Weißstörche im Winter - Foto: Bernd Petri
Im Schnee statt im Süden
Immer mehr Weißstörche verzichten auf den winterlichen Afrika-Urlaub
Menschen, die im Winter auf der A 67 in Südhessen unterwegs sind, staunen häufig nicht schlecht, wenn sie direkt neben der Autobahn Hunderte Störche erblicken, die in Schnee und Kälte nach Futter suchen. „Bei Groß-Gerau überwintern jedes Jahr rund 300 Weißstörche“, sagt Bernd Petri von der Bundesarbeitsgruppe Weißstorch. „Die vielen Störche – zumal im Winter – sind ein ungewöhnlicher Anblick, der auch schon zu Verkehrsunfällen durch abgelenkte Autofahrende geführt hat.“
Storchentreff neben der Autobahn
Die Vögel finden hier beste Bedingungen vor, denn nahe der Abfahrt Büttelborn gibt es mit dem NABU-Schutzgebiet „Bruchwiesen von Büttelborn“ einen idealen Lebensraum im nassen Niedermoor. Außerdem ist dort eine große Mülldeponie, auf der Fleischreste und andere Bioabfälle gelagert werden. Für die Störche ist das ein immer geöffnetes üppiges Büfett. Petri: „Der Storch nimmt das, was er kriegen kann, und bedient sich gerne an Abfällen von Menschen.“
Die Tiere sammeln sich in Gruppen von mehreren Hundert Vögeln auf Wiesen im unmittelbaren Umfeld der Deponie und machen damit den Landkreis Groß-Gerau zum größten Storchenüberwinterungsplatz Deutschlands. In kalten Winternächten schlafen die Störche auf Straßenlaternen und Dächern mitten in der Stadt.
Es ist noch genug zu essen da
Aber warum bleiben die Schreitvögel in Deutschland, statt nach Afrika südlich der Sahara zu ziehen? Es liegt auf der Hand, dass dies mit den milder werdenden Wintern zusammenhängt. Die Vögel ziehen üblicherweise weg, weil das Futter bei Minusgraden knapp wird. Da es in vielen Regionen kaum noch über Tage oder Wochen eine geschlossene Schneedecke oder Eis auf Gewässern gibt, finden sie heute auch in den kalten Monaten genug Schnecken, Würmer, Mäuse und kleine Fische. So können sie sich den kräftezehrenden und gefahrvollen Zug nach Afrika sparen.
Die Kälte selbst macht den Vögeln wenig aus. „Anders als kleine Singvögel wie Meise und Spatz können sie Wärme viel besser speichern“, erklärt Storchenexperte Petri. „Es gibt daher auch keinen Grund, sich Sorgen zu machen, wenn man einen Storch im Schnee sieht.“
Das Phänomen der Winterstörche wird bereits seit rund 20 Jahren beobachtet. Der NABU will mit einer Mitmachaktion mehr darüber herausfinden. Sie findet jedes Jahr ab dem 1. November statt. „Bei der ersten Auflage 2023 hatten wir rund 1.800 Beobachtungen in ganz Deutschland“, berichtet Petri. „Wir haben festgestellt, dass man inzwischen in allen deutschen Bundesländern im Winter Weißstörche antreffen kann. Meist sind das Störche, die nur kurze Strecken zurücklegen, etwa von Nord- nach Südhessen.“
Die Aktion zur Erfassung der Winterstörche läuft jeweils von November bis einschließlich Januar. Aber natürlich können Storchenbeobachtungen bei NABU-naturgucker.de das ganze Jahr über gemeldet werden. Entweder über das arten-offene Meldeportal oder über die Webapp zur Aktion, in der neben dem Weißstorch auch Schwarzstorch, Graureiher, Silberreiher und Kranich aufgeführt sind.
Im gesamten Oberrheingraben bis Mainz und Wiesbaden halten sich im Winter viele Störche auf. Auch in Teilen von Franken und Schwaben, bei Würzburg, Nürnberg und Mindelheim überwintern Störche. „Süddeutschland ist für den Storch schon fast zu einem mediterranen Raum geworden“, sagt Petri und schlussfolgert: „Es gibt eine hohe Dynamik im Anpassungsverhalten der Störche. Der Storch kann mit den Klimaänderungen gut umgehen, er ist anpassungsfähig, ein typischer Kulturfolger, das heißt, er passt sich an Veränderungen durch den Menschen an.“
Deutschlandweit inzwischen 13.500 Brutpaare
Befördert wird das Phänomen Winterstörche auch vom Müll. So locken Großdeponien wie in Südhessen die Vögel an, gerade in der kalten Jahreszeit, wenn die Nahrungssuche schwieriger ist als im Sommer. „Wir haben beobachtet, dass die Westzieher unter den Störchen, die nach Spanien oder Afrika ziehen, sich bei ihrer Route an ‚Superfood-Plätzen‘ orientieren, also großen Deponien, Kompostieranlagen und Müllkippen. Sie fliegen von Kippe zu Kippe“, sagt Petri. Westzieher bleiben häufig auch gleich in Spanien und leben auf den dortigen Deponien und Reisfeldern, in denen viele Weichtiere leben, die die Störche gerne fressen. Der Storchenbestand in Spanien hat sich dadurch in den vergangenen 40 Jahren verdreifacht.
Im Norden und Osten Deutschlands sieht man weniger Winterstörche, denn hier ist das Klima etwas ungemütlicher und damit das Nahrungsangebot kleiner. Auch gibt es weniger Großdeponien als im dichter besiedelten Westdeutschland. „Im Osten Deutschlands brüten die Ostzieher, die über den Bosporus nach Afrika fliegen. Sie haben ihr Zugverhalten bisher nicht verändert. Warum sie sich anders als die Westzieher verhalten, wissen wir bisher noch nicht“, sagt Petri. „Wenn in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg Winterstörche gesehen werden, sind das vermutlich Westzieher, die sich mittlerweile nach Osten ausbreiten, weil es im Westen schon zu voll für die Vögel wird.“
Vor allem im Westen nimmt der Weißstorchbestand seit Jahren stark zu. Die NABU-Storchenexpert*innen schätzen den aktuellen gesamtdeutschen Brutbestand auf rund 13.500 Paare. „Früher lebten mehr Paare im Osten Deutschlands, an Elbe und Oder. Heute klappern rund drei Viertel der Störche im Westen. Der Oberrhein ist zum Storchenparadies geworden“, sagt Petri. Das wird auch wieder in diesem Winter zu beobachten sein.
Silvia Teich (aus „Naturschutz heute“ 4/24)
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