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Jetzt NABU-Mitglied werden!GiBBS-Projekt: NABU untersucht Biodiversität in Rohstoffgewinnung
Wie aus Verlust wieder Vielfalt wird




Steinbruch bei Lengerich - Foto: Christoph Scherber
Bei der Gewinnung von Rohstoffen wie Sand, Kies, Kalkstein oder Gips gehen Lebensräume für Tiere und Pflanzen verloren. Gleichzeitig können neue, sogenannte Pionierlebensräume entstehen, die für einige Arten überlebenswichtig sind. Das Projekt „Ganzheitliches Biodiversitätsmanagement in der Baustoffindustrie“ (GiBBS) aus der BMBF-Forschungsinitiative zum Erhalt der Artenvielfalt (FEdA), zielte darauf ab, Biodiversität, also biologische Vielfalt, in den Abbaustätten der Baustoffindustrie zu messen und zu fördern.
Rohstoffe wie Kies, Sand, Ton und Gips werden zur Herstellung von Baustoffen benötigt. Laut Umweltbundesamt machen sie mit 517 Millionen Tonnen (im Jahr 2015) den Löwenanteil der nicht-nachwachsenden Rohstoffe von insgesamt 769 Millionen Tonnen aus, die in Deutschland entnommen werden. Ihr Abbau ist mit erheblichen Eingriffen in Ökosysteme verbunden.
Abbaustätten als ökologische Nischen
Gleichwohl können Abbaustätten bereits während des Betriebs sowie nach der Rohstoffförderung besondere ökologische Nischen und damit Lebensraum für Pionierarten und Spezialisten bieten, die in Deutschland zum Teil selten geworden sind.
Wenn in Abbaustätten streng geschützte Tier- oder Pflanzenarten auftauchen oder einwandern, die in der bestehenden artenschutzrechtlichen Genehmigung nicht berücksichtigt sind, greift automatisch das Artenschutzrecht. Das bedeutet zum Beispiel, dass die Tiere nicht getötet und ihre Nester oder Verstecke nicht zerstört werden dürfen. Unter Umständen müssen Unternehmen ihre Arbeiten vor Ort unterbrechen bis geklärt ist, wie mit den Arten umgegangen werden kann. Der Haken: Viele Unternehmen vermeiden diesen Konflikt, indem sie durch sogenannte „Verhinderungspflege“ wertvolle Biotopstrukturen erst gar nicht entstehen lassen. Dadurch verhindern sie präventiv ein Ansiedeln oder Ausbreiten von Arten. Typische Verhinderungsmaßnahmen sind zum Beispiel das regelmäßige Einebnen von offenen Sandflächen oder das Entfernen von Wasseransammlungen, bevor sich Amphibien dort ansiedeln können.
Da dynamische Biotope in Deutschland jedoch kaum mehr vorhanden sind, ist jeder potenzielle Lebensraum wichtig, um die darauf spezialisierten Arten zu erhalten. Daher sollte die Verhinderungspflege möglichst unattraktiv für die Unternehmen sein und temporärer Artenschutz, sogenannte Natur auf Zeit, gefördert werden.
Was sind dynamische Lebensräume?
Dynamische Lebensräume sind Gebiete, die sich durch stetige natürliche oder anthropogene Veränderungen auszeichnen. Sie entstehen, wo Naturkräfte wie Wasser, Wind, Feuer oder Erdrutsche immer wieder neue Bedingungen schaffen, auf die sich spezialisierte Tier- und Pflanzenarten eingestellt haben. Zu den dynamischen Lebensräumen zählen unter anderem natürliche Auen, in denen es regelmäßig Überschwemmungen gibt und sich der Fließweg des Wassers immer wieder verlagern kann. Auch Dünen am Meer unterliegen einer stetigen Veränderung. In Gebirgsregionen sorgen Erdrutsche oder Steinschläge für Dynamik. Auch Waldbrände schaffen dynamische Lebensräume.
Was ist die Folge der Dynamik?
Eine häufige Folge der Dynamik ist, dass die bestehende Vegetation entfernt wird und eine Rohbodenfläche entsteht. Diese ist meist geprägt durch Trockenheit, stärkere Temperaturschwankungen und Nährstoffmangel. Es siedeln sich neue Arten an, die auf diesen Zustand spezialisiert bzw. angewiesen sind, sogenannte Pionierarten. Mit der Zeit verändert sich die Vegetation der Standorte schrittweise; ein Prozess, der als Sukzession bezeichnet wird. Durch die Ansiedelung weiterer Arten finden die Pionierarten oftmals keine geeigneten Bedingungen mehr vor. Sie sind darauf angewiesen, dass es in der Nähe immer wieder neue offene Flächen ohne dichte Vegetation gibt, auf die sie abwandern können.
Was hat das mit dem Abbau von Rohstoffen zu tun?
In Rohstoffgewinnungsflächen findet durch den Abbau eine regelmäßige Veränderung statt. Dadurch finden viele Pionierarten hier ein wertvolles Sekundärhabitat. Diese Arten bevorzugen meist trockene und warme Lebensräume mit einer geringen Vegetationsdichte. Zu solchen Arten zählen beispielsweise der Dünen-Sandlaufkäfer (Cincindela hybrida) und die Blauflügelige Sandschrecke (Sphingonotus caerulans). Auch finden sich in gerade neu entstandenen Lebensräumen weniger Konkurrenten und Fressfeinde, wovon etwa die Wechselkröte (Bufotes viridis) oder die Kleine Pechlibelle (Ischnura pumilio) profitieren.
Die Ergebnisse des GiBBS-Projekts zeigen:
- Mit gezielten biodiversitätsfördernden Maßnahmen können Abbaustätten wichtige Lebensräume für seltene und spezialisierte Arten bieten. „Jeder Abbau bedeutet einen Eingriff in die Natur und sollte soweit möglich vermieden werden. Wo er sich nicht verhindern lässt, kann – wie das GiBBS-Projekt zeigt – dennoch etwas Positives für die Biodiversität entstehen. Es kommt darauf an, dass die Unternehmen Verantwortung für die Artenvielfalt auf ihren Flächen übernehmen“, betont NABU-Artenschutzkoordinatorin Elena Kortmann.
- Viele Unternehmen, die im GiBBS-Projekt mitgewirkt haben, begreifen Biodiversitätsmanagement mittlerweile nicht mehr als Hindernis, sondern als Chance – etwa für die Kooperation mit Naturschutzbehörden, die Nachhaltigkeitsberichterstattung oder ein positives Betriebsklima.
- Deutlich wurde jedoch auch, dass die Anforderungen an Management und Monitoring stark von den jeweiligen Genehmigungsbehörden abhängen und zwischen den Bundesländern variieren. Damit biodiversitätsfördernde Maßnahmen künftig rechtssicher umgesetzt werden können, braucht es eine einheitliche, praxistaugliche Rechtsverordnung. Daran knüpft das F&E-Vorhaben „Dynamischer Naturschutz durch Natur auf Zeit beim Rohstoffabbau – rechtliche und fachliche Anforderungen“ an.
Neue Ansätze für mehr Biodiversität
Im GiBBS-Projekt haben der Naturschutzbund Deutschland (NABU), das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW), das Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels (LIB) und die Universität Münster zusammen mit Verbänden, Abbauunternehmen und Behörden gemeinsam neue Ansätze entwickelt, um Biodiversität in Abbaustätten zu fördern. Ziel war es, den Unternehmen ein besseres Verständnis für die Prozesse der Biodiversitätsentwicklung zu vermitteln und ein systematisches Monitoring auf den Betriebsflächen einzuführen. Damit lässt sich die Wirksamkeit biodiversitätsfördernder Maßnahmen – wie der Anlage von Kleingewässern oder der Schaffung offener Flächen mit frühen Sukzessionsstadien – bewerten.
Forschende des LIB und der Universität Münster dokumentierten in zwölf Gewinnungsstätten über 1.200 Tier- und Pflanzenarten, darunter seltene Amphibien, Reptilien, Insekten, Vögel und Pflanzenarten. Ein besonderer Schwerpunkt im Projekt lag auf der Frage, wie auch die Gesellschaft eingebunden werden kann: Über ein Citizen-Science-Projekt beteiligten sich interessierte Bürger*innen aktiv am Monitoring.
Citizen Science im GiBBS-Projekt
Citizen Science, auch Bürgerwissenschaft genannt, bezeichnet die aktive Beteiligung von Bürger*innen an wissenschaftlichen Forschungsprojekten. Die Beteiligung der Citizen Scientists kann je nach Projekt in unterschiedlichen Phasen erfolgen, etwa beim Sammeln von Beobachtungsdaten oder bei deren Auswertung. Ziel ist es, neues Wissen zu schaffen. Oft spielt auch Umweltbildung eine wichtige Rolle. Durch die Mithilfe vieler engagierter Menschen lassen sich größere Datenmengen erfassen. Ein Beispiel für bekannte Citizen-Science-Projekte ist die „Stunde der Wintervögel“ des NABU.
Im Rahmen des GiBBS-Projekts haben rund 30 ehrenamtliche Naturbegeisterte Monitoringaufgaben in Abbaustätten übernommen und dabei über 450 Arten nachgewiesen, darunter Amphibien, Tagfalter, Libellen, Vögel und Pflanzen. „Für Interessierte ist es eine tolle Gelegenheit, seltene Arten in außergewöhnlichen Lebensräumen zu entdecken und sich fachlich weiterzubilden. Gleichzeitig können Unternehmen ihr Engagement für den Naturschutz sichtbar machen“, erklärt Elena Kortmann, NABU-Artenschutzkoordinatorin.
Damit alle Citizen Scientists auf einem ähnlichen Wissensstand arbeiten und Fehler bei der Arterfassung vermeiden, wurde eine kostenlose Grundlagenschulung über die NABU-Naturgucker-Akademie entwickelt. Außerdem wurden in einem Handbuch das wissenschaftliche Biodiversitätsmonitoring in Abbaustätten erklärt, Fördermöglichkeiten für Biodiversität aufgelistet, Ziel- und Charakterarten für Gewinnungsstätten sowie typische Lebensräume und Bestimmungshilfen aufgelistet.
Das GiBBS-Projekt hatte eine Laufzeit von drei Jahren und wurde im Oktober 2024 abgeschlossen.
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Um naturschutzrechtliche Auflagen zu umgehen, versuchen manche Betriebe zu verhindern, dass sich geschützte Arten in Abbaustätten ansiedeln. Eine Initiative von Bundesverband Mineralische Rohstoffe (MIRO), Dachverband der deutschen Baustoff-, Steine-und-Erden-Industrie (bbs) und NABU soll nun Wege für eine Natur auf Zeit aufzeigen. Mehr →
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