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Gefahren beim Ausbau der Stromnetze


Die Uckermark ist eine Landschaft der Weite. Unverstellt gleitet der Blick über Äcker und Wälder; nur wenige Straßen winden sich durch das sanft gewellte Hügelland, an den Seen und Mooren stößt man selten auf Menschen. Doch die Region nordöstlich von Berlin ist im Wandel. Mancherorts wird die Energiewende das Gesicht der Landschaft völlig verändern.
Zum Beispiel in der 40.000 Einwohner-Stadt Eberswalde. Der Netzbetreiber 50 Hertz plant hier eine 380 Kilovolt-Höchstspannungsleitung, die den Strom aus brandenburgischen Biomasse- und Windkraftanlagen nach Berlin leiten soll. Die 115 Kilometer lange Trasse würde das Stadtgebiet queren und zwei europäische Vogelschutzgebiete durchschneiden; eines davon im Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin, eines der größten zusammenhängenden Waldgebiete Deutschlands. Gegen die Trassenpläne hat sich Widerstand formiert: Empörte Bürger, die um ihre Gesundheit und das Wohl streng geschützter Vogelarten fürchten, haben sich zur Bürgerinitiative „Biosphäre unter Strom – keine Freileitung durchs Reservat“ zusammengeschlossen.
Todesfalle Erdseil
Konflikte wie diesen gibt es inzwischen an vielen Orten. Denn im Zuge der Energiewende muss das Stromnetz für die steigenden Strommengen aus erneuerbaren Quellen ertüchtigt werden. Das derzeitige Netz gilt als Flaschenhals der Energiewende. Die Bundesregierung hat deshalb im sogenannten Bundesbedarfsplan-Gesetz 36 Hochspannungstrassen zum „vordringlichen Bedarf“ erklärt und damit die sonst üblichen Planungs- und Bauzeiten für diese Leitungen drastisch verkürzt. 3.800 Kilometer neue Leitungen sollen den Windstrom aus dem Norden und Osten der Republik in die Industriezentren im Süden und Westen leiten.
Noch sind die Leitungskorridore nicht endgültig festgelegt und mit den Netzbetreibern wird vielerorts um den Verlauf und die technische Ausgestaltung gerungen. Meist dreht sich der Streit um die Frage: Freileitung oder Erdkabel? Dass neue Trassen gebaut werden, ist allen Beteiligten klar, doch Bürger haben Angst vor der elektromagnetischen Strahlung und Umweltschützer fürchten, dass der Naturschutz unter die Räder kommen könnte. Einseitige und kurzsichtige Planung gefährde Schutzgebiete und Lebensräume seltener Tier- und Pflanzenarten.
Zudem erhöhe sich durch zusätzliche Freileitungen das Kollisionsrisiko für Vögel, warnt NABU-Netzexperte Eric Neuling: „Gefährdet sind vor allem große Vögel wie Gänse, Störche, Trappen und Kraniche.“ Die Tiere nehmen abrupt vor ihnen auftauchende Hindernisse nur eingeschränkt wahr, weichen beim Anflug den stromführenden dicken Kabeln nach oben aus und geraten dabei in das darüber gespannte, dünne Erdseil, das die Freileitung gegen Blitzschlag schützt. Insbesondere an Küsten, Seen und Flüssen ist die Zahl der Opfer hoch: Untersuchungen an der Unterelbe und an einer sächsischen Talsperre haben ergeben, dass dort pro Jahr mehrere Hundert Vögel auf Freileitungen prallen und sterben.
Um eine Höchstspannungsleitung mit bis 60 Meter hohen Stahlmasten durch einen Wald zu bauen, muss eine breite Schneise geschlagen werden. Dadurch werde das Waldklima verändert, erläutert Eric Neuling. „Für angestammte Arten verschlechtern sich die Lebensbedingungen“. Er fordert, Vogelschutzgebiete sowie für Zugvögel unentbehrliche Rastgebiete generell vom Freileitungsbau auszunehmen. Das dichte Infrastrukturnetz in Deutschland biete Möglichkeiten genug, neue Leitungen entlang von Autobahnen, Bundesstraßen und Schienenwegen zu führen oder mit bereits bestehenden Leitungstrassen zu bündeln.
Naturschutz unter Druck
In sensiblen Gebieten biete sich anstelle einer Freileitung das Verlegen von Erdkabeln an, sagt Neuling: „Das ist oft die bessere Alternative für Mensch und Natur.“ Die elektromagnetische Strahlung werde minimiert, kein Vogel könne verunglücken und das Landschaftsbild bleibe weitgehend erhalten. Doch auch Erdkabel sind ein bleibender Eingriff in die Natur, denn über den Leitungen muss eine 20 Meter breite Schneise frei von Büschen und Bäumen gehalten werden. Außerdem weiß man noch wenig über die Auswirkungen von im Erdreich verlegten Höchstspannungsleitungen. „Da besteht Forschungsbedarf“, räumt Neuling ein.
Aber das kostet Zeit, die Noch-Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler nicht zu haben glaubt. Um den Netzausbau zu beschleunigen, würde er den Naturschutz am liebsten aushebeln: „Uns wäre bereits geholfen, wenn wir beim Durchqueren von Schutzgebieten einen Teil der EU-Regeln auf Zeit außer Kraft setzen könnten“, sagt Rösler. Doch wenigstens von dieser Seite droht kaum Gefahr: „Einer Änderung des EU-Rechts müssten die Mitgliedsländer zustimmen“, sagt Eric Neuling. „Das würde viel zu lange dauern.“
Von Hartmut Netz