In diesen Zeiten schöpfen wir besonders viel Kraft in der Natur. Werden Sie NABU-Mitglied und helfen Sie mit, damit wir die Natur auch in Zukunft genießen können.
Jetzt NABU-Mitglied werden!Neue Gentechniken auf der politischen Agenda
Wie sollen die neuen Technologien reguliert werden?



Die Richtlinien für die Zulassung und Nutzung von gentechnisch veränderten Pflanzen werden auf EU-Ebene festgelegt. - Foto: iStock/Mediaphotos
Europäische Ebene: Neue Studie der EU-Kommission
Anfang Mai 2021 veröffentlichte die EU-Kommission die lang erwartete Studie zu den Neuen Gentechniken. Darin kommen die Autor*innen der Studie zu dem Schluss, dass das strenge, auf dem Vorsorgeprinzip basierende, europäische Gentechnikrecht gelockert werden müsse.
Zwar verweist die EU-Kommission auf die Risiken der Neuen Gentechnik und stellt die Bedenken von Gentechnik-Gegner*innen dar. Dennoch werden die Versprechen der Agrarindustrie als potenzielle Chancen bekräftigt: Gentechnisch-veränderte Pflanzen seien gut für den Klimaschutz und Nachhaltigkeit, trügen zur Verbesserung ernährungsphysiologischer Eigenschaften bei und führten insgesamt zu schnelleren Züchtungserfolgen. Auf diese Weise könnten sie einen wichtigen Beitrag zum Gelingen des EU Green Deals leisten. Auch bezieht sich die Studie auf ein Gutachten der EU-Lebensmittelbehörde EFSA, das besagt, dass Eingriffe ins Erbgut, bei denen Punktmutationen erzeugt oder nur Gene einer Art übertragen werden, ebenso sicher wie die herkömmliche Züchtung seien.
Darauf aufbauend argumentiert die Kommission, dass die strikten Anforderungen, die das Gentechnikrecht für die Risikoabschätzung definiert, an die mit den neuen Technologien hergestellten Produkten nicht gerechtfertigt seien. Aktuell werden gentechnisch modifizierte Organismen nach den strengen Vorschriften des EU-Gentechnikrechts reguliert. Es bleibt offen, wie die Neue Gentechnik politisch neu reguliert werden soll. Dennoch werden einige mögliche Rechtsänderungen genannt:
Die Vorschläge der Studienautor*innen reichen von Einzelfallentscheidungen, ob ein Produkt als genmanipuliert gilt und somit entsprechend reguliert und gekennzeichnet werden muss, über den grundsätzlichen Ausschluss bestimmter Methoden von der Regulierung (zum Beispiel CRISPR/Cas) bis hin zur Angleichung an amerikanisches Recht. In den USA wird nicht mehr der Weg zu einem bestimmten Produkt bewertet (prozessbasiert), sondern nur das Endprodukt auf seine Unbedenklichkeit hin untersucht (produktbasiert). Jeder der Maßnahmenvorschläge hätte zur Folge, dass gentechnisch veränderte Pflanzen ohne Kennzeichnung und Nachverfolgbarkeit in großem Umfang angebaut werden dürften.
Die Folgen eines solchen Vorgehens:
- Die Wahlfreiheit der Verbraucher*innen wäre beeinträchtigt.
- Der ökologische und gentechnikfreie Anbau wäre gefährdet.
- Umwelt und Biodiversität wären unbekannten und nicht abschätzbaren Risiken ausgesetzt.
Die EU-Kommission kündigt an, einen öffentlichen Dialog mit Bürger*innen, den Mitgliedsstaaten und dem Europäischen Parlament zum Thema neue Gentechnik zu starten.
Wir fordern, dass sich die deutsche Bundesregierung in Brüssel für Wahlfreiheit, Verbraucherschutz und die Anwendung des Vorsorgeprinzips starkmacht und auf der strikten Regulierung von alter und neuer Gentechnik besteht.

Das Vorsorgeprinzip: wichtige Leitplanke von Natur- und Umweltschutz
Wenn Schäden für die Umwelt bereits eingetreten sind, kann man nur noch versuchen, den Schaden durch Nachsorgemaßnahmen zu beseitigen oder zu begrenzen. Eindrückliche Beispiele stellen in diesem Zusammenhang das seit den 40er Jahren verwendete Insektizid DDT, der Betrieb von Atomkraftwerken wie Tschernobyl oder Fukushima oder die Verwendung von FCKW als Kühlmittel dar. Bei all diesen Anwendungen wurden maßgebliche Schäden an der Biodiversität, der Ozonschicht und zuletzt auch an der menschlichen Gesundheit festgestellt.
Sind Schäden für die Umwelt absehbar, sollte verhindert werden, dass sie überhaupt eintreten. Das Vorsorgeprinzip geht dabei noch einen Schritt weiter: Es soll verhindern, dass Gefahren für die Umwelt überhaupt erst entstehen, indem vorausschauend gehandelt wird. Die Vorsorge gilt als eines der Hauptprinzipien des deutschen Umweltrechts.
Das Vorsorgeprinzip basiert dabei auf zwei Grundpfeilern: der Risikovorsorge und der Ressourcensicherheit:
- Risikovorsorge bedeutet, dass wir bei unvollständigem oder unsicherem Wissen über Art, Ausmaß, Rückholbarkeit sowie Eintrittswahrscheinlichkeit von Umweltschäden und -gefahren vorbeugend handeln müssen, um diese von vornherein zu vermeiden.
- Ressourcensicherheit meint, dass wir mit den natürlichen Ressourcen wie Wasser, Boden und Luft schonend umgehen, um sie langfristig zu sichern und im Interesse künftiger Generationen zu erhalten.
Die Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) ist mit dem Vorsorgeprinzip nicht vereinbar. Denn lebende und vermehrungsfähige Organismen lassen sich aus der Natur nicht mehr einfach entfernen. Viele unbeabsichtigte Effekte der GVOs können auf die Biodiversität wirken. Daher sollten als Konsequenz des Vorsorgeprinzips gentechnisch veränderte Organismen erst dann in die Natur freigesetzt werden dürfen, wenn sie sorgfältig und kritisch geprüft wurden und langfristig mit einem Monitoring begleitet werden können.
Deutsche Ebene: Neue Gentechniken in den Bundesministerien
Ende April 2021 veröffentlichte das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) seine Position zu Gentechnik in der Landwirtschaft. Darin wird betont, dass unabhängige Risikoforschung, einheitliche Nachweisverfahren und Kennzeichnungspflichten unabdingbar seien, um die Risiken neuer Gentechniken in der Landwirtschaft für Umwelt, Wirtschaft und Gesundheit einzudämmen sowie die Wahlfreiheit der Verbraucher*innen zu wahren. Der NABU begrüßt diese klare Haltung des BMU, das sich somit auch für eine stärkere nationale und europäische Positionierung zur Gentechnik einsetzt.
Jedoch ist bei der Gentechnikgesetzgebung das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) federführend und es verfolgt eine gänzlich andere Herangehensweise: Das fängt bereits bei der Wortwahl an. Das BMEL spricht nicht von Gentechnik, sondern von „neuen molekularbiologischen Techniken“. Deren Vorteile sollten in der Pflanzenzucht für klima- und schädlingsresistente Pflanzen durch eine „differenziertere, liberalere Handhabung der Zulassung durch den europäischen Gesetzgeber und die europäischen Gerichte“ genutzt werden. Diese Ansichten spiegeln sich auch in der BMEL Ackerbaustrategie 2035 wider. Dort fordert das BMEL die Anwendung „neuer molekularbiologischer Züchtungstechniken“, um landwirtschaftlich genutzte Kulturarten ressourceneffizienter, resistenter oder toleranter gegenüber Schädlingen oder Wetterextremen zu machen. Die neuen Züchtungstechnologien würden im Rahmen des EU-Gentechnikrechtes „restriktiv“ behandelt werden. Daher sei eine Anpassung der europäischen Vorgaben erforderlich, um eine „rechtssichere“ Anwendung von CRISPR/Cas in Europa umzusetzen. Hierfür will das BMEL „politische Gestaltungsoptionen“ entwickeln. Die Formulierungen erwecken den Anschein, dass sich das BMEL für eine Deregulierung bei den neuen Gentechnologien einsetzt.
Auch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) spricht sich in seiner im November 2020 erschienenen FONA-Strategie „Forschung für Nachhaltigkeit“ dafür aus, bestehende Agrar- und Ernährungssysteme weiterzuentwickeln. Zukunftstechnologien wie die Genom-Editierung stellen nach Ansicht des BMBF wichtige Treiber der modernen Pflanzenzüchtungsforschung dar.
Naturbewusstseinsstudie: Was meint die Bevölkerung?
All diesen politischen Strategien steht die 2019 veröffentlichte Naturbewusstseinsstudie des BMU entgegen. Dabei wurde eine Stichprobe von 2.044 Personen aus der deutschsprachigen Wohnbevölkerung im Alter ab 18 Jahren befragt.
Die Studie ist in ihrer Aussagekraft für ganz Deutschland repräsentativ und bezieht Menschen aus allen Regionen und sozialen Lagen Deutschlands ein. Dabei gaben 81 Prozent der Befragten an, hinter einem Verbot des Einsatzes gentechnisch veränderter Organismen in der Landwirtschaft zu stehen. Zudem bezweifelten 90 Prozent, dass „die langfristigen Folgen neuer gentechnischer Verfahren aktuell abzusehen sind“. Außerdem sprachen sich 84 Prozent der Befragten dafür aus, dass der Mensch kein Recht besäße, Pflanzen und Tiere gezielt gentechnisch zu verändern. Diese Ergebnisse dürfen bei der Umsetzung weiterer politischer Maßnahmen nicht außer Acht gelassen werden.
Positionspapier zur Gentechnik vom NABU und 93 anderen Verbänden und Organisationen
Im Mai 2021 veröffentlichten 94 Verbände und Organisationen, darunter auch der NABU, das gemeinsame Positionspapier „GENTECHNIK AUCH IN ZUKUNFT STRIKT REGULIEREN!“. In diesem Papier wird unter anderem gefordert:
- Die gentechnischen Verfahren der neuen Generation müssen in Europa streng reguliert bleiben. Pflanzen und Tiere, deren Erbgut durch neue gentechnische Verfahren verändert wurde, müssen weiterhin dem Vorsorgeprinzip unterliegen.
- Insbesondere die EU-Freisetzungsrichtlinie darf nicht aufgeweicht werden: Sie umfasst die Genehmigungspflicht, Risikobewertung, Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung entsprechender GVOs.
- Neue Anwendungen, wie etwa Gene-Drive-Organismen, müssen besonders streng geprüft werden (internationales Gene-Drive Moratorium).
- Nicht zugelassene, gentechnisch veränderte Organismen (GVO) dürfen nicht ohne Kennzeichnung auf dem EU-Markt eingeführt werden. Die Sicherung von Wahlfreiheit und Transparenz für Verbraucher*innen und Erzeuger*innen darf nicht gefährdet werdet. Dafür sind zum einen konsequente Importkontrollen von gentechnisch veränderten Pflanzen, Tieren und Produkten erforderlich. Zum anderen müssen darüber hinaus entsprechende Nachweisverfahren entwickelt und öffentlich zugängliche Datenbanken und Standortregister aufgebaut werden.
- Gentechnik ist keine Antwort auf die gegenwärtigen Nachhaltigkeitsprobleme der Landwirtschaft oder des Naturschutzes. Deutschland sollte deshalb national in den Ressortstrategien wie auch in europäischen Forschungs- und Förderprogrammen auf ökologische Innovationen in Forschung und Anwendung setzen.
Download
Was genau verbirgt sich hinter dem Begriff Neue Gentechniken? Ist ihre Anwendung unproblematisch, wie manche Seiten uns weis machen wollen? Welche Chancen bieten sie? Und welche Risiken? Mehr →
Was genau verbirgt sich hinter dem Begriff Neue Gentechnik? Ist ihre Anwendung wirklich so unproblematisch, wie manche Seiten behaupten? Welche Chancen bieten sie? Und welche Risiken? Wir beantworten die wichtigsten Fragen rund um die Neuen Gentechniken. Mehr →
Insbesondere die neue Gene Drive-Technik erlaubt es, bestimmte Eigenschaften innerhalb kürzester Zeit in einer Population auszubreiten. An welchen Anwendungsfeldern wird gerade geforscht und wie sinnvoll oder gefährlich ist das? Mehr →