Wiesenschaumkraut im Park Sanssouci – im „normal“ bewirtschafteten Grünland ist es immer seltener zu finden. – Foto: Helge May
Einheitsgrün statt bunter Vielfalt
Immer mehr Wiesenblumen verschwinden
Einst konnte hier der Alte Fritz „ohne Sorge“ sein, heute zieht es jährlich Hunderttausende in den Park von Sanssouci. Neben Schlössern und kunstvollen Gartenrabatten beherbergt der große Potsdamer Park auch viele wildlebenden Tier- und Pflanzenarten. In den alten Eichen zum Beispiel sind zahlreiche Mittelspechte zuhause, Fledermäuse fliegen um die Teiche, Schwalben brüten an der Friedenskirche.
Besonders auffällig im Frühjahr sind die bunten Wiesen des Parks. Tausendfach blüht gelb der Hahnenfuß, weiß mit einem Hauch rosa oder auch violett das Wiesen-Schaumkraut. Verlässt man den mitten in der Stadt gelegenen Park und erkundet das Umland, fällt auf, dass die meisten Wiesen dort weniger bunt scheinen. Hoch und dicht gewachsen stehen die Gräser, aber vom schönen Wiesen-Schaumkraut kaum eine Spur.
Vergleich über 50 Jahre
Täuscht der Eindruck? Offensichtlich nicht, wie jüngste Vergleichsuntersuchungen zeigen. In einem mehrjährigen Projekt haben sich Wissenschaftler der Universität Göttingen und des Senckenberg Museums für Naturkunde in Görlitz alte Vegetationsaufnahmen aus den 1950ern und 1960ern vorgenommen und die Flächen neu untersucht.
Auf rund 1.000 Untersuchungsflächen in Nord- und Mitteldeutschland – Ackerland, Grünland und Fließgewässer – wiederholten die Forscher die Vegetationsaufnahmen. Dabei stellten sie fest, dass die Fläche artenreichen Grünlands auf frischen bis feuchten Böden in den vergangenen 50 Jahren um rund 85 Prozent abgenommen hat. Heute dominieren artenarme intensiv gedüngte Grünländer.
Düngung macht artenarm
Ackerwildkräuter, die in den Fünfzigerjahren noch fast die gesamte Ackerfläche bedeckten, wachsen heute aufgrund von Düngung und Pestiziden nur noch auf knapp fünf Prozent der Ackerfläche. Die Zahl der Pflanzenarten ging im Grünland um 30 Prozent zurück, im Ackerland im Inneren der Felder um 71 Prozent und in Fließgewässern um 19 Prozent; die Häufigkeit der einzelnen Pflanzenarten ist in ähnlichem Ausmaß rückläufig. Zunahmen registrierten die Forscher lediglich bei sieben anpassungsfähigen Arten im Grünland, bei 18 Arten im Ackerland und bei zwei Arten in Fließgewässern.
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Das hübsche Acker-Löwenmäulchen gilt laut der 20 Jahre alten Roten Liste als „gefährdet“. Wer heute überhaupt noch eines zu Gesicht bekommt, kann sich glücklich schätzen. - Foto: Helge May
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Der Ackerrittersporn ist stark zurückgegangen, in manchen Randstreifen hat er überlebt. - Foto: Helge May
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Die Ackerringelblume ist deutschlandweit stark gefährdet - Foto: Helge May
Vor rund 50 Jahren standen Grünlandpflanzen wie das Wiesen-Schaumkraut und die Kuckucks-Lichtnelke auf fast jeder Wiese. Heute sind nur noch Restbestände von weniger als fünf Prozent im Vergleich zu damals vorhanden, vielerorts sind die Pflanzen ausgestorben. Auch im Ackerland betragen die Bestandsverluste vielfach zwischen 95 und 99 Prozent. Ehemals verbreitete Arten wie der Acker-Rittersporn und die Knollen-Platterbse sind heute Seltenheiten.
Auswirkungen auf die Tierwelt
Prof. Dr. Christoph Leuschner, Mitglied im Kuratorium des NABU, ist als Pflanzenökologe an der Uni Göttingen am sogenannten Biochange-Projekt führend beteiligt. „Unsere Studien zeigen, dass die bisherigen Maßnahmen des Biodiversitätsschutzes in der Agrarlandschaft bei weitem nicht ausreichend waren und in vielen Regionen den Zusammenbruch der Agrar-Lebensgemeinschaften nicht verhindern konnten“, lautet Leuschners Fazit. „Da sich Deutschland im Rahmen der Nationalen Biodiversitätsstrategie zum Erhalt der Artenvielfalt in der Agrarlandschaft verpflichtet hat, müssen die politischen Entscheidungsträger dringend handeln.“
Zwar war der gemessene Grünlandverlust und Artenrückgang in Schutzgebieten wie etwa an der Havel nicht so gravierend wie auf ungeschützten Flächen. Doch auch in Reservaten hat sich die Situation verschlechtert. Was für die Pflanzenwelt gilt, wirkt sich natürlich auch auf die Tierwelt aus. Erste Untersuchungen zeigen bei Heuschrecken und Zikaden, dass dort zwar viele Arten weiterhin vorkommen, die Individuenzahlen aber deutlich abnehmen.
Wiesenbrüter gezielt fördern
Für die Vogelwelt liegen auch aus anderen Regionen zahlreiche Studien vor, die eklatante Rückgänge beweisen. Der Bestand von Kiebitz, Uferschnepfe und Bekassine hat sich in den vergangenen 25 Jahren um drei Viertel verringert. Sogar in Schutzgebieten werden in großem Stil Grünlandflächen meist ungestraft untergepflügt und zum Beispiel in Maisäcker umgewandelt. Viele Flächen werden auch durch Düngung oder Entwässerung intensiviert und damit ökologisch entwertet. Damit wird ein massenhaftes Artensterben in Kauf genommen – von Landratsämtern bis hin zur Bundesregierung.
Helge May
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