Ungeliebter Nachbar

Königliche Müllabfuhr und feiger Hühnerdieb

Die Liebe des Rotmilans zu den deutschen Landen war früher durchaus einseitig. Bei den Altvorderen galt die "Gabelweihe", wie er auch hieß, als Hühnerdieb und Hasenfuß. Wer "den Weih über die Eier setzte", konnte auch gleich den Bock zum Gärtner machen. "Er zeucht Weyhen über die Eyer" grenzte an üble Nachrede: so jemand hätschelte, was dem Nachbarn schadet. Wer "dem Weih keyn Huen mehr objagen" konnte - schlappe Nummer! Dabei wurde der Rotmilan trotz seiner Liebe für Hühnchen selten beim Federvieh angetroffen. "Er ist ein so feiger, elender Räuber, dass eine beherzte Gluckhenne im Stande sein soll, ihn von ihren Küchlein abzuhalten" , erklärte Johann Andreas Naumann, Altvater der deutschen Vogelkunde, vor 200 Jahren wütenden Bauern. Erfolglos - beinahe wäre der Milan einer Ausrottungskampagne zum Opfer gefallen.

In England dagegen genoss der "Red Kite" im 15. und 16. Jahrhundert noch königlichen Schutz - als städtische Müllabfuhr Londons, denn er frisst gern Aas und hat sich schon früher gerne über die Fleischabfälle der Großstadt hergemacht. Unsere französischen Nachbarn erhoben ihn dafür gleich in den Adelsstand: als "Milan Royal". Frankreich war à la mode und der Name wurde im Deutschen gleich übernommen, freilich ohne den königlichen Zusatz, siehe oben. Im antiken Rom waren Rotmilane, wie alle Greifvögel, fliegende Orakel. Leider keine guten: Auguren - Priester, deren Job es war, Vogelflüge zu deuten - galt alles was von Westen einflog als Unglücksbote. Und da der Rotmilan wie manch andere Deutsche am liebsten in Spanien überwintert, kam er auf seinem Rückflug leider öfters aus der Richtung.

Zur literarischen Vogelprominenz von Lerche, Nachtigall und Adler hat der Rotmilan zwar noch Einiges aufzuholen, er findet sich heute aber durchaus auch in der Dichtung:

"Keine Starterlaubnis heute für Segelflieger.
Sieh dort die Gabelweihe
kopfüber sich stürzend
und wieder sich fangend
das Gefieder, das nasse
schüttelnd im Fluge."

so der Magdeburger Dichter Helmut Lamprecht im Jahr 1980.