuobst und Bio-Anbau. Keltereien, die das angelieferte Obst selbst vermarkten, sind unabhängig vom internationalen Saftmarkt. Keltereien oder Mineralbrunnen, die Qualitätssäfte oder Schorle mit getrennt erfasstem Streuobst anbieten und feste Preise zahlen, meist zwischen 15 und 25 Euro je Doppelzentner, haben ebenfalls ein Standbein mit festem Kundenstamm, der unabhängig von Verwerfungen internationaler Art aufgebaut werden kann.
Und Bio-Streuobst ist auch 2014 in Deutschland unabhängig von der aktuellen Situation am Mostobstmarkt: Rund 14.000 Hektar der nach NABU-Angaben rund 300.000 Hektar Streuobstbestände bundesweit werden nach EU-Bio-Richtlinien bewirtschaftet. Rösler: „Auch dieses Obst geht ganz überwiegend an Keltereien in Oberschwaben, die daraus Bio-Streuobstgetränke produzieren – das ist rund eine Fünftel des Streuobstes, das die Keltereien in Deutschland verarbeiten. Und mit Preisen von 15 Euro bis 30 Euro je 100 Kilogramm ist auch dieser Markt von der Malaise am Mostobstmarkt nicht betroffen.“
Auch die Verbraucher können helfen
Der NABU wendet sich gegen Billigpreise bei Lebensmitteln. Ein Liter guter, regional erzeugter Streuobstsaft kostet 1,50 Euro, Spezialprodukte wie sortenreine Getränke oder Bio-Produkte auch zwei Euro oder mehr. Verbraucher sollten Streuobstprodukte aus ihrer jeweiligen Region kaufen – am besten mit NABU-Qualitätszeichen. „Die Verbraucher entscheiden mit ihrer Auswahl sowohl darüber, wie unsere Landschaften aussehen als auch darüber, ob regionale Betriebe und mittelständische Unternehmen überleben können“, so Rösler.
Hintergrund:
In Deutschland gibt es nach Angaben des NABU-BFA Streuobst rund 300.000 Hektar Streuobstbestände – ein Verlust um rund 80 Prozent im Vergleich zu 1950, als es noch rund 1,5 Millionen Hektar gab. Streuobstwiesen mit ihrer enorm hohen Biologischen Vielfalt werden daher auf der Roten Liste der Biotoptypen des Bundesamtes für Naturschutzes als „stark gefährdet“ eingestuft. Trotzdem sind die deutschen Streuobstbestände die großflächigsten Europas. Mit über 5.000 Tier- und Pflanzenarten, über 1.000 Pilzarten und über 3.000 Obstsorten besitzen Streuobstbestände die höchste Biologische Vielfalt aller Lebensräume West-, Mittel- und Nordeuropas. Sie gelten daher als „Hot spot“ der Biodiversität nördlich der Alpen.
Streuobst wird in Deutschland zu 40 bis 50 Prozent privat verbraucht. 25 bis 30 Prozent verwerten Keltereien, je rund fünf Prozent kommen als Tafelobst auf den Markt, werden als Obstbrand verwertet oder zu Sonderprodukten wie Mus, Marmelade oder Dörrobst verarbeitet. Je nach Jahr und Region werden 10 bis 20 Prozent nicht genutzt.
Nach 2008 hatten sich die Preise für unkontrolliertes Mostobst für die Bewirtschafter in Deutschland eher bei acht bis zwölf Euro je 100 Kilogramm eingependelt – nicht eingerechnet die vier Euro je 100 Kilo, die bei externen Anlieferstellen seitens der Keltereien einzurechnen sind. Bei der Streuobst-Aufpreisvermarktung erhalten die vertraglich gebundenen Bewirtschafter, die ausschließlich Obst von Hochstämmen liefern, die ohne Einsatz synthetischer Pestizide bewirtschaftet werden, im Regelfall zwischen 15 und 25 Euro je 100 Kilo. Nach Angaben des NABU-Bundesfachausschuss Streuobst gibt es bundesweit rund 120 Aufpreisvermarkter von Streuobstgetränken, die mindestens acht Millionen Liter mit einem Marktwert von über 30 Millionen Euro umsetzen. Der NABU vergibt hierfür das NABU-Qualitätszeichen für Streuobst-Produkte.