Mehr als 80 geladene Gäste folgten der Einladung zum NABUtalk. - Foto: Sebastian Runge
Waldumbau und Wildwirkung – Erwartungen an ein neues Bundeswaldgesetz
NABUtalk vom Donnerstag, den 23. Februar 2023, in der NABU-Bundesgeschäftsstelle
Der NABUtalk im Februar stieß erwartungsgemäß mit mehr als 80 Gästen auf sehr großes Interesse. Vier Impulsvorträgen folgte eine Podiumsdiskussion.
Dr. Martina Hudler von der Hochschule Weihenstephan-Triersdorf (HSWT) legt mit ihrem Impulsreferat über die Biologie des Rehwildes die Basis für ein hohes Maß an Differenziertheit in der weiteren Debatte. Sie betont, dass das Reh als äußerst anpassungsfähige Tierart einen sehr günstigen Erhaltungszustand in Deutschland aufweist. Die häufige Tierart erfüllt durch ihr Verhalten wichtige ökosystemare Funktionen und trägt prinzipiell positiv zur Biodiversität von Wäldern bei. Milde Winter und fast ganzjährige hohe Nahrungsverfügbarkeit in der Landschaftsmatrix führen allerdings auch zu Populationen oberhalb der natürlichen Lebensraumkapazität. Dies wieder führt zu Nachteilen sowohl für das Reh-Habitat (im Wald z.B. Baumartenentmischung) als auch für die gesundheitliche Kondition der Tiere. Jagdliches Management des Rehwildes ist daher von großer Wichtigkeit. Die Biologie des Rehs muss verstanden werden und das Management muss sich an die modernen Gegebenheiten der Kulturlandschaft anpassen bzw. weiterentwickeln. Auf Fütterung und Kirrung sei schon aus Tierwohlgründen zu verzichten, der Jagddruck muss minimiert werden und bei der Jagd sollten möglichst effiziente Methoden zur Anwendung kommen.
Lucia Gruber ermöglicht dem Publikum praxisnahe Einblicke in die Realitäten des nach ökologischen Kriterien ausgerichteten wald- und landwirtschaftenden Familienbetriebes im bayrischen Schöfthal. Die Erfüllung der Mindestgröße für die Eigenjagd brächte zwar Vorteile bei der Gestaltung des Jagdregimes entlang der eigenen Philosophie (Jagd wird nur auf Reh- und Schwarzwild ausgeübt) sowie der betrieblichen Ziele, aufgrund der Jagdpraxis in den angrenzenden Gebieten gelingt es jedoch kaum, im eigenen Wald eine Rehwildpopulation zu etablieren, welche eine effiziente Erhöhung der Laub-Mischbaumanteile ohne Schutz erlaubt. Bis auf Weiteres seien daher die teuren und arbeitsintensiven Zäunungen der Verjüngungsflächen eine unerwünschte Notwendigkeit. Lucia Gruber empfiehlt der Politik eine allgemeine Festlegung der Abschusspläne auf Basis von Vegetationsgutachten und wünscht sich mehr vertragliche Flexibilität bei der Jagdverpachtung.
Dr. Carsten Leßner vom Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und Klimaschutz des Landes Brandenburg (MLUK) erläutert die Notwendigkeit des neuen Brandenburger Konzeptes für ein Monitoring des Wald-Verjüngungszustands und des Wildeinflusses. Das Problem beim Waldumbau in Brandenburg beschreibt er im Kern als eine sehr geringe Zahl von Pflanzen in der Verjüngung, welche gleichzeitig sehr hohe Verbissgrade zeigten. Dies sei beunruhigend, da schon mäßiger Verbiss die Verjüngungsentwicklung und Baumartenzusammensetzung erheblich beeinträchtige. Mit einem sehr hohen Anteil von Nadelholzreinbeständen und gleichzeitig oft schwachen standörtlichen Bedingungen, stelle sich die Ausgangslage daher in Brandenburg, auch im Vergleich zu anderen Bundesländern, als prekär dar. Dr. Leßner betont, dass sich zwar die kumulative Wirkung verschiedener nachteiliger Faktoren ursächlich nicht immer eindeutig definieren ließe, Vergleichsflächen mit einem Jagdregime, welches die Schalenwild-Dichte deutlich reduziert, würden aber zeigen, dass die Wildwirkung über das Ge- oder Misslingen der Waldverjüngung maßgeblich entscheide. Monitoring sieht er zwar nicht als alleinige Lösung, aber doch als Grundlage einer sachlichen Diskussion und beste verfügbare Grundlage für die Erstellung der Dokumentation des Wildeinflusses. Darüberhinausgehend befürwortet Dr. Leßner die Novellierung des Bundes- und Landesjagdrechts.
Ulf Tielking stellt als Verantwortlicher am Ministerium für Klimaschutz, Landwirtschaft, ländliche Räume und Umwelt von Mecklenburg-Vorpommern (MLU) ebenfalls ein verbessertes Format für das gemäß Landeswaldgesetz §34 Absatz (2) 10 verpflichtende Monitoring der Wildwirkung im Gesamtwald vor. Herr Tielking betont, dass das neue Modell vor allem der Verbesserung der Sichtbarkeit des Problems sowie einer sachlichen Diskussion und dem Ausgleich unterschiedlicher Interessen dienen soll. Im Rahmen der derzeit laufenden Etablierung und Pilotierung des Monitorings sollen, neben einer verlässlichen Datenlage, auch Instrumente entstehen, welche die Kommunikation und Kooperation der Wald- und Wildbewirtschaftenden und weiterer Akteur*innen vor Ort unterstützen. Das Prinzip beruht dabei auf Erkenntnis, Verständnis und Freiwilligkeit. Eine Ausweitung der Nutzung des Monitorings für Instrumente des Ordnungsrechts ist zunächst nicht vorgesehen. Die Ergebnisse des Monitoring- und des Kommunikationsprozesses sollten idealerweise in die Verschriftlichung von freiwilligen, aber wechselseitig akzeptierten Zielvereinbarungen zwischen den jeweiligen Waldbesitzenden und Jagdausübenden münden.
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Prof. Dr. Andreas W. Bitter (Präsident der AGDW), Konstantin Kreiser (NABU-Fachbereichsleiter Naturschutzpolitik) und Dr. Axel Heider (BMEL). - Foto: Sebastian Runge
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Die Gäste bringen sich mit ihren Fragen und Anregungen in die Paneldiskussion ein. - Foto: Sebastian Runge
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Während des Get-togethers im Anschluss an die Paneldikussion. - Foto: Sebastian Runge
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Im Nachgang der Veranstaltung wurde rege weiter diskutiert. - Foto: Sebastian Runge
Paneldiskussion (Moderation: Konstantin Kreiser, NABU-Fachbereichsleiter Naturschutzpolitik)
Der NABUtalk im Februar widmet sich der Frage, wie Rahmenbedingungen des Wildmanagements im Hinblick auf den Waldumbau hin zu reich strukturierten Mischwäldern im Zeichen der Klima- und Biodiversitätskrise zukunftsfähig gestaltet werden können. Insbesondere steht die Frage im Raum, welche Rolle Wildwirkungs- und Vegetationsgutachten dabei spielen können. Große Einigkeit zeigte sich bei den Teilnehmenden auf der Ebene des Problembewusstseins. Zudem gab es eine weitgehende Offenheit für die Etablierung solcher validen Systeme zum Monitoring der Verjüngung und Wildwirkung. Unterschiedliche Einschätzungen offenbarten sich bei der Frage, welche unmittelbare Bedeutung resultierenden Daten beigemessen werden sollte und welche Maßnahmen es zusätzlich benötige, um den Interessenausgleich zwischen den Landnutzergruppen zu befördern und in praktikable Lösungen umzusetzen.
Eine wichtige Erkenntnis des Abends: Vegetationsmonitoring-Systeme können als Grundlage verschiedener Lösungspfade dienen. Idealerweise sollte Monitoring dabei auch immer als Instrument der integrativen Kommunikation gedacht werden. Methoden und Ressourcen sollten für eine gemeinsame Interpretationslogik bereits mit angelegt werden.
Prof. Andreas Bitter, Präsident der AGDW - Die Waldeigentümer, setzt sich vor allem für eine Stärkung der Eigentümer*innenrechte bei der Jagdausübung ein. Als Beispiel nennt er hier etwa die Ermöglichung der Bildung von gemeinschaftlichen Jagdbezirken in der Größe von Eigenjagdeinheiten; außerdem, dass jagdliche Rechte der Kleinwaldbesitzer*innen zukünftig auch in Vertretung durch die zugehörige Forstbetriebsgemeinschaft ausgeübt werden könnten. Waldbesitzer sollten für die gesellschaftlich geforderte Aufgabe des Waldumbaus vor allem umfassend informiert, befähigt und wo nötig auch öffentlich gefördert werden. Gleichzeitig plädierte er für ein hohes Maß an Flexibilität und gegen eine Ausweitung ordnungsrechtlicher Vorgaben.
Hans von der Goltz, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Naturgemäße Waldwirtschaft (ANW), pflichtet dem zwar grundsätzlich bei, sähe jedoch verlässliche Monitoringverfahren mit revierweiser Aussagekraft durchaus als mögliche Grundlage für ein Wildmanagement mit Zielvereinbarungen. Für den Fall, dass solche Vereinbarung wiederholt deutlich verfehlt würden (Ampel rot), sollten Konsequenzen vertraglicher- oder ordnungsrechtlicher Art durchaus möglich werden. Grundlage für solch ein zielgerichtetes Miteinander sollte ein vertrauensbildender jährlicher gemeinsamer Waldbegang sein. Er verweist weiter auf das neue Positionspapier des DFWR zur Jagd, welches relevante praktische Empfehlungen und Vorschläge für die Novellierung des Forst- und Jagdrechts beschreibt. Gefordert wird hierin unter anderem die gemischte Verjüngung des Waldes im Wesentlichen ohne Schutzmaßnahmen, die Abschusserfüllung für Rehwild auf der Grundlage von Vegetationsgutachten sowie flexiblere Gestaltungsmöglichkeiten für Jagdpachtverträge.
Dr. Astrid Sutor vom Deutschen Jagdverband (DJV) würde sich gegenüber neuen Monitoringverfahren nicht grundsätzlich verwehren. Sie gibt aber gleichzeitig zu bedenken, dass Vegetationsgutachten keine direkten ursächlichen Rückschlüsse erlaubten und auch nicht geeignet sind, um auf Bestandshöhen von Schalenwildarten zu schließen. Erst in der Zusammenschau mit anderen Lebensraumparametern könnten sie zu einer Objektivierung der Wildschadenssituation beitragen. Denn entscheidend für die Wildwirkung sei die Summe aller Lebensraumqualitäten in Raum und Zeit. Beispielsweise würden Aspekte wie Nahrung, alternative Äsungsangebote, Störungen und Rückzugsräume die Verteilung und das Verhalten des Wildes stark lenken. Jagdausübende dürften keinesfalls für sämtliche, ursächlich komplexen, unerwünschten Resultate der Landnutzung verantwortlich gemacht werden. Frau Dr. Sutor plädierte daher für die Umsetzung einer wildökologischen Raumplanung (WÖRP). Nach dieser würden Managementpläne für Wildarten gemeinsam mit relevanten Beteiligten und Behörden in integrierter Betrachtung erstellt. Zudem würden hierbei auch Aspekte wie Lebensraumverbesserung, Strukturvielfalt, Habitatvernetzung und Wildlenkung mitadressiert.
Simon Grohe von der NABU-Stiftung Nationales Naturerbe betont in der Diskussion die große Bedeutung der Herstellung günstiger Bedingungen für die Entfaltung der Selbstheilungskräfte der Wälder durch natürliche Verjüngung. Eine gute Kenntnis der Verjüngungsfähigkeit der Waldbestände und der Wildwirkung diene nicht nur den Interessen der Wirtschaftswaldbesitzer*innen, sondern würde z.B. auch wichtige Hinweise für die Erreichung der Ziele im Flächennaturschutz liefern. Großräumig wirksame Konzepte, wie etwa eine wildökologische Raumplanung, seien richtig. Gleichermaßen wichtig seien aber auch kleinräumig aussagefähige Daten, um auch auf Revierebene Bedarfe zu erkennen und wirksame Strategien zu entwickeln und umzusetzen. Simon Grohe betont, dass wir angesichts der Herausforderungen unserer Zeit aufgefordert sind, ins Tun zu kommen und gangbare gemeinsame Schritte in Richtung eines zukunftsfähigen und integrierten Landmanagements auch gemacht werden sollten. Verbleibende Ungewissheiten bei der Einschätzung über Reichweite, Wirksamkeit und praktischen Umsetzung von Vegetationsgutachten sollten deren Einführung heute nicht behindern. Entsprechende Regelungen sollten daher in einem neuen BWaldG auch Verankerung finden.
Dr. Axel Heider, verantwortlich für Wald-, Jagd- und Forstpolitik als Unterabteilungsleiter im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), ordnete die Wortbeiträge mit offenen Ohr, als insbesondere relevant für die derzeit anlaufende Neufassung des Bundeswaldgesetzes (BWaldG) und für die neue Bundeswaldstrategie, ein. Gleichzeitig stellte er fest, dass die Debatte des Abends durchaus über den möglichen Regelungsrahmen eines neuen BWaldG hinausreiche und einige der besprochenen Ansätze letztlich wohl nur durch eine parallele Regelung im Jagdrecht adressierbar würden. Dies wäre ein Vorhaben, dass allerdings nicht im aktuellen Koalitionsvertrag vereinbart ist und dem deshalb nur Realisierungsschancen zukämen, wenn beide Seiten – Waldeigentümer wie Jägerschaft bzw. deren Verbände – über das Thema Wald-Wild Einigkeit erzielten und die Politik ein entsprechendes Ergebnis aufgreift.