Gelungene Umnutzung einer Bahnbrache: effektive Flächennutzung mit Dachbegrünung, vorgelagerter Grünfläche und begrünten Innenhöfen in Altona, Hamburg - Foto: Volker Gehrmann
Städte gut entwickeln
– so grün wie möglich, so dicht wie nötig
Unser Lösungsvorschlag: „Doppelte Innenentwicklung“
Im Jahr 2018 haben wir mit einer Drohne in Potsdam und Hamburg Luftaufnahmen gemacht, um gute und schlechte Beispiele einer nachhaltigen Siedlungsentwicklung in Bildern zu zeigen. Wir haben dabei Beispiele für flächenfressendes Bauen auf der grünen Wiese gefunden, aber auch für gelungene doppelte Innenentwicklung und ebenso für eine innerstädtische Nachverdichtung, die mehr Grün hätte vertragen können.
Hamburg aus der Luft: Unsere Beispiele für gute und weniger gute Stadtentwicklung
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Gute Nachnutzung der ehemaligen Speicherstadt in der revitalisierten Hafencity, Hamburg, aber eine Entsiegelung der Freiflächen wäre wünschenswert gewesen. - Foto-Volker Gehrmann
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Durch Blockrandbebauung kann flächensparend Wohnraum geschaffen werden, hier: Neuhöfer Straße in Hamburg - Foto: Volker Gehrmann
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Es geht auch mit Nachverdichtung: Dachausbau, Aufstockung und Blockrandbebauung in der Hamburger Vieringstraße - Foto: Volker Gehrmann
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So besser nicht: Viel Grünfläche verbraucht und wenig Wohnraum geschaffen im Fischbeker Heidbrook, Hamburg - Foto: Volker Gehrmann
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Flächenverbrauch ohne Ende: Bauprojekt auf der grünen Wiese im Torfstecher Weg, Hamburg - Foto:Volker Gehrmann
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Hamburg ist eine Kugel? Auf dieser Panorama-Drohnenaufnahme schon. - Foto: Volker Gehrmann
Potsdam ist die zweite Stadt, die wir per Drohne unter die Lupe genommen haben:
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Viel verbrauchte Grünfläche und neuer Wohnraum für zu wenige Menschen am Stadtrand von Potsdam - Foto: Volker Gehrmann
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Weiteres Negativbeispiel für Einfamilienhäuser auf der grünen Wiese: Friederich-Kunert-Weg in Potsdam - Foto: Volker Gehrmann
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Gelungene Nachverdichtung durch Innenhofbebauung in der Yorckstraße in Potsdam - Foto: Volker Gehrmann
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Leider mit Einfamilienhäuser bebaut, aber ansonsten gute Nutzung einer Konversionsfläche mit ÖPNV-Anschluss und einem integrierten Konzept mit Campus - Foto: Volker Gehrmann
Problem Flächenverbrauch
Deutschland verbraucht viel zu viel Fläche. Und das schon seit langem. Bereits 2002 wurde in der Nachhaltigkeitsstrategie deshalb das Ziel formuliert: Bis 2020 sollen nur noch maximal 30 Hektar jeden Tag durch Siedlungs- und Verkehrsflächen neu versiegelt werden. Doch auch 2023 ist Deutschland von diesem Ziel noch sehr weit entfernt. Denn der tägliche Flächenverbrauch liegt bei gut 55 Hektar pro Tag. Pro Minute wird also immer noch die Fläche eines durchschnittlichen Einfamilienhauses inklusive Grundstück versiegelt. Und das 30-Hektar-Ziel ist inzwischen von der Bundesregierung auf das Jahr 2030 vertagt worden.
Was also tun? Unser Lösungsansatz: In der Stadt sollte nur noch auf Flächen gebaut werden, die bereits versiegelt sind. Das Stichwort dazu lautet Innenentwicklung.
Was heißt „Doppelte Innenentwicklung“?
Innenentwicklung meint die Bebauung mit Gebäuden im Inneren von bestehenden Siedlungen, anstatt auf wertvollen Flächen am Siedlungsrand. Um in den Siedlungen dabei aber nicht die letzten Grünflächen zu verlieren, wurde das Modell der „Doppelten Innenentwicklung“ aus der Taufe gehoben. Dabei werden unbebaute – und meistens bereits erschlossene – Flächen noch bebaut, gleichzeitig aber Grünflächen beibehalten und weiterentwickelt. Im besten Fall führt das dazu, dass offene Flächen am Stadtrand geschont werden.
Brachliegende unversiegelte Bauflächen werden deshalb genau unter die Lupe genommen: Wie sehr eignet sich das Grundstück als Baufläche? Und wie wertvoll ist es als Frei- und Grünfläche? Erst nach dieser Einschätzung wird die Entscheidung getroffen, ob die Fläche bebaut werden darf oder nicht.
Wohnraum kann des Weiteren dadurch geschaffen werden, dass auf bestehenden Gebäuden weitere Stockwerke aufgesattelt werden oder auf bereits versiegelten Flächen gebaut wird. Gleichzeitig können städtische Frei- und Grünflächen erhalten, geschützt, besser vernetzt und qualitativ weiterentwickelt werden. Die wichtigen Funktionen der Frei- und Grünflächen als Lebensraum für Tiere und Pflanzen und als Erholungsraum für Menschen werden stärker in den Fokus gerückt.
In Ballungsräumen ist die Lage wegen der wenigen frei verfügbaren Fläche oftmals sehr angespannt. Umso wichtiger ist es, die Probleme mit allen Beteiligten gemeinsam zu lösen und sie in die notwendigen Prozesse einzubeziehen. Die Konfliktfelder Wohnungsbau, Naherholung und Naturschutz müssen gemeinsam betrachtet und miteinander in Einklang gebracht werden. Dabei müssen viele Fragen beantwortet werden: Wie können Anreize geschaffen werden, um vorrangig ungenutzte, aber zur Bebauung vorgesehene Flächen in der Stadt zu bebauen? Wie lässt sich bezahlbarer Wohnraum schaffen, ohne dabei unbebaute Flächen zu versiegeln? Wie kann der Konflikt zwischen Neubauten und Naturschutz gelöst werden? Wie passt der Traum vom eigenen Haus auf dem Land zu einer flächensparenden Stadtentwicklung? Ist es nötig und möglich, den Blick vom eigenen Kiez auf das Gemeinwohl zu lenken?
NABU-Grundsatzprogramm Nachhaltige Siedlungsentwicklung
Auf der NABU-Bundesverter*innenversammlung im November 2019 wurde ein neues Grundsatzprogramm zur nachhaltigen Siedlungsentwicklung vom NABU-Bundesfachausschuss Bauen & Siedlung vorgestellt und beschlossen.
Hier geht's zum GrundsatzprogrammStädtisches Grün ist unverzichtbar
Städtisches Grün erfüllt eine Vielzahl an wichtigen Funktionen. Denn Stadtflächen heizen sich aufgrund ihrer engen Bebauung, der starken Versiegelung und der hohen Verkehrsdichte viel intensiver und langanhaltender auf als ihr Umland. Und der Klimawandel verstärkt die Belastungen für den Menschen und die menschliche Gesundheit enorm.
Innerstädtische Grün- und Freiflächen haben einen nachgewiesen positiven Effekt auf die Luftqualität und das Stadtklima. Sie dienen der Naherholung, der Gesundheitsvorsorge und sind nicht zuletzt ein wichtiger Wasserspeicher und Lebensraum für Tiere und Pflanzen. Gerade durch das Zusammenspiel vieler unterschiedlicher Biotope auf engstem Raum gibt es innerhalb von Stadtgebieten ein ausgeprägtes Mosaik an Lebensräumen. Zum Beispiel kommen allein in Berlin knapp 20.000 verschiedene Tier- und Pflanzenarten vor.
Städtisches Grün ist ein besonders schützenswertes Gut und sollte nicht nur erhalten, sondern auch weiterentwickelt und besser geschützt werden. Darüber hinaus macht das Stadtgrün unsere Städte widerstandsfähiger gegen Hitzewellen und Starkregenereignisse – das ist wichtig im Hinblick auf den Klimawandel. Gerade daraus ergeben sich neue Herausforderungen an die Grünflächen in der Stadt. Sowohl bei der Artenzusammensetzung als auch bei der Wasserversorgung muss neu gedacht und angepasst werden.
Hamburger Grünmodell könnte Lösung für viele Städte sein
Der NABU Landesverband Hamburg hatte nach seiner Volksinitiative „Hamburgs Grün erhalten“ zusammen mit dem Hamburger Senat lange verhandelt und im Mai 2019 ein gutes Modell für den Erhalt der städtischen Natur vorgestellt. Bundesweit schlägt Hamburg damit als erste Großstadt einen richtungsweisenden Weg ein, mit dem eine Verbindung zwischen Grünerhalt und Siedlungsentwicklung tatsächlich möglich ist. Das sogenannte Hamburger Grünmodell könnte ein Lösungsansatz für zahlreiche Städte in Deutschland sein, die mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben.
Mehr zum hamburger Grünmodell
Ein Grund zum Feiern: Am 8. Mai 2019 beschloss die Hamburgische Bürgerschaft den „Vertrag für Hamburgs Stadtgrün“. Die Volksinitiative des NABU zeigt nach den ersten 5 Jahren ihre Wirkung. Mehr →
Hamburg bleibt grün! Das ist das Ergebnis der Volksinitiative „Hamburgs Grün erhalten“. Hier erklären wird die einzelnen Punkte der Vereinbarung.
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FAQs: Häufige Fragen – und unsere Antworten – zum Flächenverbrauch in der Stadt
Warum ist Flächenverbrauch ein Problem?
In Deutschland werden jeden Tag über 60 Hektar neue Fläche für Siedlungs- und Verkehrszwecke verbraucht. Dadurch gehen wertvolle Böden verloren, die dann Tieren und Pflanzen, aber auch der Landwirtschaft nicht mehr zur Verfügung stehen. Zudem bedeutet der große Flächenverbrauch in Deutschland eine Zerschneidung der Landschaft, einen Eingriff in die Lebensräume wilder Tiere und eine Veränderung des lokalen Klimas. Auch die Luftschadstoff- und CO2-Emissionen steigen, da neue Siedlungen und Verkehrsflächen auch mehr Verkehr verursachen. Fläche und Boden sind begrenzte Güter, die nicht nachwachsen. Um nachhaltig zu handeln, müssen wir deshalb den Flächenverbrauch drastisch reduzieren. Aus Sicht des Naturschutzes wäre es wünschenswert, überhaupt keine weiteren Flächen mehr zu versiegeln.
Was sind die Ursachen für Flächenverbrauch?
Die Hauptursachen für den Flächenverbrauch in Deutschland sind das Wachstum der Städte und Gemeinden und ein steigendes Verkehrsaufkommen. Das Problem des Flächenverbrauchs wird durch den Anstieg der Wohnfläche pro Kopf verschärft: Während er 1950 noch 20 Quadratmeter betrug, waren es 2015 bereits 46 Quadratmeter pro Person. Denn es gibt zunehmend mehr Ein-Personen-Haushalte und auch der individuelle Flächenbedarf steigt immer weiter. Seit 1990 ist die Bevölkerung nur um ein Prozent gewachsen, gleichzeitig nahm aber die Anzahl der Haushalte im gleichen Zeitraum um mehr als zwölf Prozent zu. Zudem erhöht der Bau von immer mehr Ein- und Zweifamilienhäusern den Bedarf an Straßen für flächenzehrenden Individualverkehr zur Erschließung der Wohngebiete.
Der NABU ist doch ein Naturschutzverband. Was hat Naturschutz mit Flächenverbrauch in der Stadt zu tun?
In vielen deutschen Städten gibt es aktuell zwei Trends, die immer wieder gegeneinander ausgespielt werden. Zum einen soll es mehr und vor allem bezahlbaren Wohnraum geben und gleichzeitig sollen die Städte grüner werden. Beide Interessen brauchen das begrenzte Gut der Fläche - wobei sich darüber streiten lässt, in welchem Maß. Zunächst ist der NABU ein Anwalt der Natur und setzt sich dafür ein, dass Städte grün bleiben und noch grüner werden. Denn in den Städten ist die Artenvielfalt sehr hoch, zudem sorgt das Stadtgrün für bessere Luft und ein gutes Stadtklima. Und nicht zuletzt sind Grünflächen wichtig für die Erholung der Menschen.
Die Forderungen nach ausreichend und bezahlbarem Wohnraum sind allerdings ebenso berechtigt. Mit seinem Engagement und Beitrag zum Thema Flächenverbrauch möchte der NABU Verständnis für die unterschiedlichen Interessen schaffen, die beide die knappen Flächen in der Stadt und am Stadtrand beanspruchen. Unser Ziel ist es, diesen Interessenskonflikt möglichst zufriedenstellend zu lösen.
Der NABU wirbt mit dem Konzept der „Doppelten Innenentwicklung“. Was ist das?
Das Deutsche Institut für Urbanistik schreibt auf seiner Seite dazu: „Doppelte Innenentwicklung heißt, Flächenreserven im Siedlungsbestand nicht nur baulich, sondern auch mit Blick auf urbanes Grün zu entwickeln. (...). Besonders in verdichteten Ballungsräumen ist urbanes Grün von hoher Bedeutung für die wohnortnahe Erholung der Menschen und hat wichtige ökologische Funktionen. Die doppelte Innenentwicklung bildet eine Schnittstelle zwischen Städtebau, Freiraumplanung und Naturschutz.“
In der Stadt ist die Luft doch eh schon so schlecht - sollten wir da nicht jede Grünfläche erhalten?
Wenn man lediglich die saubere Luft in der Stadt im Blick hat, ja. Allerdings gibt es noch andere Interessen und Funktionen einer Stadt zu berücksichtigen, zum Beispiel ausreichend Wohnraum zu schaffen. Bei der Abwägung, was mit einer Grünfläche geschehen soll, muss jede Fläche gesondert betrachtet und beurteilt werden. In die Interessenabwägung sollte einfließen, wie viel die Fläche zur Luftreinhaltung, zur Artenvielfalt oder zur Erholung beiträgt. Denn die Qualität von Grünflächen unterscheidet sich erheblich.
Warum sollte nicht mehr am Stadtrand gebaut werden, dort ist doch Platz?
Durch Bauen am Stadtrand wird der Natur großer Schaden zugefügt. Es gehen oft besonders wertvolle Böden verloren, die dann Tieren und Pflanzen, aber auch der Landwirtschaft nicht mehr zur Verfügung stehen. Auch die Luftschadstoff- und CO2-Emissionen steigen, da neue Siedlungen mehr Verkehr verursachen. Für die Straßen werden wieder Flächen versiegelt. Und es muss auch noch weitere Infrastruktur geschaffen werden, was Energie, Ressourcen und Geld kostet. Der NABU setzt sich deshalb dafür ein, dass in der Stadt alle Potenziale für Wohnraum und Gewerbe genutzt werden, die vorhanden sind: Unbebaute, aber bereits erschlossene Grundstücke bebauen, Häuser aufstocken, Gebäude sanieren und umnutzen. Die Bodenwertsteuer – ein Grundsteuermodell – könnte diese Maßnahmen befördern.
Was bedeutet Nachverdichtung?
Nachverdichtung bezeichnet die Nutzung von freien Flächen im Bereich bereits bestehender Bebauung. Sie erfolgt beispielsweise durch Nutzung von Brachen, Umnutzung von Flächen (Altindustrie), Hinterlandbebauung, Aufstockung von Gebäuden oder dem Andocken von Flächen.
Sind Nachverdichtung und Naturschutz nicht ein Widerspruch?
Beide Themen können Im Gegensatz zueinander stehen, allerdings ist das Ziel des NABU die Nachverdichtung im Sinne der doppelten Innenentwicklung. Denn hier dient die Nachverdichtung dem Schutz von Flächen im Außenbereich, welche ökologisch deutlich wertvoller sind als Flächen im Innenbereich. Der NABU will deshalb keine reine Nachverdichtung, sondern "doppelte Innenentwicklung", bei der behutsam nachverdichtet und gleichzeitig die Grünanlagen erhalten und weiter entwickelt werden. Grünflächen von vorneherein bei der Bauplanung festzuschreiben und Landschaftspläne verbindlich einzuführen, würde helfen, bestehende Grünflächen dauerhaft zu sichern. Nachverdichtung geht übrigens auch ohne Neubauten, zum Beispiel durch kleinere, aber besser geschnittene Wohnungen, Gemeinschaftseinrichtungen und Mischnutzungen. Aber auch die Aufstockung von Häusern oder der Ausbau von Dachgeschosswohnungen ist eine Option.
Sollte man unbebaute und unversiegelte Flächen in der Stadt nicht unbedingt erhalten?
Aus Sicht des Naturschutzes wäre es wünschenswert, überhaupt keine weiteren Flächen mehr zu versiegeln. Aber unter sozialen Gesichtspunkten - dass es eben bezahlbaren Wohnraum in den Städten geben soll - muss weiterer Wohnraum geschaffen werden. Neben der Sanierung und Umnutzung von bestehenden Gebäuden bedeutet das auch, neu zu bauen. Doppelte Innenentwicklung muss aus Sicht des NABU dabei das Leitmotiv sein. Flächen am Stadtrand würden eher geschont, Innerhalb des Stadtgebiets sollte berücksichtigt werden, dass Flächen unterschiedliche Qualität haben können. So gäbe es einen "Kompromiss" zwischen Wohnraumbedarf und Naturschutz.
Muss jede unbebaute Fläche bebaut werden? Beteiligt sich der NABU am Bauwahn?
Nein, nicht jede Fläche muss unbedingt bebaut werden. Bei jeder Fläche sollte es einen Abwägungsprozess geben, was sinnvollerweise mit ihr geschehen soll. Aber: Wenn es sich um ein bebaubares Grundstück handelt, für das die Gemeinde mit öffentlichen Geldern Baurechte und Infrastruktur geschaffen hat, dann plädieren wir sehr wohl dafür, dass hier auch gebaut wird. Denn die Alternative wäre, dass noch gänzlich unerschlossene und ökologisch meiste wertvollere Flächen am Stadtrand erschlossen, bebaut und damit versiegelt werden. Das gilt es unbedingt zu vermeiden.
Exkurs
Nachverdichtung könnte Wohnraumbedarf decken
Der Druck auf städtische Grünflächen ist durch die große Nachfrage an Wohnraum, insbesondere in Großstädten, hoch. Jedoch müssen für neuen Wohnraum nicht zwangsläufig Grünflächen verschwinden. Auch eine bessere Nutzung der innerstädtischen Flächen könnte diesen Druck verringern. Laut einer Studie der TU Darmstadt besteht für den Zeitraum 2019 bis 2022 ein Bedarf von rund 400.000 neuen Wohnungen jährlich. Dieselbe Studie sieht nach konservativen Schätzungen aber auch Chancen, durch Nachverdichtung gut 2,3 bis 2,7 Millionen neue Wohnungen zu schaffen. Etwa 1,2 Millionen Wohneinheiten könnten allein durch die Aufstockung von bestehenden Einzelhandelsflächen entstehen. Auch andere Gebäude könnten aufgestockt, Brachen saniert oder reaktiviert, nicht genutzte Büro- und Gewerbeflächen umgenutzt und Parkplatzflächen umgewandelt werden.
Nachverdichtungspotenziale mobilisieren
Doch warum werden diese Nachverdichtungspotenziale nicht ausreichend genutzt? Ein großes Hindernis sind Bodenspekulationen, denn sie sind ein sehr lukratives Geschäft. Leider fehlen den Kommunen bislang effektive rechtliche Mittel, um dagegen vorzugehen. Hier ist der Gesetzgeber gefragt.
Auch durch die bisherige Form der Grundsteuer ist es oftmals attraktiver, ein Grundstück brachliegen zu lassen als zu bebauen. Wenn diese zu einer reinen Bodenwertsteuer ausgestaltet würde, könnte sich das jedoch ändern. Am 18. Oktober 2019 wurde nun eine Grundsteuerreform beschlossen, die den Bundesländern abweichende Steuermodelle ermöglicht. Diesen Spielraum gilt es nun zu nutzen. Deshalb unterstützt der NABU den Aufruf „Grundsteuer: Zeitgemäß!“.
Fehlentwicklungen stoppen
Der Bedarf an Wohnraum lässt sich nicht durch den Bau von Einfamilienhäusern auf der grünen Wiese beheben. Doch genau diese Entwicklung befeuert der §13 b im Baugesetzbuch. 2017 wurde dieser Paragraphohne sachliche Argumentationsgrundlage und gegen den Willen des Bundesrates und des zuständigen Fachausschusses des Bundestages durchgedrückt und zunächst bis zum 31. Dezember 2019 befristet. Denn er erlaubt unter bestimmten Voraussetzungen die Neuausweisung von Bauflächen im beschleunigten Verfahren, also ohne Eingriffsausgleich, Umweltprüfung und Bürger*innenbeteiligung. Damit verwässert er den Schutz unbebauter Außenbereiche und missachtet den Grundsatz „Innenentwicklung vor Außenentwicklung“.
2017 sollte dieser Paragraph die Wohnungsnot beheben und mithelfen, die Flüchtlingskrise zu bewältigen. Inzwischen ist wissenschaftlich belegt, dass §13b klar am Bedarf vorbeigeht: In den Ballungsräumen Berlin, Hamburg und Bremen wurde er kein einziges Mal angewendet, stattdessen jedoch in besorgniserregendem Ausmaß im ländlichen Raum zum Bau von Ein- oder Zweifamilienhäusern.
Die Bundesregierung unterstützt mit dem sogenannten Baukindergeld weitere Flächenneuversiegelungen, anstatt Sanierungen zu fördern, die innere Ortslagen beleben könnten – und so Natur für die Zukunft der Kinder zu erhalten. Auf diese Weise wird die Zersiedelung im ländlichen Raum vorangetrieben, Dorfkerne veröden, Siedlungen blähen sich auf, Versorgungswege werden länger und Infrastruktur teurer.
Der große Verlierer dieser Entwicklungen ist vor allem die Natur. Es werden gut vernetzte Biotope zerschnitten und unbebaute, ungestörte Böden verschlungen, die wertvolle Lebensräume für Tiere und Pflanzen sind.
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