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NABU-Chronik 1946 bis 1998
1946-1950: Zusammenbruch und Wiederaufbau
1951-1964: Naturschutz im Wirtschaftswunderland
1965-1968: Im Zeichen des Weißstorchs
1969-1974: Langsamer Aufbruch und Impulse aus der Jugend
1975-1978: Die Millionendinger Wallnau und Sunder
1979-1983: Der ganze Naturschutz soll es sein
1984-1988: Auf dem Weg zum Umweltverband
1989-1991: Vereinigung und Umbenennung in Naturschutzbund
1992-1998: Umweltschutz ins Grundgesetz
1946-1950
Zusammenbruch und langsamer Wiederaufbau
So wie der Kollaps des Staates und der Gesellschaft vollständiger ist als nach dem Ersten Weltkrieg, so ist auch der Zusammenbruch des Bundes für Vogelschutz weitaus gravierender als Ende 1918. Große Gebiete sind abgetrennt, und der Kern des Reichs ist in anfangs streng getrennte Besatzungszonen unterteilt; die Geschäftsstellen des Vogelschutzbundes in Stuttgart, München und Berlin sind völlig zerstört, lediglich die Giengener Villa Hähnle hat überdauert.
Der Bund setzt darauf, dass „einer der wenigen Werte, die unserem Volk erhalten blieben, die heimische Natur sei und dass diese weit mehr als alle künstlichen Mittel geeignet sei, den arbeitenden Menschen Erholung und Entspannung zu gewähren“. Schon bald werden die ersten Gruppen unter dem alten Namen Bund für Vogelschutz vor Ort wieder aktiv, und im Laufe des Jahres 1946 lassen die Besatzungsmächte auch wieder regionale Vereinigungen zu.
Im Juli 1946 erteilt die Militärregierung dem BfV für die amerikanisch besetzte Zone Nordwürttemberg/Nordbaden eine Genehmigung. Da der Verbandssitz Stuttgart ebenso wie die Geschäftsstelle Giengen in dieser Zone liegen, ist der BfV damit wieder deutschlandweit aktiv. Die Zusammenarbeit mit den anderen Zonen muss aber zunächst weitgehend informell bleiben. Erst ab dem 6. November 1948 wird der Bund für Vogelschutz wieder offiziell als Rechtsnachfolger des Reichsbundes für Vogelschutz fortgeführt. Zum neuen Vorsitzenden wird Hermann Hähnle gewählt, der die Geschäfte des Verbandes ja bereits seit 1939 führte.
In Plaue bei Chemnitz firmiert Erich Ficker als "Geschäftsstelle für die sowjetische Besatzungszone" und hält Kontakt nach Giengen. Im Dezember 1946 kann Ficker an Hermann Hähnle melden, dass die „Pacht an das Kloster vom Heiligen Geist in Stralsund und sonstige Grundsteuern für das bundeseigene Gelände auf Hiddensee“ ebenso wie die Pacht für Steckby pünktlich bezahlt wurden. Auf Hiddensee sollen für jährlich 75 Reichsmark sogar weitere 200 Hektar gepachtet werden. „Die Landesverwaltung und andere zuständige Behörden unterstützen uns. Die Besatzungsmacht duldet teilweise die Arbeit.“
Mit der Entstehung der beiden deutschen Teilstaaten bricht auch im Bund für Vogelschutz die organisatorische Bindung zwischen Ost und West ab. Zumindest der Landesbund Sachsen-Anhalt arbeitet noch bis 1949 selbständig weiter, mit der Zeit gehen dann aber in der ganzen DDR die Naturschutzgruppen in der Abteilung Natur- und Heimatfreunde des bereits im Juli 1945 gegründeten Kulturbundes auf. 1980 entsteht dann innerhalb des Kulturbundes die Gesellschaft für Natur und Umwelt (GNU), die in Hochzeiten bis zu 50.000 Mitglieder hat – darunter 280 Vogelschutz-Fachgruppen mit 4900 Aktiven.
In der englischen Zone nimmt die Landesgruppe Hamburg ihre Arbeit schon Anfang 1946 wieder auf; aus einem Landesbund Hannover entsteht Mitte 1947 die Landesgruppe Niedersachsen. Kleinste Landesgruppe ist der Oldenburgische Bund für Vogelschutz, der zunächst die Gruppen Varel, Jever und Wilhelmshaven umfasst, wobei letztere erst 1977 als Kreisgruppe in den Landesverband Niedersachsen eingegliedert wird. Die Zusammenfassung der Regionalgruppen gemäß den neuen Bundesländern geschieht mancherorts nur zögerlich. Zwar ist der BfV ab 1951 wieder in ganz Westdeutschland vertreten, doch ein Landesverband Rheinland-Pfalz entsteht zum Beispiel erst 1954, die im Mai 1950 zugelassene Berliner Gruppe wird 1955 zum Landesverband und der Landesverband Saar wird 1961 gegründet.
Unklar ist für längere Zeit die Stellung Bayerns. Zwar soll sich der Landesbund für Vogelschutz in Bayern (LBV) bereits um 1950 selbständig gemacht haben, doch noch 1962 wird er als Landesgruppe aufgelistet und ab 1971 ist der LBV kurzzeitig wieder Mitglied im Dachverband DBV. Ganz sicher ist die bayerische Eigenständigkeit erst ab 1974. Alle späteren Versuche, den LBV wieder in den Gesamtverband zu integrieren, scheitern.
Noch unsicherer ist die Mitgliederstärke des Verbandes. Die Jahresberichte nach 1945 schweigen darüber, und verlässliche Unterlagen sind nicht mehr vorhanden. Es ist aber anzunehmen, dass der BfV in die zweiten fünfzig Jahre seiner Existenz mit kaum mehr als 25.000 Mitgliedern startet. Finanzielle Unterstützung erfährt der Bund durch das württembergische Kultusministerium, außerdem fließen 1950 wie bereits zu Weimarer Zeiten 11.000 Mark aus einer eigenen Landeslotterie.
Inhaltlich geschieht zunächst wenig Neues. So stellt Hermann Hähnle Ende 1946 fest: „Im Vordergrund stand und steht bis heute: die Erhaltung der natürlichen Helfer bei der Schädlingsbekämpfung im ernährungswirtschaftlichen Interesse. Unsere Insektenfresser sind unsere Sorgenkinder, denn es wird von Jahr zu Jahr schwieriger, ihnen über die Härte des Winters hinüberzuhelfen, weil es an Fettfutter, Hanfsamen und Sonnenblumenkernen fehlt. Wir haben angeregt, dass in den Ortsgruppen alles, was an Samen und Früchten in Feld und Wald als Ersatz zu finden ist, gesammelt wird, um so die Notzeit wenigstens einigermaßen überbrücken zu können.“
Auf Anordnung der Militärregierung bemühen sich die staatlichen Vogelschutzwarten zum Schutz der Getreidevorräte um die Sperlingsbekämpfung – übrigens ohne große Erfolge. Der BfV sieht die Notwendigkeit einer kontrollierten Bekämpfung ein, Kinder sollen jedoch davon ferngehalten werden, da man eine „Verrohung der Jugend“ fürchtet.
1951-1964
Naturschutz im Wirtschaftswunderland
Auf Anregung der Abgeordneten Paul Bausch (CDU) und Willi Steinhörster (SPD) bewilligt der Bundestag aus dem Etat des Landwirtschaftsministeriums dem Bund für Vogelschutz ab 1951 eine institutionelle Förderung von jährlich 20.000 Mark – der Gesamthaushalt des BfV beträgt in dieser Zeit um die 100.000 Mark. Die Staatsgelder sollen wesentlich für den „wirtschaftlichen Vogelschutz“, nämlich zur Erforschung der biologischen Schädlingsbekämpfung verwendet werden.
Der BfV möchte an seine Versuche in Steckby anknüpfen, die „trotz aller zeitbedingten Schwierigkeiten und trotz schwerer Verluste“ selbst im Krieg weitergeführt worden waren. „Es ist uns in jahrzehntelanger wissenschaftlicher Arbeit gelungen“, vermerkt Hermann Hähnle stolz, „den Beweis zu erbringen, dass sachgemäß betriebener Vogelschutz der Forstwirtschaft in der Schädlingsbekämpfung bei dem Vorkommen des Kiefernspanners ausreichenden Erfolg sichert.“ Chemische Schädlingsbekämpfung sei zwar sehr wirkungsvoll, „doch ergibt sich gleichzeitig damit ein schwerwiegender Eingriff in die ganze Lebensgemeinschaft“.
Im schleswig-holsteinischen Gelting Birk wird nun als Steckby-Ersatz eine neue Versuchsstation zur biologischen Schädlingsbekämpfung eingerichtet. Zur Kiefernspanner-Bekämpfung bringt der BfV außerdem mehrere tausend Nistkästen auf Versuchsflächen in den Forstämtern Helmstedt, Marienthal, Ansbach, Regensburg und Frankfurt am Main an. Ähnliche Versuche gibt es gegen Eichenwickler, Fichtenblattwespe und Frostspanner.
Ab 1954 gehen die Bundesmittel in die „Aufklärung der weitesten Kreise“, vor allem in die Naturfilmproduktion, ab 1960 werden die Zuschüsse immer geringer und Ende der sechziger Jahre ganz eingestellt. Zum Vergleich: Der Verein Naturschutzpark erhält 1956 aus dem Bundeshaushalt 100.000 Mark, 1959 stehen für die Naturparke erstmals eine Million Mark zur Verfügung, 1960 sogar zwei Millionen. Der BfV macht dies mit zu seinem Erfolg, denn man hat Bundestagspräsident Eugen Gerstenmeier davon überzeugt, „welch beschämender Rückstand in Deutschland gegenüber unseren Nachbarn auf dem Gebiet des Naturschutzes besteht“.
In der Öffentlichkeitsarbeit setzt der Bund weiter auf Exkursionen und Vorführungen. Es wird sogar eine eigene Vortragsabteilung mit der Lina-Hähnle-Enkelin Eleonore Waldhoer an der Spitze gegründet. Kameramann Hugo Wolter hält bereits 1951 wieder mehr als 100 Filmvorträge: „Gerade auf dem Lande ist die Aufnahmebereitschaft und die Wirkung besonders groß. Außer den von uns seit jeher gepflegten Natururkunden, Stehbildern und Laufbildern in Farben, können nun auch wieder einige Tonaufnahmen eingesetzt werden. Die bisher so schwierig in der Wiedergabe erscheinenden Vogelstimmen können nun einwandfrei dargeboten werden.“
„Außer dem ‚Glücksrezept‘ unserer Gründerin, jedem durch einen lächerlich kleinen Mindestbeitrag den Anschluss an unseren Bund zu ermöglichen, war die Werbung mit technisch höchststehenden Mitteln vielleicht das zweite Glücksrezept.“ Doch die Konkurrenz wird größer, denn das Freizeitangebot nimmt zu. „Die Entwicklung der Technik gestattet nicht nur immer zugkräftigere Lösungen, sondern sie verlangt sie auch, denn das Bessere ist des Guten Feind.“ Das meiste BfV-Material ist veraltet, deshalb müssen mit hohem Aufwand neue Filme gedreht werden, „unglücklicherweise in einem Augenblick, in dem wir noch tief im Wiederaufbau unseres Bundes stecken.“
Tatsächlich zieht sich dieser Wiederaufbau lange hin. Noch 1954, fast ein Jahrzehnt nach Kriegsende, beklagt der Vorsitzende: „Durch die Zerschneidung der Verbindung mit uns infolge der Zonengrenzen der Besatzungsmacht ist zum Teil Stillstand, ja eine Auflösung eingetreten und viele Mitarbeiter sind dadurch für immer verloren gegangen. Bei dem starken Mangel an opferwilligen Mitarbeitern fällt es schwer, Neue an Stelle der Verlorengegangenen zu finden. Geduld ist hierbei von Nöten.“
Wenig später beschert das voll einsetzende Wirtschaftswunder dem BfV, „der ja auf ehrenamtliche Mitarbeit eingestellt ist“, ganz neue Sorgen, nämlich „die rücksichtslose Ausnützung der Arbeitszeit und die unzweckmäßige Verwendung der Freizeit, so dass immer weniger Zeit für eine wirkliche Entspannung übrigbleibt. Den bei der Größe unserer Vereinigung leider unvermeidlichen großen jährlichen Verlust an Mitarbeitern hält es daher immer schwerer, zu ersetzen“.
Nach dem Wegfall der wichtigen Schutzgebiete Steckby und Hiddensee konzentriert sich der Bund auf Trischen, die Hamburger Hallig und den Federsee, in dessen Bannwald die Uni Tübingen mit Arbeiten zur Sukzessionsforschung beginnt. 1953 übernimmt der BfV die Betreuung der Elbinsel Pagensand, drei Jahre später auch die des Dümmers.
In Baden-Württemberg wird darlehensfinanziert und mit 6000 Mark von den Portland-Zementwerken das Arnegger Ried gekauft. Industrie-Sponsoring ist dem BfV wichtig und selbstverständlich. Als oberstes Gebot gilt der „Verzicht auf alle vermeidbaren und unnötigen Eingriffe“. Zudem „muss sich die Industrie stets bewusst bleiben, dass sie weitgehend auf den Beständen der heimischen Natur aufbaut, die nicht nur ihr allein gehören“. Der BfV verlangt deshalb „vertretbare Opfer“ der Industrie, „wenn es gilt, wichtige Teile von der Bewirtschaftung auszunehmen“.
Mit der Opferbereitschaft der Industrie ist es jedoch nicht allzu weit her; in der Wirtschaftswunderwelt gerät die Natur zunehmend unter die Räder. Die Reaktionen des BfV sind zunächst verhalten. Wegen ihrer „vollkommen anderen Einstellung zur Kleinvogelwelt“ verteilt der Bund an italienische Gastarbeiter ein Merkblatt, das den Neubürgern „unmissverständlich die Gesetze“ nahe bringt, „welche sie in Deutschland beachten müssen“.
Mit Schulklassen werden in großem Umfang Hecken gepflanzt und der BfV entdeckt, „dass sich Mädchen dafür ebenso gut, ja häufig sogar besser dazu eignen. Es erklärt sich wohl durch das mütterliche Empfinden, welches sie viel Liebe ihren Zöglingen zukommen lässt“.
Doch bald beteiligt sich der Bund für Vogelschutz aktiv am Kampf gegen ein geplantes Kraftwerk in der Wutachschlucht und gegen die Moselkanalisierung „als Kaufpreis für die Saar“. Selbst der Skandal um die durch „übertriebene Anwendung chemischer Hilfsstoffe bei Nahrungsmitteln“ ausgelöste Bläschenkrankheit in Deutschland und Holland bewegt 1956 den BfV und man unterstützt eine Initiative für ein verbessertes Lebensmittelgesetz. Der „beschämende Zustand unserer Gewässer“ wird ebenso zum Thema wie die Luftverschmutzung „durch die Abgase der Feuerungsanlagen und der Kraftwagen“.
Einen weiteren Bewusstseinsschub löst 1962 Rachel Carsons Buch „Stummer Frühling“ aus, vom Bund für Vogelschutz als „das Allerwichtigste auf unserem Gebiete“ gepriesen, das „mutig Missstände“ aufdeckt, „deren Ausmaß uns bis ins Innerste erschüttert“. „Die Giftmittel vernichten nicht nur die Schädlinge, sondern auch meist alle naturgemäßen Feinde derselben. Außerdem sind Bakterien, Pilze, Algen und Regenwürmer unentbehrlich für das Bodenleben. Zweifellos hat Fräulein Carson Recht mit ihrer Sorge, und zwar nicht nur in Deutschland, sondern überall.“
Sechzig Jahre nach Verbandsgründung stellt der BfV fest, der Grundgedanke des Naturschutzes habe sich durchgesetzt, in der Praxis mangele es aber noch erheblich. Das ist wortwörtlich die gleiche Lagebeschreibung wie schon 1935 bei Inkrafttreten des Reichsnaturschutzgesetzes, also gab es in 25 Jahren im Grunde genommen keinerlei Fortschritt.
„Wir haben im Naturschutz und im Vogelschutz tatsächlich einen Stand erreicht, bei dem es nur noch ein Aufwärts geben kann“, resümiert Herbert Ecke fünf Jahre später anlässlich des 85. Geburtstages des Vorsitzenden Hermann Hähnle. Ecke fordert einen neuen Aufbruch und einen innerverbandlichen Generationenwechsel: „Wenn die Heimatnatur vergewaltigt wird, muss unser Entschluss lauten: ‚Ich greife an‘. Wir sollten endlich auf die Mehrzahl unserer Eingaben und vor allem auf platonische Reden verzichten. Die weißen Häupter unter uns werden die ersten sein, die berufen sind, ihr Lebenswerk in die Hände der Jüngeren zu legen.“
1965-1968
Im Zeichen des Weißstorchs
Der Wechsel kommt Ende 1965. Am 24. Oktober stirbt Hermann Hähnle 87jährig, drei Wochen später wählt die noch von Hähnle einberaumte Mitgliederversammlung in Stuttgart Sebastian Pfeifer zum neuen Vorsitzenden - der sich ab 1967 „internationalen Gepflogenheiten folgend“ Präsident nennt. Ein wirklicher Generationswechsel wird mit der Wahl des 67 Jahre alten ehemaligen Direktors der Vogelschutzwarte Frankfurt am Main allerdings noch nicht vollzogen. Pfeifer ist ein Mann des Übergangs und wird bereits vier Jahre später aus Altersgründen sein Amt niederlegen.
Ungleich größer gestalten sich die organisatorischen Änderungen. Nach mehrjährigen Vorbereitungen legt eine Kommission unter Leitung des zweiten Vorsitzenden Georg Fahrbach eine neue Satzung vor, die „ohne Gegenstimmen“ beschlossen wird. Dadurch wandelt sich der Bund zum 1. Januar 1966 um in einen Dachverband mit den erstarkten Landesverbänden als alleinigen Mitgliedern. Einzelpersonen werden also nur noch bei den Landesverbänden geführt – wobei die Zusammenführung von Regionalverbänden zu Landesverbänden in Baden-Württemberg erst 1965, in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen sogar erst 1966 vollzogen wird.
Auch äußerlich wandelt sich der Verband. Aus dem BfV wird der „Deutsche Bund für Vogelschutz (DBV)“ und der bereits zuvor von der Deutschen Sektion des Internationalen Rates für Vogelschutz zum Nationalvogel bestimmte Weißstorch wird Wappentier des DBV.
Das auf den Bund eingetragene und „weithin von der Familie Hähnle beschaffte Grundvermögen“ geht an den Dachverband über, die Betreuung der Schutzgebiete aber liegt künftig dezentral in den Händen der Landesverbände. Nach 66 Jahren ist die notgedrungene Abnabelung des Bundes von der Gründerfamilie Hähnle ein herber Rückschritt, der in vielen Bereichen erst nach Jahren und Jahrzehnten ausgeglichen werden kann.
Das Ende der Hähnle‘schen Finanzspritzen bedeutet auch das Ende des „Glücksrezepts" von 50 Pfennigen Jahresbeitrag. Zunächst wird der einheitliche Mindestbeitrag auf drei Mark festgelegt, davon geht ein „Kopfbeitrag“ von 50 Pfennigen an den Dachverband. Bis zum Ende der Dachverbandsphase 1974 steigt der Beitrag über 5 und 10 auf schließlich 18 Mark. Die Frage der Beitragshöhe und der Aufteilung der Beitragseinnahmen zwischen Orts-, Landes- und Bundesebene wird zum Dauerthema.
Einer Zerschlagung gleich kommt die Verlegung der Geschäftsstelle aus der Giengener Villa Hähnle – mit mehreren Angestellten – in Sebastian Pfeifers Frankfurter Wohnung. Große Teile der Bibliothek und das noch reichlich vorhandene Infomaterial werden kostenlos an die Landesverbände verteilt. Der Dachverband hat nun „weder ein eigenes Büro, noch Büro-Angestellte“ und beschränkt sich auf die Außenvertretung des Bundes gegenüber anderen nationalen Verbänden und den europäischen Vogelschutzorganisationen, den Kontakt zur Politik und zu den Bundesbehörden, die Information der Landesverbände und das Beschicken von Tagungen und Vorträgen.
Die genaue Stärke des DBV zu diesem Zeitpunkt ist ungewiss. „Von den früher angenommenen 70.000 Mitgliedern sind nach der Überleitung in den DBV und Festsetzung eines Kopfbeitrages für den Dachverband nur noch 40.000 übriggeblieben“, schätzt Sebastian Pfeifer Anfang 1966. „Ohne eine großzügige Werbung kommen wir nicht weiter in unseren Bemühungen zum Schutze der Vogelwelt und ihrer Lebensräume. Daran sollten wir immer denken. Stillstand ist Rückgang.“
Doch von „großzügiger Werbung“ kann in den nächsten Jahren keine Rede sein. Im Gegenteil, während es in der Gesellschaft gärt und die Studenten protestieren gegen „den Muff aus tausend Jahren“, wirkt der DBV-Dachverband wie gelähmt. Noch Anfang 1969 wird das 70jährige Bestehen des Bundes mit einem kleinen Festakt in Giengen „in aller Stille“ begangen.
1969-1974
Langsamer Aufbruch und Impulse aus der Jugend
Doch einige Landesverbände, vor allem Baden-Württemberg als mit Abstand größtes Mitglied des Dachverbandes, drängen auf Fortschritte. Erstes Zeichen des beginnenden Aufbruchs ist die Wahl Dr. Claus Königs zum neuen Präsidenten im August 1969.
Wesentliche Impulse kommen aus der Jugendarbeit, die mit dem Treffen der Landesjugendleiter im September 1970 und der Wahl Klaus Ruges zum kommissarischen Bundesjugendleiter erstmals einen bundesweiten Rahmen erhält. In ihrem ersten Arbeitsprogramm stellt die DBV-Jugend „die Erziehung kritischer Persönlichkeiten, welche die Bedeutung der Umwelt für den Menschen begreifen und die biologisches Denken gelernt haben“ an die vorderste Stelle. Gemeinsame Jugendlager werden veranstaltet, Gruppen werden gegründet und eine Satzung soll entstehen. „Wir wollen Naturschutz als soziale politische Aufgabe verdeutlichen“, lautet ein Leitsatz. Noch steht die DBV-Jugend am Anfang, gut zehn Jahre später wird dieser Anspruch in einer heftigen Zerreißprobe kulminieren, die aber schließlich zur umfassenden Modernisierung des Verbandes führt und so seine Zukunftsfähigkeit garantiert.
Zunächst gilt es, die Arbeitsfähigkeit des DBV-Dachverbandes zu erhöhen. „Über viele Jahre hinweg haben wir ehrenamtlich, oft in der Nacht arbeitend, den Verein geleitet, haben die notwendige Verwaltung so gut es eben ging nebenher gemacht.“ Ohne Geschäftsstelle sei das nicht länger möglich, meint der baden-württembergische Vorsitzende und Dachverbands-Vize Horst Hanemann. Auch Schatzmeister Rolf Raible kritisiert, „wie viel Geld in manchen Ortsgruppen noch mehr oder weniger sinnlos für die Winterfütterung ausgegeben wird.“ Wichtiger erscheinen ihm verstärkte Jugendarbeit, Öffentlichkeitsarbeit und möglichst die Einstellung hauptamtlicher Mitarbeiter.
Platz findet der DBV zunächst in der Staatlichen Vogelschutzwarte Ludwigsburg, die Claus König zu dieser Zeit leitet. Anfang 1973 stellt der Dachverband neben der Halbtagsschreibkraft schließlich mit Robert Berger auch einen Geschäftsführer ein und kurz darauf zieht man in die Räume der Waiblinger Landesgeschäftsstelle.
Zur Stärkung der Öffentlichkeitsarbeit wird der DBV-Verlag gegründet, in dem künftig die Mitgliederzeitschrift „Wir und die Vögel“ ebenso erscheint, wie Broschüren und Bücher zu Natur- und Umweltschutzthemen. Außerdem werden Vogelschutzgeräte und Vogelstimmenaufnahmen vertrieben. 1972 wird erstmals eine „naturkundliche Reise in das Amazonasgebiet von Brasilien“ angeboten.
Zunächst ehrenamtlich geleitet, übernimmt 1974 der Verlag Neumann-Neudamm eine 50-prozentige Beteiligung und die Geschäftsführung. Nach dem Rückzug Neumann-Neudamms Anfang 1980 werden alle Sparten weiter ausgebaut, die anfängliche Vorstellung des Verbandes, mit dem DBV-Verlag auch eine „finanzielle Hilfsquelle“ zu erschließen, verwirklicht sich allerdings nicht. Schließlich wird das Unternehmen Ende der achtziger Jahre verkauft.
Im Verband gehen die Veränderungen Anfang der siebziger Jahre nicht ohne Konflikte voran. So lehnt es der Landesverband Hamburg von Anfang an ab, den Namen DBV zu tragen, teils werden die Jahreshefte nicht verteilt und Beiträge nicht abgeführt. Im März 1970 verkünden die Hamburger den Austritt aus dem Dachverband, erst 1978 schließt man sich wieder an.
Umgekehrt wird der Landesbund für Vogelschutz in Bayern (LBV) nach mehrjährigen Verhandlungen Mitglied des DBV. Ab 1974 besteht dann zwischen DBV und LBV zunächst eine „gegenseitige Mitgliedschaft“, später schließen beide Verbände einen Kooperationsvertrag, in dem die Zusammenarbeit in Sachfragen, gemeinsame Aktionen, aber auch eine klare territoriale Abgrenzung festgelegt sind.
Auch inhaltlich beginnt der DBV sich 1970 langsam zu wandeln. Antrieb für den Wandel sind sowohl die veränderten Umweltprobleme - und die damit verbundene wechselnde Themenkonjunktur - wie auch neue Erkenntnisse in Ökologie und wissenschaftlichem Naturschutz. Zwar werden bereits 1969 erstmals bestimmte chlorierte Kohlenwasserstoffe verboten und 1971 auch das berüchtigte DDT. Doch Kläranlagen sind ebenso immer noch die Ausnahme wie geordnete Abfalldeponien oder eine wirkungsvolle Rauchgasreinigung. Willy Brandts Versprechen vom „blauen Himmel über der Ruhr“ ist längst nicht eingelöst. In dieser Situation, so DBV-Präsident König, soll das vom Europarat ausgerufene Europäische Naturschutzjahr 1970 der Bevölkerung „die gefährliche Situation des Menschen in seiner Umwelt sozusagen 5 Minuten vor zwölf aufzeigen“.
Auch wenn „Winterfütterung und Ansiedlung insektenfressender Höhlenbrüter“ in den Hintergrund treten, bleiben die allgemeinen Umweltthemen für den DBV doch zunächst nur Begleitkulisse. Als „Vordringliche Aufgabe“ gilt der Erhalt „einer artenreichen Vogelwelt und dementsprechender Biotope, was nur durch gut fundierte Grundlagenforschung im Vogelschutz und verstärkte Öffentlichkeitsarbeit“ geschehen kann.
Bevor weitere Fortschritte erzielt werden können, gilt es in den Schutzgebieten des Verbandes zunächst akute Gefahren abzuwehren. So ist der Bestand des Federsees durch Einleitung ungeklärter Abwässer der Anliegergemeinden lange Zeit ernsthaft bedroht – erst 1981 wird eine Ringleitung um den Federsee fertiggestellt – und im Wollmatinger Ried am Bodensee sollen trotz 1968 verliehenem Europa-Schutzdiplom Baugebiete entstehen. Die Bebauung kann schließlich verhindert werden und der DBV erhält einen Betreuungsauftrag für das gesamte Gebiet. Rundum erfreulich ist die Entwicklung an der Ostseeküste bei Heiligenhafen, wo durch Einsatz des späteren Präsidenten Klaus Dürkop 1973 ein Infozentrum am sogenannten Graswarder entsteht.
Im Mittelpunkt der Lobby-Bemühungen steht die Auseinandersetzung mit der Jägerschaft, da diese in weiten Teilen auf die Bejagung seltener gewordener Arten nicht verzichten will. Auch die Falknerei gilt dem DBV nun als „Pflege eines bedeutungslosen, ja anachronistischen Jagdzweiges“. Die Auseinandersetzungen kulminieren 1972 im vom DBV angestrengten Ausschluss des Deutschen Falkenordens und des Deutschen Jagdschutzverbands aus der Deutschen Sektion des Internationalen Rates für Vogelschutz.
Hauptziel ist die Unterschutzstellung aller Greifvogelarten, was zunächst nur in wenigen Bundesländern gelingt. Um dies zu unterstützen, kürt der DBV 1971 den hochgradig gefährdeten Wanderfalken zum „Vogel des Jahres“. Zuvor war 1970 in einem Probelauf der Graureiher als Beitrag zum Europäischen Naturschutzjahr regional in Baden-Württemberg zum Jahresvogel erklärt worden. Beide Arten dürfen heute als gerettet gelten. Beim Graureiher reichte es im Grunde, die Jagd einzustellen, beim Wanderfalken waren nahezu dreißig Jahre Intensiv-Schutzmaßnahmen mit Horstbewachung rund um die Uhr und das Verbot fruchtbarkeitsschädigender Pestizide die entscheidenden Faktoren. Inzwischen hat sich die Aktion zum Vogel des Jahres weg vom engeren Artenschutz zu einer umfassenden Imagekampagne für einen nachhaltigen Umgang mit der Natur entwickelt.
Zu einer Artenschutzaktion im allerengsten Sinn kommt es allerdings 1974 im Jahr der Mehlschwalbe, als Mehl- und Rauchschwalben von einem frühen Wintereinbruch in Süddeutschland und in den Alpen überrascht werden. Da die vom insektenarmen Schlechtwetter geschwächten Vögel aus eigener Kraft die Alpen nicht mehr überqueren können, starten der DBV und die Vogelschutzwarten eine großangelegte Hilfsaktion, bei der „mindestens 1 Million Schwalben per Flugzeug, per Bahn und per Auto in den Süden transportiert werden“. Die Lufthansa nimmt hunderttausende Schwalben als Beigut auf ihren Flügen mit, und die Bundesbahn bringt aufgesammelte Schwalben kostenlos von allen Bahnhöfen nach Basel, wo sie die Swissair zum Weitertransport aufnimmt. Auch wenn nicht alle Schwalben überleben, kann so doch ein Zusammenbruch der Bestände verhindert werden.
1975-1978
Die Millionendinger Wallnau und Sunder
Bei allen Fortschritten erweist sich die Dachverbandsstruktur zunehmend als Hindernis für die Weiterentwicklung des Verbandes. Es fehlt an Schlagkraft und Reaktionsfähigkeit. Nicht nur der hessische Landesvorsitzender Joachim Lütkemann fordert: „Der schlafende Riese muss aufwachen!“ Zum 1. Januar 1975 wird der DBV deshalb wieder in einen vertikal gegliederten Verband zurückverwandelt.
Oberstes Organ ist nun die Vertreterversammlung, in die die Landesverbände nach Mitgliederstärke gestaffelt ihre Delegierten entsenden. Um die Wichtigkeit der Landesverbände zu betonen, gehören dem Präsidium auch sämtliche Landesvorsitzende an. Auch der Bundesjugendsprecher erhält Sitz und Stimme im Präsidium. Der wissenschaftliche Beirat wird stark erweitert, und es entstehen erste Facharbeitskreise.
Die Mitgliedsbeiträge sollen zentral über den DBV-Verlag eingezogen werden, was aber lange nur unvollständig funktioniert. Die Mitgliederzahlen sind deshalb zunächst als Mindestzahlen zu verstehen. 1975 stehen 40.000 Mitglieder zu Buche, 1976 sind es 41.200, zum Jahresbeginn 1978 schließlich 50.300. Gleichzeitig erweitert sich das Haushaltsvolumen von rund 50.000 Mark während der Dachverbandsphase auf mehrere hunderttausend Mark.
Parallel zu den organisatorischen Straffungen beschließt der DBV ein „Stuttgarter Programm“, in dem die „Einwirkung auf Gesetzgeber und Behörden“ als eine von vier zentralen Aufgaben definiert wird. Außerdem sollen Werbung und Öffentlichkeitsarbeit ausgebaut werden.
Ab Mitte 1975 führt der DBV zudem den Untertitel „Verband für Natur- und Umweltschutz“. Ein Antrag auf Umbenennung des DBV in „Deutscher Bund für Vogel- und Naturschutz“ dagegen lehnt die Bundesvertreterversammlung im April 1978 einstimmig ab. „Der DBV ist ein Verband für Natur- und Umweltschutz, bearbeitet aber nicht alle dabei auftretenden Probleme, zum Beispiel des technischen Umweltschutzes (Luft, Wasser, Lärm, Kernenergie)“, beschreibt Claus König das Selbstverständnis.
Im Rahmen der Diskussion um das geplante Atommüllendlager Gorleben beschließt das Präsidium: „Der Kernenergie stehen wir mit zurückhaltender Skepsis gegenüber, fühlen uns aber nicht kompetent. Wir werden uns aber stets gegen den Bau von Kernkraftwerken und Deponien wenden, wenn dadurch wichtige Naturlandschaften oder Schutzgebiete gefährdet werden. Das gilt grundsätzlich für alle Bauvorhaben und Eingriffe.“
Bei den Bundesprojekten setzt der DBV nach reinen Naturreservaten wie Trischen, Hiddensee oder Steckby nun auf eine Kombination aus Schutzgebiet und Möglichkeiten zum Naturerleben. Eine glatte Million Mark bringt der DBV ab 1975 aus Mitgliederspenden und mit Hilfe der Frankfurter Zoologischen Gesellschaft Bernhard Grzimeks sowie staatlicher Zuschüsse für den Kauf des 300 Hektar großen Teichgutes Wallnau auf der Ostseeinsel Fehmarn auf. Das „Millionending“ Wallnau wird erstes deutsches Wasservogelreservat mit einem ausgeklügelten Biotopmanagement nach britischem Vorbild.
Über ein Kanalsystem kann der Wasserstand in allen Wiesen, Gräben und Teichen exakt geregelt werden. Indem in bestimmten Teichflächen das Wasser je nach Jahreszeit angestaut oder abgelassen wird, entstehen auf engstem Raum beste Brut- und Nahrungsräume. Für die im Juli einfallenden Zugvögel besteht sogar die Möglichkeit, auf einem größeren Teich Ebbe und Flut nachzuahmen. Auf den Wiesen sorgt eine hundertköpfige Schafherde für optimale Lebensräume für Rotschenkel, Bekassine und Uferschnepfe. Von einem Informationszentrum aus führt ein Naturlehrpfad durch den Besucherbereich zu Aussichtstürmen und in Erdwällen eingebauten Beobachtungsständen.
Bereits im Dezember 1977 wird der Kaufvertrag für das nächste Großvorhaben unterzeichnet. Am Südrand der Lüneburger Heide kauft der DBV für 600.000 Mark die von der Umwandlung in einen Freizeitpark bedrohten 118 Hektar großen Meißendorfer Teiche. Nach erfolgreicher Abwehr der Umwandlungspläne überlässt der DBV das Teichgebiet der öffentlichen Hand und kauft im Gegenzug das unmittelbar angrenzende Gut Sunder.
Auf Gut Sunder mit seinen 26 Hektar Hof-, Teich- und Waldgelände errichtet der DBV seine zentrale Umweltbildungsstätte, die im April 1983 offiziell ihren Betrieb aufnimmt. Bald darauf ist Sunder bundesweit die Umweltakademie mit dem umfangreichsten Kursangebot und den meisten Teilnehmern. Auch dieses Projekt ließ sich nur durch jahrelange intensive innerverbandliche Spendenkampagnen verwirklichen. Das anfänglich ausgegebene Ziel, „das Naturschutzseminar Sunder soll bei vollem Betrieb die laufenden Kosten selbst decken“, hat sich allerdings als unerreichbar erwiesen. Nach 20 Jahren wird der Seminarbetrieb Ende 2003 eingestellt. Gut Sunder wird regionales NABU-Naturschutzzentrum und die Umweltbildungsangebote des Verbandes werden dezentralisiert.
1979-1983
Der ganze Naturschutz soll es sein
Trotz neuer Projekte und trotz 64.500 Mitgliedern ist die Stimmung im DBV zum Jahresbeginn 1979 angespannt. Die Jahrestagung in Celle ist geprägt von tiefgreifenden Auseinandersetzungen um Inhalte und Arbeitsmethoden. Das Präsidium wird nur unter Vorbehalten entlastet, die Neuwahl eines Vizepräsidenten scheitert.
Die Programmdiskussion mündet schließlich später im Jahr im „Gießener Programm“, das die Aufgaben des Verbandes auf eine deutlich breitere Basis stellt; 1981 wird auch die Satzung angepasst. Der klassische Arten- und Biotopschutzkanon bezieht sich nun nicht mehr bloß auf die Vogelwelt, sondern auf alle Tiergruppen „und die gesamte Pflanzenwelt“, Landnutzungsfragen und Gewässerschutz erhalten eine prominentere Rolle. „Im DBV sammeln sich daher alle, die für den Schutz und die Gestaltung von Natur und Umwelt tätig sein wollen.“ Luftverschmutzung, Abfall- und Energiepolitik bleiben jedoch weiter ungenannt.
Äußerst erfolgreich ist der DBV bei der Mitgliederwerbung: Im Oktober 1981 kann das 100.000. Mitglied begrüßt werden. Der Haushalt klettert auf durchschnittlich 1,5 Millionen Mark. Auch die Medienarbeit kommt langsam voran, auch wenn es 1980 noch bescheiden heißt, „die Bundesgeschäftsstelle gab mehrere Presseinformationen heraus“; dazu findet im ganzen Jahr lediglich eine einzige Pressekonferenz statt. 1983 meldet sich der DBV dann schon rund 25 mal gegenüber der Presse zu Wort, heute sind es über 100 Meldungen jährlich, daneben ein wöchentlicher Termindienst und tägliche individuelle Medienkontakte.
Auch die politischen Kontakte werden ab Anfang der achtziger Jahre intensiviert. Mit den großen Parteien finden auf Bundesebene regelmäßige Gespräche statt, ab 1983 sind auch die Grünen einbezogen. Zur Bundestagswahl 1980 befragt der DBV erstmals die Parteien und stellt die Antworten im Mitgliedermagazin vor.
Die entscheidenden Impulse für einen beschleunigten Wandel kommen aus der weiter erstarkenden und immer eigenständiger arbeitenden DBV-Jugend. Die Jugend will kritisch sein und sie will politisch sein. „Wenn wir kritisch als links ansehen – gut, dann sind die Jugendlichen eben der linke Flügel des DBV“, konstatiert Bundesjugendsprecher Klaus Ruge in seinem Bericht an die DBV-Delegierten. „Aber hüten Sie sich davor, diesen Flügel mundtot zu machen. Die jungen Menschen und eben gerade jene, die sich besonders einsetzen, werden einst die Führung im DBV übernehmen.“
Mitte 1982 treffen sich 650 Jugendliche in Kassel als Alternative zum gleichzeitig stattfindenden Naturschutztag des zu dieser Zeit weitgehend gelähmten Deutschen Naturschutzrings. Im November hält die DBV-Jugend ihren ersten Bundesjugendkongress in Wixhausen bei Darmstadt ab.
Die DBV-Vertreterversammlung am 16. April 1983 im Münster wird von den parallel tagenden DBV-Jugendlichen praktisch majorisiert. Der umstrittenen eigenständigen Jugendsatzung stimmt die Versammlung aufgrund der Mehrheit der anwesenden Jugendlichen über die übrigen Delegierten zu. Im November 1983 wählt die DBV-Jugend in Hamburg Jochen Flasbarth zum neuen Bundesjugendsprecher. Die Jugend verabschiedet Resolutionen gegen die Nachrüstung und zur Außen- und Friedenspolitik. Bundesweit finden Protestaktionen gegen Ölbohrungen des Texaco-Konzerns im Nationalpark Wattenmeer statt.
Die Konflikte zwischen DBV-Jugend und DBV nehmen rasch zu, und sie werden von beiden Seiten mit harten Bandagen ausgetragen. Im Mitgliedermagazin „Wir und die Vögel“ warnt DBV-Präsident Claus König vor der Entstehung „eines Staates im Staate“. Für Anfang Dezember ruft das Präsidium schließlich eine außerordentliche Vertreterversammlung nach Frankfurt ein, in deren Vorfeld König mit dem Verbandsausschluss Flasbarths droht.
Das Ausschlussverfahren findet aber ebenso wenig statt wie die beantragte Aufhebung der Jugendsatzung, denn die Jugendlichen stehen in der Auseinandersetzung zwischen konservativen und progressiven Kräften nicht alleine da. Unterstützung kommt von einigen Landesverbänden und im Präsidium vor allem von Vize Willy Bauer. Dieser gibt als Parole aus: „Die Vorstände und das Präsidium sollten mühelos in der Lage sein, mit jedem noch so bunten Vogel, der ihnen ins Nest gesetzt wird, fertig zu werden.“
1984-1988
Auf dem Weg zum Umweltverband
Nachdem Claus König 1984 nach fünfzehn Jahren Amtszeit nicht weiter als Präsident zur Verfügung steht, wird der Ökologe Prof. Dr. Berndt Heydemann von der Universität Kiel zum neuen Präsidenten gewählt. Dieser erklärt in seiner Antrittsrede, dass es vor allem das Engagement der Jugend gewesen sei, das ihn bewegt habe, für das Präsidentenamt zur Verfügung zu stehen. Damit sind die Auseinandersetzungen zwischen Jugend und DBV faktisch beendet.
Nach der überstandenen Machtprobe blühen die Jugendaktivitäten erst recht auf. 1984 findet erstmals die noch heute mit Erfolg laufende Aktion Erlebter Frühling statt, und mit Kongressen zur Stadtökologie oder zur Energiepolitik setzt die DBV-Jugend in den Folgejahren neue Themen. Neuer Jugendsprecher wird 1986 Christian Unselt.
Anders als die Mutterverbände DBV und Landesbund für Vogelschutz in Bayern (LBV) beschließen DBV-Jugend und LBV-Jugend bereits 1986 eine weitgehende Kooperation mit gemeinsamen Arbeitskreisen, wechselseitigen Stimmrechten und gegenseitiger Vertretung in Bayern beziehungsweise auf Bundesebene. Ebenfalls 1986 zieht die Jugendgeschäftsstelle von Gut Sunder nach Stuttgart, wenig später wird eine Geschäftsführerin eingestellt. 1987 erfolgt schließlich die Umbenennung der DBV-Jugend in „Naturschutzjugend im DBV“. Ende 1987 wird Dorothee Bader neue Jugendsprecherin und damit gleichzeitig erstes weibliches Präsidiumsmitglied seit mehreren Jahrzehnten.
Dem DBV verordnet Berndt Heydemann 1984 sofort ein anspruchsvolles Reformprogramm. Neben einer deutlichen Erweiterung des Aufgabenspektrums fordert er die Schaffung von Naturschutz-Beispielprojekten, eine Änderung des Verbandsnamen, eine Namensänderung auch der DBV-Zeitschrift, die Einrichtung einer Lobby-Geschäftsstelle in Bonn und eine kräftige Beitragserhöhung. Doch Heydemann muss schnell einsehen, dass der Verband zu einem solch schnellen Wandel nicht in der Lage ist. Umgekehrt ist Heydemann nicht bereit, seine Ansprüche abzusenken. Nach nur sechs Monaten im Amt legt er deshalb seine Präsidentschaft wieder nieder. Nachfolger wird der nordrhein-westfälische Landesvorsitzende Dr. Hans Scholten.
Doch der Wandlungsprozess ist bereits voll im Gang. Fast alle heydemannschen Vorstellungen werden in den folgenden Jahren umgesetzt. Die Zeitschrift wird bereits Anfang 1985 in „Naturschutz heute“ umbenannt, die Lobby-Geschäftsstelle nimmt im Mai 1985 ihre Arbeit auf – die Mitgliederverwaltung dagegen bleibt bis 1996 weiter in Kornwestheim – und die Beiträge werden gleich mehrfach angepasst. Am meisten Zeit benötigt die Namensänderung. Zwar wird Ende 1984 ein Untertitel „Deutscher Naturschutzverband“ eingeführt, doch eine durchgehende Umbenennung gelingt nach mehreren vergeblichen Anläufen erst 1990 – und auch das nur im Zusammenhang der Vereinigung mit den ostdeutschen Naturschützern.
Die DBV-Themen jener Jahre sind weitgehend identisch mit den bundesdeutschen Umweltbrennpunkten. Der Verband engagiert sich gegen den Dollarthafen und die Eindeichung der Leybucht ebenso wie für „Tempo 100“ zur Bekämpfung des Waldsterbens und beteiligt sich an der Gründung des alternativen Verkehrsclub Deutschland (VCD). International steht neben Projekten wie dem Schutz der Weißstorch-Rastgebiete im Sudan der Kampf gegen das Donaukraftwerk Gabcikovo/Nagymaros und zuvor gegen das von Hainburg im Mittelpunkt. Wegen Hainburg ruft der DBV sogar auf zum Urlaubsboykott gegen Österreich. Aufgrund des umfassenden Protestes in Österreich und in Deutschland wird Hainburg schließlich nicht gebaut.
Das 1986 verabschiedete „Berliner Programm“ erweitert die Aufgaben des DBV deutlich, erstmals werden auch Abfall-, Energie- und Atompolitik genannt. Folgerichtig nimmt das Präsidium Ende Mai 1986 als Folge der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl erstmals öffentlich gegen die Atomenergienutzung Stellung, fordert einen umgehenden Ausstieg aus der Atomenergie und die Einstellung der Bauarbeiten in Wackersdorf und Kalkar. Dass der DBV nun „in vielen Bereichen klare ökologische Positionen bezieht“, kommt allerdings in Teilen der Mitgliedschaft schlecht an; Austritte nehmen zunächst zu und die Mitgliederentwicklung stagniert.
Weitere Aufbruchsignale gehen vom ersten Deutschen Umwelttag aus, der vom 6. bis 8. Juni 1986 in Würzburg stattfindet. „Der DBV war einer der Mitveranstalter und beteiligte sich intensiv an den Foren und Arbeitskreisen. Viele DBV-Gruppen waren nach Würzburg gekommen. In einem großen Ausstellungszelt am Mainufer bot der DBV ein geschlossenes Bild seiner Naturschutzaktivitäten an.“ Der Deutsche Bund für Vogelschutz ist in der Gegenwart angekommen und kann sich nun als Teil der modernen Umweltbewegung fühlen.
Ein Jahr später leitet der DBV im März 1987 mit der Ausrichtung der 1500 Teilnehmer starken „Europäischen Aktionskonferenz Landwirtschaft und Natur“ in Osnabrück die Etablierung des Bereiches Landnutzung zu einem – neben dem klassischen Naturschutz – zweiten Schwerpunkt der künftigen Verbandsarbeit ein. Die 1988 neugegründete Arbeitsgemeinschaft Ökologischer Landbau (AGÖL) hat ihren Sitz zunächst in den Räumen der DBV-Geschäftsstelle.
Ähnlich wie zuvor mit Rainer Ertel in Kornwestheim ist auch in der neuen Bonner Zentrale Günter Mitlacher als Bundesgeschäftsführer für die Lobby-Arbeit verantwortlich. Mit dem Umzug nach Bonn stehen jedoch – zunächst auf ABM-Basis – erstmals weitere Angestellte für Kampagnen- und Öffentlichkeitsarbeit zur Verfügung. Zwar bilden sich bereits Mitte der achtziger Jahre Arbeitsgruppen zu Themen wie Recht, Naturschutz und Jagd, Insektenschutz oder auch Werbung und Information. Die gesamte Gremienarbeit aber bis hin zum Präsidium erfolgt rein ehrenamtlich, der Ausbau der hauptamtlichen Ressourcen in der Geschäftsstelle ist deshalb wesentliche Voraussetzung für die enorme Ausweitung der politischen und der Facharbeit des Verbandes.
Nach Diskussionen vor allem um das Selbstverständnis des Präsidiums und um die Stellung des DBV innerhalb der Verbandsszene führen die Präsidiumswahlen 1988 zu einigen personellen Umschichtungen. Nachfolger Hans Scholtens als Präsident wird der bisherige Vizepräsident Klaus Dürkop aus Schleswig-Holstein, der die Öffnungspolitik fortführt.
Zentrale Lobbythemen zu Ende der achtziger Jahre sind die Umsetzung und Erweiterung der Umweltverträglichkeitsprüfung, die Naturschutzgesetzgebung und die Europapolitik, hier vor allem die Auswirkungen des kommenden Europäischen Binnenmarkts auf die Umwelt..
1989-1991
Vereinigung und Umbenennung in Naturschutzbund
Bereits ab 1987 verstärkte der DBV die Kontakte zu Naturschützern in der DDR; Klaus Dürkop reist mehrere Male in den Osten Deutschlands. Mit dem Fall der Mauer am 9. November 1989 beginnt eine für die Naturschützer in Deutschland aufregende Zeit. Die Idee eines „Grünen Bandes“ anstelle einer Todeszone von der Ostsee bis zum Fichtelgebirge wird auch vom NABU bereits im Dezember 1989 gefordert und mit detaillierten Vorschlägen zur Unterschutzstellung unterfüttert. Im Januar 1990 beginnt Prof. Dr. Michael Succow als stellvertretender Umweltminister der DDR seine Arbeit und die Umsetzung des ehrgeizigen „Nationalparkprogramms“ – unterstützt von vielen später im NABU aktiven Mitarbeitern.
Ende Januar 1990 findet unter Federführung des Deutschen Naturschutzrings (DNR) in Berlin ein erster deutsch-deutscher Naturschutzkongress mit 1500 Teilnehmern statt. Über 100 Aktive des DBV sind in den Arbeitsgruppen dabei, viele von ihnen haben erstmals Kontakt mit DDR-Naturschützern und späteren „NABU-Kollegen“.
„Unter besonderer Berücksichtigung von Mitarbeitern der bisherigen Fachgruppe Ornithologie in der Gesellschaft für Natur und Umwelt“ lädt der DBV Mitte Februar 1990 rund fünfzig führende DDR-Naturschützer nach Gut Sunder ein, um „Möglichkeiten für eine zukünftige Zusammenarbeit“ zu beraten. Schnell zeigt sich, dass die Lage von Ost und West ähnlich eingeschätzt wird: Dem zu erwartenden Ansturm von Investoren und anderen Nutzern auf die ostdeutschen Naturschätze kann nur ein gesamtdeutsch agierender Naturschutzverband wirksam entgegentreten.
Neben den Ornithologen sprechen sich auch zahlreiche andere Fachgruppen für eine Neugruppierung unter dem Dach des bisherigen DBV aus. Damit sich auch Botaniker, Insektenkundler und Amphibienschützer mit dem neuen Verband identifizieren, ist eine Umbenennung des DBV allerdings unerlässlich. Dabei überlässt es der DBV den ostdeutschen Naturschützern, einen geeigneten Namen festzulegen. Deren Wahl fällt auf „Naturschutzbund“.
Daraufhin wird zunächst ein „Naturschutzbund in der DDR“ gegründet, welcher satzungsgemäß das Ziel verfolgt, „im Rahmen des Vereinigungsprozesses der beiden Teile Deutschlands mit dem DBV in einen gemeinsamen Verband unter dem Namen ‚Naturschutzbund Deutschland‘ aufzugehen.“ Bereits im März entstehen Landesverbände in Sachsen, Ost-Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Thüringen, zuletzt folgt Anfang September Sachsen-Anhalt. Bis Mitte November 1990 bestehen schon rund 100 Kreis- und Ortsverbände.
Im Westen beschließt am 6. Mai 1990 die DBV-Bundesvertreterversammlung in Worms mit großer Mehrheit die Umbenennung in Naturschutzbund Deutschland. Der DBV ist damit eine der wenigen Organisationen, die bei der Vereinigung den Namen des Ost-Partners übernehmen. Der Wappenvogel Weißstorch und zunächst auch die Abkürzung DBV bleiben im Emblem des Verbandes erhalten, die Abkürzung NABU wird erst 1992 eingeführt.
Der offizielle Zusammenschluss mit dem Naturschutzbund der DDR erfolgt schließlich am 18. November 1990. Michael Succow, der Vater des DDR-Nationalparkprogramms, wird zum Vizepräsidenten gewählt.
Um „positive Errungenschaften der Verbandsarbeit in beiden deutschen Gesellschaftssystemen“ zu einer „sinnvollen Einheit“ zu verschmelzen, erhält der Naturschutzbund neben der Ortsgruppenstruktur auch eine Fachgruppenstruktur nach dem Vorbild der Zentralen Fachausschüsse der Gesellschaft für Natur und Umwelt (GNU). Fachgruppen auf Ortsebene entstehen allerdings fast ausschließlich in den neuen Bundesländern, auch ein Teil der sogenannten Bundesfachausschüsse (BFA) und der darin enthaltenen Bundesarbeitsgruppen (BAG) sind zunächst stark von ostdeutschen Aktiven geprägt. Die West-Naturschützer brauchen einige Jahre, um die Vorteile der neuen Strukturen schätzen zu lernen. Heute arbeiten im NABU 15 Bundesfachausschüsse und 21 weitere Bundesarbeitsgruppen, das Spektrum reicht vom Fledermausschutz bis zur Ökologischen Wirtschaftspolitik.
Der 1985 aus dem Beirat als beratendes Gremium hervorgegangene Hauptausschuss „entwickelt sich nach Einführung der Fachausschussstruktur zum ‚kleinen Parteitag‘ des NABU“. In ihm versammeln sich nun neben den Landesvorsitzenden auch die Sprecher der Bundesfachausschüsse sowie der Jugendvorstand.
Zur Beschleunigung des weiteren Verbandsaufbaus in den neuen Ländern werden zwischen Ost- und West-Landesverbänden Patenschaften geschlossen. Schon im März 1990 hatte der DBV in Berlin ein „Ost-West-Naturschutzbüro“ eingerichtet, das Rundbriefe an DDR-Naturschützer versendet und die Zusammenarbeit zwischen DBV-Gruppen und DDR-Naturschützern fördert.
Ab Frühsommer 1990 kommt in Gosen bei Berlin eine Geschäftsstelle für den Naturschutzbund in der DDR und die Landesverbände in der DDR hinzu. Von Gosen aus wird die Arbeit der Fachausschüsse koordiniert, Publikationen in Fortführung der DDR-Fachzeitschriften werden betreut und die Ost-Landesverbände in der Auseinandersetzung mit den Natur und Umwelt beeinträchtigenden Nutzungsplanungen unterstützt. Nach Ablauf von ABM-Förderungen schmilzt Gosen 1993 auf nur noch drei Stellen und wird wenig später aufgelöst. Zur Finanzierung der ostdeutschen Landesgeschäftsstellen wird nun ein Finanztopf gebildet, in den neben dem Bundesverband auch die Landesverbände einzahlen.
Die Naturschätze im Osten Deutschlands zu bewahren, ist eindeutig Schwerpunkt der Verbandsarbeit Anfang der neunziger Jahre. Das in der letzten Sitzung des DDR-Ministerrates abgesegnete und in den Einigungsvertrag aufgenommene Nationalparkprogramm der DDR stellt die wertvollsten ostdeutschen Landschaften unter Schutz – ein Jahrhundertwerk, geschaffen in weniger als einem Jahr. Ein weiterer - interner - Arbeitsschwerpunkt ist die Umsetzung der Namensumbenennung, aus der auch ein vorübergehendes Bekanntheitstief des Verbandes resultiert.
1992-1998
Umweltschutz ins Grundgesetz
Nach vier Jahren stellt sich Klaus Dürkop 1992 nicht erneut zur Wahl. Zum Präsidenten wird der bisherige Vize Jochen Flasbarth gewählt. Mit dreißig Jahren ist der ehemalige Jugendsprecher jüngster Präsident in der Verbandsgeschichte.
Aufgrund des stetigen Wachstums muss die Bundesgeschäftsstelle Anfang 1993 zum zweiten Mal nach 1990 innerhalb Bonns ihren Standort wechseln. Nachfolger von Geschäftsführer Günter Mitlacher wird Uwe Hüser, seit 1995 bildet Hüser zusammen mit Gerd Billen, dem früheren Vorsitzenden der Verbraucherinitiative, eine Doppelspitze.
Die Zahl der Projekte und der intensiven Beteiligungen an Gesetzgebungsverfahren auf nationaler und europäischer Ebene steigt weiter stark an. Gleiches gilt für das Gewicht der Lobbyarbeit gegenüber Industrie und Verwaltung. Zu den Erfolgen auf diesem Gebiet gehören unter anderem die Aufnahme eines „Staatsziels Umweltschutz“ in das Grundgesetz, die Verhinderung der Ansiedlung der Meyer-Werft auf Rügen – hier sammelt der NABU über 160.000 Unterschriften –, der Schutz der Großtrappe entlang der ICE-Neubaustrecke Hannover-Berlin, der Kompromiss zum Elbe-Ausbau 1996, die Ausweisung neuer Nationalparke im Hainich, an Oder und Elbe sowie zuletzt der Stop des Flächenausverkaufs in den ostdeutschen Schutzgebieten.
1992 nimmt der NABU an der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro teil. Die Umsetzung der Rio-Beschlüsse, also Klimakonvention, Konvention zur Artenvielfalt und Agenda 21 sind seitdem weitere zentrale Bestandteile der Verbandsarbeit. Der Internationale Rat für Vogelschutz (ICPB) wird 1993 in den Dachverband BirdLife International umgewandelt. Sitz bleibt Cambridge, in Brüssel richtet BirdLife ein eigenes EU-Lobbyingbüro ein. An die Stelle der nationalen Sektionen treten „lead organisations“ als nationale Vertreter, alleiniger deutscher BirdLife-Partner wird der NABU.
1994 betreut der NABU 23 Naturschutzprojekte in 13 Ländern. Am umfangreichsten sind dabei Bemühungen, verschiedene Großlandschaften vor allem in Russland und den mittelasiatischen Nachfolgestaaten der Sowjetunion als Weltnaturerbegebiete des UNESCO dauerhaft zu sichern. Erfolgreich ist unter anderem 1996 die in Zusammenarbeit mit Greenpeace Russland erarbeitete Nominierung des Baikalsees und der fast vier Millionen Hektar großen Vulkanlandschaften Kamtschatkas.
National kann der NABU zwar Erfolge in der Ausweisung neuer Schutzgebiete verzeichnen, doch in vielen Bereichen werden vor allem Abwehrkämpfe gegen überzogene Infrastrukturmaßnahmen geführt. Im Zentrum stehen dabei die sogenannten „Verkehrsprojekte Deutsche Einheit“ vom Wasserstraßenausbau über Hochgeschwindigkeitsstrecken der Bahn und den Transrapid bis hin zu diversen Autobahnen.
Ein deutliches Signal für die verschlechterte Themenkonjunktur ist der insgesamt enttäuschende zweite Deutsche Umwelttag 1992 in Frankfurt am Main. Die geringe Besucherresonanz spiegelt „die allgemeine politische Großwetterlage in Deutschland“, sprich den Bedeutungsverlust des Umweltschutzes in Politik und Öffentlichkeit nur allzu genau wider, denn aufgrund der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit dominieren Wirtschaftsthemen.
Der NABU nutzt deshalb das Europäische Naturschutzjahr 1995 nicht nur zu einer verstärkten Werbung für Naturschutz im Einklang zwischen Mensch und Natur, er entwickelt auch vermehrt Konzepte für eine Ökologisierung der Wirtschaft. Bereits 1994 steht die NABU-Fachtagung im Vorfeld der Bundesvertreterversammmlung unter dem Thema „Perspektiven nachhaltiger Entwicklung für den Wirtschaftsstandort Deutschland“.
Einen Höhepunkt in der Politisierung der Verbandsarbeit bringen die Bundestagswahlen 1998. NABU-Präsident Flasbarth und der BUND-Vorsitzende Hubert Weinzierl touren als „Tandem für die Umwelt“ durch Deutschland, „um im Wahlkampfgetöse der Parteistrategen die Anliegen der Umwelt nicht untergehen zu lassen“. Im Zentrum steht dabei neben dem Ausstieg aus der Atomenergienutzung das Eintreten für eine konsequente Ökologische Steuerreform, die die Belastung der Umwelt verteuern und den Faktor Arbeit verbilligen soll.
Allgemein versucht der NABU, zur Durchsetzung seiner Ziele in den neunziger Jahren neue Allianzen zu schmieden. Das gilt zunächst für die Umweltszene selbst. Die konkrete Zusammenarbeit mit dem BUND oder auch mit dem WWF wird deutlich intensiviert, mit der Grünen Liga in den neuen Bundesländern und mit dem VCD für die gesamte Verkehrspolitik werden zusätzliche engere Kooperationen vereinbart. Darüber hinaus werden Partner bei den Gewerkschaften – etwa die IG Bauen, Agrar, Umwelt –, im sozialen Bereich und in der Wirtschaft gesucht. Mit Konfliktpartnern wie den Kletterern oder den Jägern werden zunächst kleinste gemeinsame Nenner gesucht, um darauf aufbauend weitere Annäherungen zu erzielen.
Auch die Herangehensweise an Öffentlichkeitskampagnen ändert sich. Bei der Traditionskampagne „Vogel des Jahres“ wird spätestens mit der Wahl des Rotkehlchen 1992 die Abkehr von den seltenen und hochgefährdeten Arten vollzogen, hin zu Arten, die nicht nur für ein bestimmtes Naturschutzproblem stehen, sondern auch allgemein bekannt und erlebbar sind. Außerdem werden die Kampagnenzeiträume verlängert. Während die „Aktion Schmetterling“ 1987 oder „Natur in Not“ 1988 relativ kurzzeitig angelegt waren, werden Aktionen wie „Lebendige Wälder“ ab 1996 oder „Landschaft schmeckt!“ ab 1998 im Kern über zwei oder mehr Jahre geführt. Diese jüngsten Kampagnen stehen beide für Landnutzungsthemen, die der NABU – neben dem klassischem Arten- und Naturschutz – mit seinem 1994 verabschiedeten Strategiepapier ins Zentrum seiner Bemühungen stellt.
Ob mehr Lobbying oder mehr Kampagnen: All dies ist nur möglich unter enormer Ausdehnung der personellen und finanziellen Ressourcen. Von rund 2,5 Millionen Mark Mitte der achtziger Jahre steigt das Haushaltsvolumen alleine des NABU-Bundesverbandes bis 1998 auf mehr als 25 Millionen, die Zahl der angestellten Mitarbeiter nimmt in der gleichen Zeit von zehn auf über fünfzig zu. Auch Präsident Flasbarth arbeitet seit 1994 hauptamtlich für den Verband, die Rund-um-die-Uhr-Beanspruchung in dieser Funktion lässt keine zusätzliche Erwerbsarbeit mehr zu. Getragen wird diese Entwicklung von einer Verdopplung der Mitgliederzahl auf fast 250.000 bei gleichzeitiger Erhöhung der Mitgliedsbeiträge sowie einer Verzehnfachung der Spendeneingänge auf mehr als fünf Millionen Mark.
Großvorhaben finden auch die Unterstützung potenter Kooperationspartner. So fördert die Michael Otto Stiftung für Umweltschutz seit 1992 die Weißstorchprojekte des NABU. Dazu gehören auch die Einrichtung des 1993 eröffneten NABU-Institutes für Wiesen und Feuchtgebiete in Bergenhusen, der Ausbau der Storchenzentren Linum, Rühstädt und Bad Freienwalde sowie das Elbe-Besucherzentrum in der Festung Dömitz. Das von NABU und WWF gemeinsam betriebene Kranichschutzzentrum Groß-Mohrdorf bei Stralsund wiederum wird wie die gesamte Kranichschutzarbeit von der deutschen Lufthansa unterstützt und Fegro/ Selgros sponsort das Projekt „Leben in der Elbtalaue“.
Am Infozentrum Blumberger Mühle im Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin schließlich beteiligt sich die Unternehmensgruppe Tengelmann. Zur Errichtung des Zentrums trägt neben staatlichen Stellen vor allem die Deutsche Bundesstiftung Umwelt mit rund 5,4 Millionen Mark bei. Seit der Eröffnung Mitte 1997 bis zum Jahresende konnte die Blumberger Mühle mehr als 40.000 Besucher zählen. Dabei hat es von der Idee bis zur Fertigstellung rund sieben Jahre gedauert. Nach zähen Verhandlungen mit der Treuhand und dank der Spendenbereitschaft der NABU-Mitglieder konnten schließlich rund 200 Hektar Land und Fischteiche erworben werden.
Den Menschen einerseits die Natur näher zu bringen, andererseits aber bestimmte Naturparadiese auch vor dem Zugriff des Menschen zu bewahren, werden neben der Lobbyarbeit für die Umwelt auch zukünftig die wichtigsten Aufgaben des NABU sein. Die gründliche Sanierung des Wasservogelreservates Wallnau auf Fehmarn steht dabei ebenso unmittelbar an, wie die Renaturierung der Unteren Havel und der Erwerb des über 3000 Hektar großen ehemaligen Truppenübungsplatzes Lieberose im Osten Brandenburgs.
Weitere AbschnittE der Chronik
Die Gründungsversammlung des Bundes für Vogelschutz (BfV) findet am 1. Februar 1899 in der Stuttgarter Liederhalle statt. Gelenkt werden die Geschicke des BfV in den Folgejahren wechselweise von den Wohnsitzen der Familie Hähnle in Stuttgart und in Giengen aus. Mehr →
Da es zu Beginn der Weimarer Republik nach wie vor keinen reichsweiten Naturschutzverband gibt, wird im BfV verstärkt über eine Namensänderung diskutiert. Doch am Ende schreckt die Verbandsführung zurück. Mehr →
Mit Schwung geht der NABU in seine zweiten 100 Jahre. Dabei besinnt er sich bei aller thematischen Ausweitung auch wieder verstärkt auf den klassischen Arten- und Naturschutz sowie seine besondere Stärke durch die flächendeckende Präsenz vor Ort. Mehr →
Kurzfassung
Von der Gründung bis heute: Wann wurden die ersten Schutzgebiete gekauft, wann der erste Landesverband gegründet? Lesen Sie hier die Geschichte des NABU in Kürze. Mehr →