Jedes Jahr werden über 25 Millionen Zugvögel im Mittelmeerraum gefangen oder getötet. Mit einer Zugvogel-Patenschaft leisten Sie einen wichtigen Beitrag zum Schutz unserer Zugvögel.
Jetzt Informieren!„Die Zaunkönige im Wespennest“
von Eberhard Forst
Biologen haben an vielen Beispielen nachgewiesen, dass manche Tiere in den Behausungen leben, die andere für sich selbst gebaut hatten. In Spechthöhlen nisten häufig Eulen, und in (verlassenen) Mauselöchern bauen Hummeln ihr Nest. Und man fand sogar schon Singvögel, die im geschützten Eingang eines Fuchsbaues brüteten. Aber niemals ist mir bekannt geworden, dass Zaunkönige ein Wespennest als Kinderstube für ihren Nachwuchs benutzt haben. Ich würde es auch nicht glauben, wenn ich es neulich nicht mit meinen eigenen Augen beobachtet hätte.
Begonnen hat meine kleine Geschichte schon im vorigen Jahr, als Papierwespen ihre Wohnkugel in unmittelbarer Nähe meines Hauseinganges verlassen hatten. Da Wespen niemals dieselbe Behausung zweimal benutzen, wollte ich die kunstvolle Kugel eigentlich aufbewahren. Aber zuerst, als sie noch ganz war, vergaß ich es, dann wurde es mir zu lästig, den hässlichen Rest zu entfernen. Im Frühjahr wollte ich dann endlich nachholen, was ich zuvor versäumt hatte.
Aber da waren mir die Zaunkönige zuvorgekommen. Zwar hatte ich schon oft ihrem wunderbaren Gesang in der Hecke gelauscht (Nach H.W. Thorpe, dem besten Vogelstimmenkenner, besteht er aus 200 Noten und ähnelt dem der Buckelwale). Aber den Sangeskünstler selbst hatte ich nie zu Gesicht bekommen. Erst nach vielen Tagen, als ich endlich den Rest des Wespennestes entfernen wollte, sah ich, wie ein winziges Vögelchen davonflog. Als ich genauer hinsah , erkannte ich, dass sich das Nest auffallend verändert hatte: Völlig unbemerkt war es durch Moos, Gras und Blätter aufgestockt und so eine Art zweites Stockwerk geschaffen worden, das Familie Zaunkönig selbst bewohnte.
Aus einem Biologiebuch erfuhr ich, dass ein solches Werk in etwa sieben Tagen allein vom Männchen erschaffen wird. Häufig baut es gleichzeitig noch ein zweites oder drittes Nest, aus denen das Weibchen eins aussucht und mit Federn auspolstert. Bei ausreichendem Nahrungsangebot hat ein Männchen zwei oder drei Weibchen, die alle in einem eigenen Nest brüten. Andernfalls werden die leeren Nester zum Schlafen genutzt
Fast zwei Wochen musste ich mich noch gedulden, bis ich wieder einen Bewohner des Nestes zu Gesicht bekam und von einem geeigneten Standort aus beobachteten konnte. Denn endlich waren die Jungen ausgeschlüpft.. Seitdem kamen die Zaunkönige immer häufiger. In den ersten Tagen flogen sie, ein Insekt im Schnabel haltend, immer in das Nest hinein, um die Jungen zu füttern... Aber allmählich wuchsen die Jungen heran, das Nest wurde so eng, dass die Eltern schließlich draußen bleiben mussten.
So konnten wir ganz genau beobachten, was am (und im) Nest vor sich ging: Die Eltern, zwei hellbraune Vögelchen von etwa zehn Zentimeter Länge, die durch eine senkrecht nach oben stehende Schwanzfeder auffielen, kamen abwechselnd alle fünf Minuten angeflogen, um die immer gefräßiger werdenden Jungen mit Insekten zu versorgen, von denen jedes rund 9000 verschlingt, ehe es sich selbst ernähren kann.
Anfangs sahen wir von den Jungen nur vier Schnäbel, später - nach einer Erweiterung des Eingangs - auch die dazugehörigen Köpfchen aus dem Nest hervorragen. Am erstaunlichsten für uns war, wie die Jungen von den Eltern versorgt wurden. Im Gegensatz zu vielen anderen Vögeln schrieen die Jungen weder beim An- noch beim Abflug der Eltern (Wie bilden sie bloß ihre Stimme für ihren wunderbaren Gesang aus?) Stattdessen warteten sie ruhig, bis einem von ihnen das Futter in den Rachen geschoben wurde. War das geschehen, drehte sich das Junge blitzschnell um, um ein Kotbällchen abzusondern, das der gerade fütternde Elternteil mit dem Schnabel ergriff und in einiger Entfernung vom Nest fallen ließ. War einmal ein Kügelchen aus Versehen zu Boden gefallen, wurde es aufgehoben und weggebracht. So wurde weder die genaue Lage des Nestes verraten noch die Umgebung des Nestes verschmutzt.
So ging es etwa 14 Tage. Dann waren die Jungen flügge. Schon am Tage vor Verlassen des Nestes hatten die Jungen weiter aus dem Nest herausgeschaut als je zuvor; eines hatte sogar gewagt, sich auf den Rand des Nestes zu setzen. Aber bei Einbruch der Dunkelheit zog es sich noch einmal zurück, um eine letzte Nacht in der Enge des Nestes zu verbringen. Am nächsten Tag war die ganze Familie schon in aller Frühe höchst munter.
Während die Eltern weiterhin Futter brachten, kamen die Jungen nach und nach aus der Höhlung des Nestes hervor und klammerten sich vorsichtig am Rand fest. Plötzlich spannte das mutigste seine kleinen Flügel aus und ließ sich kühn in die Tiefe fallen. Bald taten es ihm die Geschwister nach. Als die Eltern, in deren Abwesenheit sich alles abgespielt hatte, mit neuer Nahrung zurückkehrten, fanden sie ihre Sprösslinge nicht mehr im Nest vor, sondern mussten sie unter den Zypressen , wo sie gelandet waren suchen. Da hörten wir zum erstenmal ihre Stimmchen, mit denen sie ihre Eltern auf sich aufmerksam machten. Seitdem sahen wir die jungen Zaunkönige nicht mehr wieder. Aber wir hörten sie noch tagelang, wenn sie mit ihrer piepsenden Stimme die Eltern um Nahrung baten.
(Übersetzung des lateinischen Textes aus Tiro 9/10-99, S. 3-4)