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Rinder und Pferde gestalten die Landschaft


Zusatzinfos: BFA Weidelandschaften | Urwald oder Weide? | Landschaftsgestalter
Die aufgeschreckten Tanten beobachten das Geschehen aus der Ferne. Mit einer besorgten Mutter aber ist nicht zu spaßen. Gerhard Mauer fährt den Geländewagen über die Weide bis zur kleinen Mulde, in dem das einen Tag alte Kalb liegt. Noch kann es den Erwachsenen nicht folgen.
Einer der Helfer behält die Mutterkuh im Auge, ein weiterer packt das Kälbchen und drückt ihm das Maul zu, damit es nicht blökend die Mutter doch noch zu einer Attacke verleitet. Nun kann Mauer rasch die beiden gelben Ohrmarken anbringen. Das wäre geschafft. Keine Komplikationen, das Narkosegewehr bleibt ungenutzt im Wagen.
Als landwirtschaftlicher Leiter des vom NABU betriebenen Woldenhofes im ostfriesischen Wiegoldsbur hat Gerhard Mauer Erfahrung im Umgang mit Heckrindern, Konik-Pferden und Heidschnucken. Das Setzen der Ohrmarken ebenso wie die jährlichen Blutuntersuchungen bereiten aber nicht nur den Tieren Stress. „Die Veterinärvorschriften sagen, dass ein Jungtier spätestens am siebten Lebenstag gemarkt werden muss. Im Stall oder auf einer kleinen Koppel geht das vergleichsweise einfach, aber auf unseren unübersichtlichen Weideflächen ist es immer wieder eine Herausforderung.“
Produktionsziel Artenvielfalt
Die Ohrmarken sind Ausweis und Herkunftsnachweis der Tiere. Ohne Markierung und Eintrag in der offiziellen Datenbank wäre keine Vermarktung möglich und es gäbe auch keine Subventionsgelder. Der Woldenhof ist anerkannter Biobetrieb. Im Vordergrund steht zwar das „Produktionsziel Artenvielfalt“, so Woldenhofchef Michael Steven. „Aber wirtschaftlich stehen die Beweidungsprojekte auf drei Beinen: den Agrarsubventionen, Prämien für die Landschaftspflege und dem Verkauf der Tiere oder tierischer Produkte.“
„Beweidung dient der Wiederherstellung natürlicher Zustände und soll natürliche Prozesse ermöglichen“, betont Steven, der auch Sprecher des NABU-Bundesfachausschusses „Weidelandschaften und Neue Wildnis“ ist. „Ein gut durchgeführtes Beweidungsprojekt führt zu einer höheren Artenvielfalt als dort, wo rein statischer Naturschutz betrieben wird.“
Wer hat’s erfunden?
In den benachbarten Niederlanden werden heute zahlreiche Schutzgebiete beweidet, insgesamt 45.000 Hektar. Auch Großbritannien, Frankreich und Spanien setzen auf dieses Naturschutzinstrument. In Deutschland gibt es inzwischen ebenfalls zahlreiche Beweidungsprojekte, darunter viele vom NABU getragene vom Geltinger Birk im Norden bis zum Bodensee im Süden. „In der Fläche aber hinken wir der Entwicklung noch um Jahre hinterher“, meint Michael Steven.
Oostvaardersplassen etwa, das Projekt am Ijsselmeer unweit Amsterdam, mit dem 1992 die Praxiserprobung begann, erstreckt sich über fast 6.000 Hektar. Hier weiden rund 1000 Koniks, 400 Heckrinder und 900 Rothirsche. Von solchen Dimensionen kann man in Ostfriesland nur träumen. Die Grünlandflächen Thedingaer Vorwerk, Coldam und Uhlsmeer messen zusammen gerade mal 220 Hektar. Begonnen hat die Ganzjahresbeweidung mit Heckrinder und Koniks 2003 auf Flächen der Stadt Leer, wo nach dem Brachfallen als artenreiches Feuchtgrünland erhalten werden sollten. „Uferschnepfe und Brachvogel verschwinden halt, wenn aus der Feuchtwiese ein Schilfgebiet oder Weidendickicht wird“, erläutert Michael Steven.
Lehren aus der Krise
In den ersten Jahren lief die Beweidung wie gewünscht und ohne größere Probleme, doch im extrem regnerischen Frühjahr 2008 wurde plötzlich alles anders. Gleich mehrere der 60 Rinder kamen um, ein einjähriges Kalb ertrank. Was war geschehen? Der NABU Niedersachen rief ein „Krisenreaktionsteam“ zusammen, das mit den Behörden Ursachenforschung betrieb und Sofortmaßnahmen ergriff. Es stellte sich heraus, dass unter anderem die Futterverfügbarkeit auf den nun stark vernässten Flächen überschätzt worden war.
Herzstück der innerhalb weniger Monate umgesetzten Änderungen ist ein steuerbares Entwässerungssystem. So können die Lebensräume für bedrohte Wiesenvögel optimiert werden, ohne die Lebensbedingungen der Weidetiere zu vernachlässigen. Verbessert wurden auch die Passagen über Gräben und Nassbereiche. Im Herbst 2008 schließlich wurde als neuer Leiter des Woldenhofes Michael Steven verpflichtet, der sich bereits mit dem Aufbau des NABU-Beweidungsprojektes in den Emsauen bei Münster einen Namen gemacht hatte.
Natürliche Tragfähigkeit
„Die Vorfälle 2008 zeigen, dass man an Beweidungsprojekte nicht dogmatisch herangehen sollte“, meint Steven. „Dazu gehört auch, die Tierdichte an der natürlichen Tragfähigkeit auszurichten, also am Futterwert. Im Naturstand wäre hier auf unseren Feuchtflächen wahrscheinlich nur eine recht ertragreiche Sommerweide, zur Winterweide sind die wilden Herden dann weitergezogen.“
Heute findet im Sommer eher eine Unternutzung statt. Nach dem Flüggewerden des Wiesenvogelnachwuchses können Teilflächen sogar gemäht werden, um Winterfutter zu gewinnen. „Man darf das nicht mit der Schafbeweidung am Küstendeich verwechseln, wo jeder Quadratzentimeter gleichmäßig kurz gefressen wird“, betont Michael Steven. Durch die Unternutzung entsteht ein Mosaik unterschiedlichster Kleinflächen, so dass immer auch Lebens- und Ruheräume für Wildtiere aller Art bleiben – und das ist schließlich Zweck der Übung. „Koniks und Heckrinder sind zwar faszinierende Tiere, aber im Prinzip nur ‘Werkzeuge’ zum Erreichen der Naturschutzziele“, so Steven weiter.
Ein weiteres Ziel ist, noch besser über die Ganzjahresbeweidung zu informieren. Im kommenden Frühjahr soll deshalb eine vierte Fläche samt integriertem Naturlehrpfad beweidet werden. Für dieses „begehbare Weideprojekt“ auf einem ehemaligen Baumschulgelände werden Konikpferde aus dem eigenen Bestand eingesetzt.
Helge May
Zusatzinfos
Weidelandschaften und Neue Wildnis
Der 2005 gegründete NABU-Bundesfachausschuss „Weidelandschaften und Neue Wildnis“ dient dem Erfahrungsaustausch und setzt sich dafür ein, die Rahmenbedingungen für Beweidungsprojekte zu verbessern. Das heißt im Wesentlichen: intern Mindeststandards setzen und extern weniger Bürokratie. „Natürlich sollen weder beim Tierschutz, noch beim Verbraucherschutz Abstriche macht werden“, betont BFA-Sprecher Michael Steven. „Es gilt aber, vorhandene Spielräume besser zu nutzen.“
Der BFA sieht Beweidung als „einen ökologischen Schlüsselprozess, der kontinuierlich von der Naturlandschaft über die Hutelandschaft bis zur bäuerlichen Kulturlandschaft die typische Artenvielfalt vieler mitteleuropäischer Ökosysteme erhalten, das Landschaftsbild geprägt und die natürliche Dynamik gefördert hat“.
Urwald oder Weide?
Wie sähe unsere heutige Landschaft ohne Einfluss des Menschen aus? Abseits von Mooren und Hochgebirgen riesige dichte Urwälder überall wo es der Boden zulässt, lautet die weit verbreitete Annahme. Urwälder schon, aber weniger dicht und auf kleineren Flächen, meinen die Anhänger der sogenannten Megaherbivoren-Theorie. Demnach gäbe es neben Wäldern auch weite mehr oder minder offene Areale, genutzt und gestaltet von großen Pflanzenfressern.
Daran, dass es diese wildlebenden Pflanzenfresserherden nicht mehr gibt, hätten unsere Steinzeit-Vorfahren erhebliche Mitschuld. Die Bejagung bis hin zur Ausrottung von Arten wie Waldelefant und Steppennashorn habe bereits während der letzten Eiszeit begonnen. Die Knochenfunde an den Lagerplätzen steinzeitlicher Jäger zeigten, dass damals reichlich große Weidetiere erbeutet wurden. Um eine vom Menschen unbeeinflusste Landschaft, Tier- und Pflanzenwelt zu finden, müsse man deshalb gut 100.000 Jahre zurück in die letzte Warmzeit gehen.
Geht man von einem prägenden Einfluss der Pflanzenfresser aus, dann würde sich diese gerade auf den fruchtbaren Böden mit hohem Futterwert der Auen und des Flachlands konzentrieren und dort die Landschaft offenhalten. Im Hügelland und im Gebirge dagegen würde der Waldanteil deutlich höher liegen.
Mit den heute noch vorhandenen Wildtieren lässt sich die angenommene Urlandschaft kaum mehr zurückholen. Die Lücken können aber zum Teil mit Nutztieren wie Rindern und Pferden ausgefüllt werden.
Landschaftsgestalter
Rinder, Ziegen, Schafe oder Pferde fressen ganz unterschiedlich und das wirkt sich auf den Pflanzenbestand und das Landschaftsbild aus. Eine Kuh etwa umfasst mehrere Pflanzen mit der rauen Zunge, zieht sie ins Maul und reißt die Pflanzenteile mit einem Ruck ab. Dabei werden die Pflanzen gleichmäßig bis etwa zwei Zentimeter über dem Boden abgefressen. Für viele Arten reicht das aus, um schnell wieder nachzuwachsen.
Schafe benutzen zum Festhalten des Futters die sehr beweglichen Lippen, ihr Biss geht viel tiefer. Ziegen ähneln den Schafen, erheben sich aber auch gerne auf die Hinterbeine, drücken mit den Vorderbeinen erreichbare Zweige herunter und fressen dann die Blätter ab.
Schweine wiederum fressen zwar auch Gras und Kräuter, am liebsten aber wühlen sie im Boden nach Nahrung. Nicht nur mit der Nahrungsaufnahme nehmen die Weidetiere Einfluss auf ihren Lebensraum. Das Wühlen der Schweine ebenso wie das Suhlen und die Staubbäder der Pferde und der Rinder schaffen eigene Mini-Biotope, in den schwächer beweideten Teilflächen entstehen Pfade, die auch von anderen Tieren genutzt werden.
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