In diesen Zeiten schöpfen wir besonders viel Kraft in der Natur. Werden Sie NABU-Mitglied und helfen Sie mit, damit wir die Natur auch in Zukunft genießen können.
Jetzt NABU-Mitglied werden!Wählen gehen lohnt sich
Zur Bedeutung der EU-Umweltpolitik
25. April 2014 - Was machen Sie am 25. Mai? Genau: wählen gehen. Vom 22. bis zum 25. Mai wählen die Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union zum achten Mal das Europäische Parlament. Die magere Wahlbeteiligung von 43,3 Prozent im Jahr 2009 sollte diesmal übertroffen werden. Schließlich haben sich die Parteienfamilien erstmals auf EU-weite Spitzenkandidaten verständigt. Wer von denen die meisten Stimmen erhält, hat die besten Chancen bei der anschließenden Wahl zum Präsidenten der EU-Kommission durch die Staats- und Regierungschefs. Ein wichtiger Schritt zu mehr gesamteuropäischer Demokratie, denn bislang wurde der Kommissionspräsident ausschließlich von den Mitgliedstaaten bestimmt.
Gemeinsam geht es besser
Experten begründen die niedrige Beteiligung bei Europawahlen vor allem damit, dass den Wählern die gewachsenen Befugnisse des Europäischen Parlaments nicht bekannt sind. Deshalb sei an dieser Stelle daran erinnert, dass mittlerweile rund 60 Prozent der nationalen Gesetzgebung auf Vorgaben der EU fußen. Im Umwelt- und Naturschutz gehen sogar nahezu 80 Prozent der aktuell gültigen Gesetze auf die EU zurück. Beispiele dafür sind die Vogelschutz- und die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie), die Wasserrahmenrichtlinie und die Richtlinie zur Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP).
Und trotz aller nationalen Egoismen und populistischen Sprüche vom bürokratischen Monster ohne Effizienz: Das ist auch gut so. Wenn wir das Klima, die Böden, das Wasser, die vielen wandernden Tierarten und auch uns Verbraucher wirklich effizient schützen wollen, ist die frühere Vielstaaterei kontraproduktiv, bedarf es anspruchsvoller Standards innerhalb der gesamten Europäischen Union. Und nur wenn diese eingehalten werden, kann die EU auch als glaubwürdiger Anwalt von Umwelt und Natur bei Verhandlungen auf gesamteuropäischer und globaler Ebene fungieren.
Erfolge im Artenschutz
Mit der übergreifenden „Europa 2020“-Strategie, der Biodiversitätsstrategie bis 2020 sowie dem Umweltaktionsprogramm (UAP) verfügt die Europäische Union außerdem über einen strategischen Rahmen, der die Voraussetzungen schaffen soll für nachhaltiges Wachstum, den Erhalt der Artenvielfalt sowie den Schutz des Klimas und der natürlichen Ressourcen. Diese strategischen Vorgaben kann aber nur das EU-Parlament in wirksame Verordnungen und Richtlinien umsetzen und damit positiven Druck auf die Gesetzgebung in den EU-Staaten ausüben. Auch deshalb sollten die Wählerinnen und Wähler sehr genau prüfen, wo sie am 25. Mai ihr Kreuz machen.
Die Mär von der Wirkungslosigkeit der EU-Politik wird – trotz aller Defizite – gerade beim Naturschutz durch nachweisliche Erfolge widerlegt. So meldete die Europäische Umweltagentur im Januar, dass die Zahl der Fledermäuse in neun europäischen Staaten von 1993 bis 2011 um mehr als 40 Prozent angestiegen sei. Der wichtigste Grund dafür: Alle europäischen Fledermausarten sind in der 1992 einstimmig verabschiedeten FFH-Richtlinie in Anhang IV gelistet und stehen so unter dem besonderen Schutz der EU. Zudem sind einige Arten in Anhang II der FFH-Richtlinie aufgeführt, so dass für sie Schutzgebiete im europäischen Reservatsnetz „Natura 2000“ eingerichtet werden müssen. In deutsches Recht umgesetzt wurden diese Vorgaben im Bundesnaturschutzgesetz.
Schutzgebiete helfen
Der NABU-Dachverband BirdLife International, die London Zoological Society und das European Bird Census Council in ihrer 2013 vorgelegten Studie „Wildlife Comeback in Europe“, dass sich die Bestände vieler in Europa fast ausgerotteter Tierarten dank intensiver Naturschutzbemühungen deutlich erholt haben. So lebten Mitte des vorigen Jahrhunderts in Deutschland nur noch wenige Biber an der Elbe. Heute wird der nationale Bestand auf mehr als 25.000 Tiere geschätzt. Auch die Zahl der in Deutschland brütenden Kraniche ist von knapp 1.500 Paaren im Jahr 1991 auf gut 7.800 im Jahr 2011 angestiegen – vor allem deshalb, weil wichtige Brut- und Rastplätze unter den Schutz von „Natura 2000“ gestellt wurden.
Für NABU-Präsident Olaf Tschimpke sind die Ergebnisse der Studie ein deutlicher Beleg für die Wirksamkeit der EU-Naturschutzrichtlinien – und eine eindeutige Aufforderung, deren nationale Umsetzung zu verstärken: „Vor allem die nach den EU-Richtlinien ausgewiesenen Natura-2000-Schutzgebiete, die in Deutschland 15 Prozent der Landesfläche ausmachen, müssen besser gemanagt und ausreichend finanziert werden.“ Dies ist übrigens Aufgabe der Bundesländer.
Scherbenhaufen Agrarpolitik
Mit der Umsetzung hapert es auch in der Landwirtschaft. Daher hatte der NABU bereits die Beschlüsse zur Neuausrichtung der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik (GAP) im Jahr 2013 als unzureichend kritisiert und von einer „riesigen verpassten Reformchance“ gesprochen. Vom ursprünglich versprochenen „Ergrünen“ der EU-Agrarpolitik – Koppelung sämtlicher Direktzahlungen an Umweltauflagen, sieben Prozent ökologischer Vorrangflächen pro Betrieb – war nach zähen Verhandlungen zwischen den nationalen Agrarministern und dem Europaparlament nicht mehr viel übrig geblieben. So fließen weiter jährlich 58 Milliarden Euro, über 40 Prozent des gesamten EU-Haushaltes, in die Landwirtschaft – wobei die größten 13 Prozent der Betriebe mehr als 85 Prozent der Subventionen einstreichen.
„Hier muss das neue Europaparlament den Scherbenhaufen aufräumen, den die frühere Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner und die konservative Mehrheit im Europaparlament angerichtet haben“, sagt Claus Mayr, Europaexperte des NABU in Brüssel. Insbesondere der Agrarausschuss des Parlamentes sei zu stark von der Landwirtschaftslobby beeinflusst gewesen. „Das neue Parlament muss dafür sorgen, dass die Gelder der Steuerzahler bei der nächsten Agrarreform für die Jahre 2021 bis 2027 endlich im Sinne der Verbraucher und der Umwelt eingesetzt werden“, fordert Mayr.
Klimaschutz wenig ambitioniert
Beim Klimaschutz sieht sich die Europäische Union gerne als Avantgarde. Was die EU-Kommission allerdings dazu Anfang 2014 an Vorschlägen auf den Tisch gelegt hatte, war eher mau: Bis zum Jahr 2030 sollen der Kohlendioxid-Ausstoß gegenüber 1990 um 40 Prozent sinken, der Anteil erneuerbarer Energien EU-weit auf durchschnittlich 27 Prozent ansteigen. Nicht sonderlich ambitioniert, schließlich hatte die EU in einer 2013 veröffentlichten Studie bereits eine Reduzierung um 32 Prozent bis 2030 prognostiziert, wenn die bisherigen Klimaschutzmaßnahmen einfach weitergeführt würden.
Das EU-Parlament geht mit seinen klimapolitischen Forderungen klar über die Pläne der Kommission hinaus. Die CO2-Emissionen sollen um mindestens 40 Prozent gesenkt, die Energieeffizienz um 40 Prozent gesteigert und der Anteil erneuerbarer Energien auf 30 Prozent erhöht werden. Angesichts des offenkundigen Dilemmas der EU-Mitgliedsstaaten – sowohl Vorreiter beim Klimaschutz angesichts der Pariser Weltklimakonferenz 2015 als auch ein attraktiver Standort für die Industrie sein zu wollen – sowie der „Hardliner“ in Sachen Kohle im Ministerrat wie Polen, darf man auf die kommenden Diskussionen im Europaparlament gespannt sein.
Erreichtes bewahren
Ein aktuelles, kontrovers diskutiertes und deshalb der Demokratie dienliches Thema ist das geplante Transatlantische Freihandels- und Investitionsabkommen (TTIP) zwischen der EU und den USA. Mit diesem Abkommen sollen einerseits die letzten verbliebenen Zölle zwischen den USA und der EU abgebaut, andererseits einheitliche Normen und Standards für Investitionen, Verbraucherschutz und geistiges Eigentum vereinbart werden.
Der NABU und andere Umwelt- und Entwicklungsverbände befürchten, dass dabei hohe EU-Standards beim Verbraucher-, Gesundheits-, Klima- und Tierschutz nach den Vorstellungen der USA auf deren niedrigeres Niveau abgesenkt werden sollen. Hinzu kommt, dass die Verhandlungen bislang ohne intensive Beteiligung der Öffentlichkeit stattfinden und auch das EU-Parlament kaum einbezogen wird. Höchste Zeit, dass sich der europäische Souverän auch in dieser Frage vernehmlich zu Wort meldet – geben wir ihm dafür Ende Mai eine starke Basis.
Bernd Pieper