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Lobby-Arbeit anno 1910: die ersten Naturschutzkampagnen



„Schon im Jahres 1875 wurde der seltene Paradiesvogel Diphyllodes Guilielmi-Tertii dem König der Niederlande gewidmet. Dieser, wie manche andere Paradiesvogelart, bildet selbst für unsere größten Museen eine begehrte Seltenheit.“ Aus dem Jahresheft 1914 – Illustration: Bund für Vogelschutz/E. Matthes
Wer die Entwicklung des Naturschutzes in den letzten Jahren verfolgt hat, könnte meinen, das Führen umfangreicher Werbekampagnen und intensives Lobbying gegenüber den politisch Verantwortlichen sei eine Erfindung unserer Tage. Doch bereits Anfang des letzten Jahrhunderts wendete der 1899 von der Industriellengattin Lina Hähnle gegründete Bund für Vogelschutz (BfV) alle Mittel und Strategien professioneller Lobbyarbeit an.
Den ersten großen Erfolg erringt der BfV 1908 mit der Verschärfung des Reichs-Vogelschutzgesetzes, das nun endlich auch den bis dahin in Deutschland noch üblichen Krammetsvogelfang, also den Fang vor allem von Wacholderdrosseln, verbietet. Dabei setzt der Bund offensichtlich nicht nur auf untertänige Eingaben, sondern auch auf „jahrelange Aufklärungsarbeit in der Presse“ und „zielbewusstes und unermüdliches Bearbeiten der Reichstagsabgeordneten“. Vor allem diese „persönlichen Einwirkungen“, meint Lina Hähnle, hätten „wohl im letzten Grunde den Sieg entschieden“.
In gleicher Art widmet sich der BfV dem nächstem Kampagnenthema, nämlich dem Kampf zur Rettung der Silberreiher und Paradiesvögel, die wegen ihrer prächtigen Federn bejagt wurden und die sich dann auf Damenhüten wiederfanden. Und mit hohem Werbeaufwand, unzähligen Vorträgen und Broschüren wird auch diese Kampagne erfolgreich geführt. Neu ist die enge internationale Absprache der Aktion, denn auch in anderen Staaten ist die Federmode bestimmendes Thema. So gehen die Gründung der Audubon Society in den USA und der britische Royal Society for the Protection of Birds (RSPB) im wesentlichen auf die Konflikte um den Import von Vogelbälgen und Federn wild lebender Arten zurück.
1910 kann der BfV den Weltreisenden und Erfolgsautor Carl Georg Schillings für die Sache gewinnen. Er verfasst eine Broschüre „Die Tragödie des Paradiesvogels und des Edelreihers“ und wird zum Hauptlobbyisten in der heftig geführten Auseinandersetzung mit der Modebranche. Vergeblich verweist der Verband der Hut- und Federindustrie auf die angebliche hohe wirtschaftliche Bedeutung der Sache und lässt Gutachten erstellen, nachdem die Paradiesvögel zumindest im Inselinneren der deutschen Kolonie Neuguinea „auf absehbare Zeit gar nicht aussterben könnten“. Der Kampf gegen die Federhüte wird zu einer breiten Bewegung. Selbst Kaiser Wilhelm II. ist sensibilisiert und drängt seine Frau bei einem Besuch in London, auf den Kauf solcher Hüte zu verzichten.

„Bei Ptillhoris alberti bilden nicht Schmuckfedern, sondern perlmutterartig schimmernde, auch nach vorne auszustreckende Horngebilde den Hochzeitsschmuck. Das Berliner Königliche Museum besitzt nur ein Exemplar dieses merkwürdigen Paradiesvogels .“ Aus dem Jahresheft 1914 – Illustration: Bund für Vogelschutz/E. Matthes
Bei Stückpreisen zwischen 800 und 1500 Reichsmark sind Paradiesvogelhüte absolute Luxusgüter. Im Reichstag wettert der nationalliberale Abgeordnete Dr. Paasche: „Es ist durchaus nicht notwendig, dass ein solcher Vogelbalg, der dem Jäger 200 Mark einbringt, gerade auf den Hüten der Damen prangt, wenn möglich noch mit Schnabel, Glasaugen und Krallen, damit das ganze arme hingemordete Tierchen den Hut der Dame ‚schmückt‘.“
Vordergründig geht es für den Staat lediglich um jährliche 40.000 Mark an Steuereinnahmen aus den Kolonien Samoa und Neu-Guinea. In der Haushaltsdebatte 1914 aber weist der spätere SPD-Innenminister Noske darauf hin, dass an den Hüten der Damen im übertragenen Sinn sogar Blut klebt: „Die Freigabe der Jagd bedeutet eine Drangsalierung der Eingeborenen, die selber in vielen Distrikten kaum etwas zu essen haben. Kommen Jagdexpeditionen ins Land hinein, dann ist die Folge die Requirierung von Lebensmitteln; Gewalt wird angewendet, da die Eingeborenen selbst nichts herzugeben haben, und die Folge sind ganz selbstverständlich Zusammenstöße. Wehren die Eingeborenen sich aber ihrer Haut und schießen einen Weißen nieder, dann werden Polizeitruppen in Bewegung gesetzt, und es beginnt das Niederbrennen der Dörfer und Zusammenschießen einer Anzahl von Eingeborenen, um das gefährdete deutsche Prestige wiederherzustellen.“
Bereits 1912 verhängen die Vereinigten Staaten ein Einfuhrverbot für Federn wild lebender Vogelarten, Großbritannien, Frankreich und Belgien ergreifen ebenfalls Schutzbestimmungen. Nachdem der Bund für Vogelschutz den Staatssekretär im Reichs-Kolonialamt, Wilhelm Heinrich Solf, als aktives Mitglied gewinnen kann, ordnet dieser schließlich für 1914 ein befristetes Abschussverbot für alle Paradiesvogelarten in Neu-Guinea an; außerdem erlässt der samoanische Gouverneur Schulz-Ewerth ein „vollständiges Vogelschutzgesetz im Sinne des Naturschutzes“.

„Die Vögel des Paradieses in Paris, dem Herzen der Schmuckvogelausrottung! Aber auch in Berlin und anderen Großstädten kann man Ähnliches beobachten.“ Aus dem Jahresheft 1914 – Illustration: Bund für Vogelschutz/E. Matthes
Wegen das Ersten Weltkrieges erübrigt sich die anstehende Verlängerung des Abschussverbotes, denn die spärlichen deutschen Kolonialtruppen werden im Pazifik schon früh von den Briten übermannt und am Ende des Krieges steht Deutschland ohne jede Kolonien da. Damit entfällt auch die Zuständigkeit für den Schutz der Paradiesvögel. (elg)
Kurze NABU-Chronik
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