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Tierarznei Diclofenac vergiftet Millionen Vögel / Rückgänge auch in Afrika
29. März 2005 - In Indien, Pakistan und Nepal ereignet sich eine Tiertragödie riesigen Ausmaßes. Innerhalb von nur rund zehn Jahren ist dort das einstmalige Millionenheer von Indischen Geiern, Bengalengeiern und Schmalschnabelgeiern bis auf kleine Reste zusammengeschmolzen. Je nach Art haben lediglich ein bis drei Prozent der Vögel überlebt und noch ist kein Ende absehbar. Die vom NABU-Dachverband BirdLife International erstellte Rote Liste der Vögel führt seit 2004 alle drei Arten als im Weltmaßstab „stark gefährdet“.
Die betroffenen Vögel zeigen gichtähnliche Symptome und sterben schließlich an Nierenversagen. Während zunächst eine noch unbekannte Viruskrankheit vermutet wurde, fanden Forscher inzwischen heraus, dass das Medikament Diclofenac Hauptverursacher des Massensterbens ist. Dieses aus der Humanmedizin stammende, entzündungshemmende Mittel wird seit den 90er Jahren in Indien, Pakistan und Nepal auch in der Tiermedizin eingesetzt – vor allem bei Rindern. Die Geier nehmen den Wirkstoff über die Haustierkadaver auf, von denen sie sich ernähren. Modellberechnungen ergaben, dass bereits eine Geier schädigende Diclofenac-Dosis in nur einem von 130 bis 760 Kadavern genügen würde, um die eingetretenen Populationsrückgänge auszulösen. Wie Untersuchungen zeigen, ist der tatsächliche Anteil kontaminierter Kadaver noch wesentlich höher.
Sechs Aufzuchtstationen geplant
„Inzwischen sind die Geierbestände in den meisten Regionen so klein, dass eine Erholung in freier Wildbahn nicht mehr möglich ist“, erläutert Vibhu Prakash vom indischen BirdLife-Partner Bombay Natural History Society (BNHS). Die BNHS sowie die BirdLife-Organisationen in Pakistan und Nepal planen deshalb zusammen mit staatlichen Stellen nun insgesamt sechs Geier-Aufzuchtstationen. Eine besteht bereits im indischen Haryana, eine zweite in West-Bengalen nahe dem Tigerreservat von Buxa hat im Februar ihre Arbeit begonnen. Unterstützung kommt dabei auch vom Peregrine Fund und dem britischen BirdLife-Partner RSPB, der für das Geierprojekt bereits 220.000 Euro an Spenden eingeworben hat.
In Haryana leben zur Zeit 44 Vögel, je zur Hälfte Bengalengeier (Gyps bengalensis) und Indische Geier (Gyps indicus). In zwei weiteren Großvolieren werden noch einmal 40 Vögel Platz haben. „Ziel ist es, Zuchttiere aus möglichst vielen Regionen zu finden, um die genetische Vielfalt hoch zu halten. Wir müssen uns allerdings beeilen, denn es wird immer schwieriger, überhaupt noch Geier für das Zuchtprogramm zu finden“, meint Vibhu Prakash. Das betrifft vor allem den ohnehin seltenen Schmalschnabelgeier (Gyps tenuirostris).
Im besten Fall ein Jungtier pro Paar und Jahr
„In Haryana hat sich in der Kürze der Zeit bereits ein erstes Geierpaar gefunden und kopuliert. Das ist immerhin ein ermutigendes Zeichen“, freut sich Chris Bowden vom Geierschutzprogramm der RSPB. Die Geier werden mit vier vis fünf Jahren fortpflanzungsfähig und ziehen im besten Fall pro Jahr einen Jungvogel auf. „Bis zur Auswilderung der ersten Zuchttiere wird es wohl mindestens noch zehn Jahre dauern“, schätzt Bowden. „Das Programm ist deshalb auf 15 Jahre und mehr angelegt.“
Unabdingbare Voraussetzung für die Rettung der Geier ist natürlich, dass das tödliche Diclofenac aus der Umwelt verschwindet. Bereits im September 2004 hatte die Regierung des indischen Bundesstaates Gujarat die Diclofenac-Verwendung in staatlichen Veterinäreinrichtungen verboten. Nun hat auch die indische Bundesregierung reagiert. Nach einer Sitzung des National Board for Wildlife verkündete Premierminister Manmohan Singh ein landesweites Anwendungsverbot des Entzündungshemmers bei der Behandlung von Vieh an. Die Landwirte und Tierärzte haben ein halbes Jahr Zeit, um auf alternative Wirkstoffe zu wechseln. Da die Wirkungsweise vieler Alternativen aber Diclofenac ähnelt, werden die Auswirkungen auf Geier und andere wild lebende Tiere genau zu beobachten sein. BirdLife International appelliert nun an die Regierungen von Nepal und Pakistan, ebenfalls ein Diclofenac-Verbot zu verhängen.
Dramatische Geier-Rückgänge auch in Westafrika
Unterdessen meldet die Zeitschrift World Birdwatch in ihrer März-Ausgabe, dass auch in Westafrika die Geierzahlen stark zurückgehen. Die Ornithologen Guy Rondeau und Jean-Marc Thiollay haben in Burkina Faso, Mail und Niger entlang einer 7.000 Kilometer langen Strecke die Bestände der Jahre 1969/70 und 2003/04 verglichen und sind zu erschreckenden Ergebnissen gekommen: Während die Zahl der Kappengeier (Necroscyrtes monachus) „nur“ um 45 Prozent zurückging, betrugen die Verluste bei Sperbergeier (Gyps rueppellii) und Weißrückengeier (Gyps africanus) in ländlichen Regionen mehr als 95 Prozent. Ohrengeier (Torgos tracheliotus alias Aegyphius tracheliotus) und Wollkopfgeier (Trigonoceps occipitalis alias Aegyphius occipitalis) sind in Westafrika inzwischen sogar nur in Kleinstbeständen einzelner Reservate vorhanden und außerhalb der Schutzgebiete praktisch ausgestorben.
Da Diclofenac bei den westafrikanischen Viehherden – soweit bekannt – nicht verwendet wird, liegen die Ursachen für den Geierrückgang anders als in Südasien. Rondeau und Thiollay nehmen an, dass angesichts von Lebensraumzerstörung und Überbejagung vor allem die Verfügbarkeit von Aas wild lebender Säugetiere abgenommen hat. Bei den Haustieren trägt die bessere medizinische Versorgung dazu bei, dass heute viel weniger Ziegen und Rinder im Busch sterben, also schwinden den Geiern auch hier die Nahrungsgrundlagen. Als weitere mögliche Gründe nennen Rondeau und Thiollay direkte Verfolgung der Geier und der weitgehend unkontrollierte Pestizideinsatz. „Doch was auch immer die Ursachen dieses auch für die Fachwelt unvermuteten Rückgangs sind: Wenn nicht schnell eingeschritten wird, werden bald sämtliche Geier aus Westafrika verschwunden sein.“ (elg)
Weitere Informationen:
- Infos über Diclofenac bei Wikipedia
- BirdLife-Sonderseiten zum Geiersterben (englisch)
- Homepage von BNHS und RSPB zum Geiersterben (englisch)
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