Erfolg vor Gericht: Niedersachsen muss Pestiziddaten speichern
Anspruch auf Transparenz bei Pflanzenschutzmitteln




Pestizideinsatz in Landwirtschaft - Foto: Shutterstock/Leonid Eremeychuk
18. Januar 2023 – Das Land Niedersachsen muss vom NABU beantragte Einsatzdaten zu Pflanzenschutzmitteln nahe Kleingewässern sichern – so hat das Oberverwaltungsgericht Lüneburg im Dezember geurteilt. Damit bestätigt es einen vorherigen Beschluss des Verwaltungsgerichts Oldenburg aus dem Jahr 2021 und weist eine Beschwerde der Landwirtschaftskammer unanfechtbar zurück.
Der NABU wollte wissen, welche Pestizide wo und in welchen Mengen ausgebracht werden und hat deshalb erstmals in zwölf deutschen Flächenländern Anträge auf Einsicht in die Aufzeichnungen von Pestizidanwendungen aus den Jahren 2018, 2019 und 2021 gestellt. Alle Bundesländer kamen diesen Anträgen nach, nur Niedersachsen verweigerte als einziges Bundesland die Datenerhebung und die Herausgabe. Dagegen klagte der NABU, mit Erfolg.
Landwirtschaftskammer muss Daten zu Pestizideinsatz sichern
Bis entschieden ist, ob das Land zur Herausgabe verpflichtet ist, müssen die Daten von der Landwirtschaftskammer gesichert werden, sodass die Aufzeichnungen nicht, wie sonst üblich, nach drei Jahren gelöscht werden können. Für den NABU ist dieses Urteil ein wichtiger Schritt hin zu mehr Transparenz und zum Schutz von Kleingewässern. Konkret geht es um Einsatzdaten in den Einzugsgebieten von Messstellen, die im Rahmen eines vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) durchgeführten Kleingewässermonitorings beprobt wurden.
NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger zeigte sich erfreut über das Urteil: „Der Einsatz von Pestiziden belastet die Natur und ist ein Haupttreiber für den Verlust unserer Insekten. Mit der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg ist uns ein weiterer wichtiger Schritt zu mehr Transparenz gelungen.“ Das aktuelle Urteil sei ein großer Erfolg und ein Appell an die Bundesregierung, die im Koalitionsvertrag versprochene bundeseinheitliche, digitale Einsatzdatenbank von Pflanzenschutzmitteln vorzulegen. „Nur mit Transparenz ist ein sachlicher Diskurs über die Umweltbelastung und die Risiken durch Pestizide möglich”, so Krüger weiter.
Doch noch ist der Rechtsstreit nicht abgeschlossen: Niedersachsen ist zwar nun verpflichtet, die Einsatzdaten zu speichern, will sie aber noch nicht herausgeben. Dazu ist noch ein Hauptverfahren vor dem Verwaltungsgericht Oldenburg anhängig.
Gute Aussichten für Hauptverfahren
„Die Einsatzdaten liefern wichtige Einblicke“, wie Dr. Verena Riedl, Teamleiterin für Biodiversität beim NABU, weiter erklärt: „Sie zeigen einerseits, wo die Risiken von Pestiziden besonders hoch sind und können andererseits zur Verbesserung von Risikobewertung und Minderungsmaßnahmen beitragen. Nach der ausführlich begründeten Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts sind wir zuversichtlich, dass das Verwaltungsgericht auch im Hauptverfahren in unserem Sinne entscheiden wird.”
Riedl erinnert auch an die globale Verantwortung: „Seit Jahrzehnten wissen wir, dass die Risiken durch Pestizide reduziert werden müssen. Es liegen nicht nur EU-weit Reduktionsziele vor, sondern nach der kürzlichen Weltnaturkonferenz hat sich nun auch die Weltgemeinschaft, darunter auch Deutschland, geeinigt, die Risiken von Pestiziden bis 2030 zu halbieren. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir wissen, wie viele Pestizide wo eingesetzt werden.“
Das Oberverwaltungsgericht gibt dem NABU in dem 13 Seiten umfassenden Beschluss in jedem Punkt recht. Vor allem an den strittigen Punkten hat das Oberverwaltungsgericht im Sinne des NABU klargestellt:
- Die Landwirtschaftskammer hat alle notwendigen Informationen, um ihrer Pflicht zur Herausgabe der Anwendungsdaten nachkommen zu können: Eine Datenbank mit Namen und Adressen der Anwender*innen sowie alle notwendigen Aufzeichnungen, die von Landwirt*innen bereitgehalten werden.
- Der Antrag war hinreichend bestimmt und zumutbar, weil die Bewirtschafter*innen durch die Angaben der Flächen ermittelbar sind.
- Ob der Verwaltungsaufwand von der Landwirtschaftskammer als zumutbar eingestuft wird, ist für den Anspruch auf Informationen nicht von Belang und stellt keinen Ablehnungsgrund dar.
Der NABU fordert seit langem, dass Einsatzdaten von Pflanzenschutzmitteln bundesweit dauerhaft gesichert, ausgewertet und für Umweltverträglichkeitsprüfungen für Gesellschaft und Wissenschaft verfügbar gemacht werden. Nach jahrelangem Pestizidstreit hat bereits der Verwaltungsgerichtshof Mannheim im Juni 2021 in zweiter Instanz den Informationsanspruch von NABU Baden-Württemberg und Landeswasserversorgung auf Herausgabe der Pestizid-Einsatzdaten bestätigt. Es besteht somit ein klares Informationsrecht, das nicht nur in Baden-Württemberg, sondern bundesweit gilt. Ausschlaggebend dafür die bundesweiten Anträge war eine im Juni 2021 vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) veröffentlichte Studie, die bundesweit viel zu hohe Pestizidbelastungen von Kleingewässern belegt. Die festgelegten Grenzwerte werden in 81 Prozent der untersuchten Bäche überschritten, teils sogar um mehr als das 100-fache.
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