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Ohne die EU-Vorgaben wäre es um die Natur in Deutschland schlechter bestellt
Die Kargheit trügt: In der eintönigen, nahezu strauchlosen Landschaft des Großen Torfmoors in Westfalen verbirgt sich eine einzigartige Vielfalt seltener Tier- und Pflanzenarten. Im rund 550 Hektar großen Gebiet zwischen Wiehengebirge und Mittellandkanal blühen moortypische Gewächse wie der fleischfressende Sonnentau, die immergrüne Glockenheide oder die am Boden kriechende Moosbeere; in den Baumkronen der angrenzenden Bruchwälder horsten Habicht, Baumfalke und Wespenbussard und für gefährdete Wiesenvögel wie Bekassine, Wachtelkönig oder Großer Brachvogel ist das Moor willkommener Rückzugsort.
Mit seinem Artenreichtum zählt das Große Torfmoor zu den international bedeutenden Feuchtgebieten. Dass es diese Arche Noah seltener Flora und Fauna gibt, ist der Europäischen Union zu verdanken. Denn erst mit einem finanziellen Zuschuss aus dem Topf des EU-Life-Programms gelang es, dem Gebiet, das jahrhundertelang als Grünland und zum Torfabbau genutzt worden war, seine ursprüngliche Gestalt als weitläufige Hochmoorlandschaft zurückzugeben. Heute ist das Große Torfmoor als ausgewiesenes FFH-Gebiet und Teil eines Europäischen Vogelschutzgebietes ein wichtiger Baustein des europäischen Netzwerks Natura 2000.
Vier Säulen für stabilen Naturschutz
Damit profitiert das Große Torfmoor von allen vier Säulen, die dem Naturschutz in der EU seine Stabilität verleihen: Die erste Säule ist die 1979 in Kraft getretene Vogelschutzrichtlinie, die wildlebende Vögel, ihre Eier, Nester und Lebensräume schützt. Als zweite Säule kam 1992 die Fauna-Flora-Habitat-(FFH)-Richtlinie zum grenzübergreifenden Schutz gefährdeter wildlebender Tier- und Pflanzenarten sowie deren natürlicher Lebensräume hinzu.
Praktisch umgesetzt ist das in der dritten Säule, einem europaweiten Netzwerk zusammenhängender Schutzgebiete, Natura 2000 genannt, das die Vogelschutzgebiete mit einschließt und heute weltweit als wegweisend gilt. Zur Finanzierung wurde 1992 zudem das Life-Programm als vierte Säule etabliert, ein Geldtopf, aus dem EU-weit Natur- und Umweltschutzprojekte gefördert werden.
In Deutschland gehören gut 15 Prozent der Landesfläche und knapp die Hälfte der küstennahen Meereszone zu Natura 2000. Dass das EU-Recht zum Erhalt der Artenvielfalt auch hierzulande greift, belegt eine Studie des NABU-Dachverbandes BirdLife International aus dem Jahr 2013, die die Rückkehr von EU-weit 40 Vogel- und Säugetierarten unter die Lupe nimmt. War beispielsweise der Biber Mitte des 20. Jahrhunderts bei uns nahezu ausgerottet, schätzen Experten den heutigen Bestand auf 25.000 Tiere. Ähnlich gute Ergebnisse meldet die Studie für hiesige Vogelarten wie Kranich, Schwarzstorch, Uhu, Wanderfalke und Seeadler: „Insbesondere Arten, die zuvor direkt verfolgt wurden, haben vom EU-Recht profitiert“, berichtet NABU-Vogelschutz-Experte Lars Lachmann.
Bußgeld für versäumte Fristen
Außerhalb ausgewiesener Schutzgebiete habe das Artensterben jedoch dramatische Ausmaße angenommen, stellt Lachmann fest. Insbesondere die industrielle Landwirtschaft raube einstigen Allerweltsarten wie Kiebitz, Rebhuhn oder Feldlerche, für die die Ausweisung von eigenen Schutzgebieten keine Lösung wäre, die Lebensgrundlage: „Obwohl gemäß Vogelschutzrichtlinie die Lebensräume wildlebender Vogelarten ganz allgemein in gutem Zustand zu halten sind – auch in der Agrarlandschaft“, moniert der Vogelschutz-Experte.
Hinzu kommt, dass Deutschland bei der Umsetzung des EU-Naturschutzrechts nur schleppend vorankommt. Zwar wurden nach etlichen Verzögerungen insgesamt 5.200 Natura-2000-Gebiete nach Brüssel gemeldet, doch damit ist es nicht getan. Die Schutzgebiete hätten bis zum Stichtag 31. Dezember 2018 auch gemäß nationalem Recht abgesichert sein müssen. Dass das in vielen Fällen bislang immer noch nicht geschehen ist, stößt in Brüssel auf Unverständnis: „Im europäischen Vergleich hinkt Deutschland hinterher“, stellt NABU-Naturschutz-Expertin Julia Aspodien fest. Außer an Deutschland habe die EU-Kommission nur noch an Italien und Bulgarien Mahnschreiben verschickt. Nun drohen Bußgelder in Höhe von knapp zwölf Millionen Euro, zuzüglich 861.000 Euro für jeden Tag der Fristüberschreitung.
Mehr als der kleinste gemeinsame Nenner
Dass so etwas immer wieder vorkommt, nicht nur in Deutschland, hat damit zu tun, dass EU-Richtlinien nur den Rahmen vorgeben, in dem sich die Mitgliedsstaaten mit ihrer nationalen Gesetzgebung zu bewegen haben. Das zeigt sich unter anderem am Beispiel der Nitrat-Richtlinie, die das Grundwasser in Europa vor giftigen Stickstoffeinträgen schützen soll. Weil wegen des laxen nationalen Düngerechts vielerorts die Grenzwerte überschritten werden, hat der Europäische Gerichtshof Deutschland im Juni 2018 verurteilt.
„Nun muss nachgebessert werden“, berichtet NABU-Umweltpolitik-Experte Konstantin Kreiser. Das Beispiel zeige, dass die Natur- und Umweltschutz-Standards der EU weit mehr seien als der kleinste gemeinsame Nenner: „Immer wieder geraten Mitgliedsstaaten unter Druck, mehr zu tun, als sie eigentlich wollten“, sagt Kreiser, der die EU als treibende Kraft einer besseren Natur- und Umweltschutzpolitik sieht: „Ohne EU-Regeln wäre es um die Natur in Deutschland schlechter bestellt.“
Hartmut Netz
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