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Über die Risiken der Nanotechnologie

Sportsocken, die nie mehr stinken; Zahpasta, die porösen Zahnschmelz repariert; fettfreies Speiseeis, das trotzdem schmeckt: Was bislang unmöglich schien – mit Hilfe der Nanotechnik wird es möglich. Die neue Technik beschäftigt sich mit industriell hergestellten Teilchen, die sich mit bloßem Auge nicht mehr erkennen lassen. Als Nano gilt alles, was weniger als 100 Nanometer misst, das ist rund tausendmal kleiner als der Durchmesser eines Menschenhaars. Da Nanopartikel die Eigenschaften eines Materials auf bisher ungeahnte Weise verändern, können sie in Textilien, Kosmetika oder Lebensmitteln große Wirkung entfalten.
Sonnencreme und Tennisschläger
Auf dem Geschäft mit den Nanoteilchen ruhen die Hoffnungen der Industrie. Kühlschränke und Lebensmittelverpackungen lassen sich mit Nanosilber antibakteriell beschichten, Salz und Puderzucker bleiben dank Nano-Siliziumdioxid klümpchenfrei. In Sonnencreme schützt Titandioxid im Nanoformat vor hautschädlichen UV-Strahlen. Mit sogenannten Nanotubes aufgerüstete Tennisschläger sind nahezu unzerbrechlich, Oberflächen wirken durch Nano-Zusätze schmutzabweisend. Das sind nur einige der rund tausend Anwendungen, die derzeit weltweit auf dem Markt sind. Die Möglichkeiten der neuen Technik scheinen unbegrenzt. Die Lebensmittel-Industrie experimentiert beispielsweise mit Milch, die sich beim Sauerwerden rot verfärbt, und einer Pizza, die je nach Ofen-Temperatur den Geschmack wechselt.
Während Lebensmittelhersteller auf neue Aromen, andere Texturen und eine längere Haltbarkeit ihrer Produkte setzen, erhoffen sich Mediziner eine neue Generation von Medikamenten: In Nanokapseln verpackte Wirkstoffe zur Krebstherapie könnten unbeschadet und zielgenau durch den Körper geschleust werden und das Geschwulst an Ort und Stelle bekämpfen. Erste Versuche zur Wärmetherapie von wiederkehrenden Hirntumoren, bei der Nanopartikel direkt in das kranke Gewebe gespritzt werden, sind bereits erfolgreich verlaufen. Auch in punkto Umweltschutz birgt die neue Technik großes Potenzial: Nanotechnisch optimierte Solarzellen mit höherem Wirkungsgrad, Autoreifen mit geringerem Rollwiderstand oder neue Werkstoffe für leichtere Autos und Flugzeuge könnten helfen, Energie und Rohstoffe effizienter zu nutzen.
Unkalkulierbare Nebenwirkungen
Doch Wissenschaftler warnen, die neue Technik berge Risiken für Umwelt und Gesundheit. Denn im Nano-Maßstab verändern sich die chemischen und physikalischen Eigenschaften von Materialien – sie reagieren völlig anders als in Normalgröße, ändern ihre Farbe, werden magnetisch oder leiten plötzlich Strom.
Eigentlich harmlose Substanzen können in Nanoform zu Gefahrstoffen werden. Beispiel Silber: Das Edelmetall, dessen keimtötende Wirkung man sich schon im Altertum zunutze machte, löst in Nanoform bei Rattten chronische Entzündungen der Lunge aus. Beispiel Titandioxid: In Experimenten erwies sich der Nano-Sunblocker als giftig für Algen und Wasserflöhe. Beispiel Kohlenstoff: Das chemische Element, das in der Natur unter anderem als Graphit vorkommt, wirkt in Nanoform tödlich: Jede siebte Ratte, die im Laborversuch Nanotubes aus Kohlenstoff einatmete, starb den Erstickungstod.
Inwieweit die im Tierversuch gewonnenen Erkenntnisse auf Menschen übertragbar sind, ist weitgehend unerforscht. Erwiesen ist, dass Nanopartikel über Haut, Lunge und Mund in den menschlichen Körper gelangen können. Das Umweltbundesamt (UBA) verweist auf Studien, die auf die Atemwege als gefährlichstes Einfallstor schließen lassen. Wegen ihrer Winzigkeit könnten die Teilchen tief in die Lunge eindringen und dort Entzündungen auslösen. Zudem sei nachgewiesen, dass Nanopartikel über die Lunge in die Blutbahn übertreten, im Körper verteilt werden und sich in Leber und Niere anreichern. Manche Partikel schaffen es sogar, biologische Barrieren wie die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden und ins Gehirn einzudringen. Welche gesundheitlichen Folgen das hat, ist allerdings noch unbekannt.
Winzlinge in der Nahrungskette
Das gilt auch für die Frage, ob Nano zur Umweltgefahr werden könnte. Klar ist, dass Sonnencremes mit Sunblockern im Nanoformat beim Baden vom Körper gespült und nano-optimierte Fassadenfarben vom Regen ausgewaschen werden. Die winzigen Partikel reichern sich langfristig im Boden und in Oberflächengewässern an und gelangen in die Nahrungskette. Die wenigen dazu vorliegenden Studien sind alarmierend: Insbesondere Nanosilber scheint für Eier, Embryonen und Larven von Tieren hochgiftig zu sein. Bereits in geringen Dosen lasse es beispielsweise Fischembryonen verkrüppeln, warnt das UBA. Gelangt Nanosilber aus entsprechend ausgerüsteten Kleidungsstücken über die Waschmaschine in die Kläranlage, reichert es sich im Klärschlamm an. Da der Schlamm als Düngemittel in der Landwirtschaft eingesetzt wird, besteht die Gefahr, dass Pflanzen und Bodenorganismen vergiftet werden.
Trotz erheblicher Wissenslücken über die Risiken der neuen Technik gibt es bislang kein Melderegister für Nano-Produkte. Auf dem Etikett muss nicht einmal ausgewiesen werden, ob Nanopartikel enthalten sind. Lediglich nanohaltige Kosmetika müssen ab 2012 gekennzeichnet werden. Für Lebensmittel wird derzeit im Rahmen der EU-Novel-Food-Verordnung eine Deklarationspflicht diskutiert. Bis eine solche Regelung in Kraft tritt, sollten Verbraucher die beworbenen Eigenschaften von Lebensmitteln, Kosmetika und Textilien genau studieren. Von Socken, die Geruchsfreiheit versprechen, solle man die Finger lassen, rät das Umweltbundesamt. Gegen Schweißgeruch hilft schließlich auch häufigeres Waschen.
Hartmut Netz
Passend zum Thema ist in der Reihe Edition Le Monde diplomatique als Heft 8 der Titel „Nano. Gen. Tech. – Wie wollen wir leben?“ neu erschienen. 112 Seiten. 8,50 Euro. taz 2010. ISBN 978-3-937683-28-7.