Ergebnisse aus dem Nationalen Vogelschutzbericht 2019
Vögel verschwinden auf Wiesen und Feldern
NABU-Vogelexperte zur Lage der Vogelwelt in Deutschland
Alle sechs Jahre übermittelt die Bundesregierung ihren Nationalen Vogelschutzbericht an die EU-Kommission. Anfang 2020 ist der Bericht 2019 erschienen. Mit NABU-Vogelschutzexperten Lars Lachmann haben wir über die Ergebnisse gesprochen:
Was fällt Dir als erstes auf, wenn Du Dir die Zahlen anschaust?
In den Daten erkennt man deutliche Licht- und Schattenseiten: Wir erkennen, wo der Naturschutz erfolgreich ist, aber auch wo er bis heute fast völlig wirkungslos bleibt. Wirklich beängstigend ist die Situation der Vogelarten unserer Agrarlandschaften. Die Gesamtzahl dieser Vögel hat in Deutschland seit 1980 um 34 Prozent abgenommen. Das sind über zehn Millionen Vogelbrutpaare, die es heute nicht mehr gibt. Und ihr Verschwinden hält immer noch an.
Vögel der Agrarlandschaft – von welchen Vogelarten sprechen wir da?
Als Agrar-Vogelarten werden alle Arten bezeichnet, die in offenen Lebensräumen vorkommen, die in irgendeiner Form landwirtschaftlich genutzt werden, also vor allem Felder, Wiesen und Weiden. Diese Flächen machen den Großteil unserer Landschaft aus, nämlich aktuell fast 51 Prozent. Typische Agrar-Vogelarten sind Feldlerche, Rebhuhn oder Turteltaube, aber auch Bewohner feuchter Wiesen und Moore wie Braunkehlchen, Kiebitz, Brachvogel, Uferschnepfe oder Bekassine genauso wie Spezialisten trockener Heidelandschaften wie Heidelerche oder Brachpieper.
Im Gegensatz dazu geht es den Vögeln in unseren Wäldern und Siedlungen sehr gut: Summa summarum ist die Gesamtzahl der Vögel in Dörfern und Städten gleich geblieben, in den Wäldern sogar leicht angestiegen – wobei es auch innerhalb dieser Gruppen Gewinner- und Verliererarten gibt.
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Die zehn Vogelarten Deutschlands mit dem größten Bestandsverlust gehören zu den Agrarvögeln. Der Kiebitz hat beispielsweise 93 Prozent seines Bestandes verloren. - Foto: Frank Derer
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Beim Rebhuhn sind 91 Prozent der Brutpaare verloren gegangen. - Foto: Volker Saß/www.naturgucker.de
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Auch um den Vogel des Jahres 2020 steht es schlecht: Bei der Turteltaube beträgt der Verlust 89 Prozent. - Foto: Mathias Schäf
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Und bei der Bekassine 82 Prozent. - Foto: Volker Stiel/www.naturgucker.de
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Das Braunkehlchen verlor 57 Prozent seines Bestandes seit 1980. - Foto: Frank Derer
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Und auch die Feldlerche, die früher in der Feldflur allgegenwärtig war, hat um 55 Prozent abgenommen. - Foto: Axel Aßmann/www.naturgucker.de
Wie kann man sich die desolate Lage der Vögel unserer Felder und Wiesen erklären?
Die meisten dieser Arten leiden unter einer Entwicklung, die wir insgesamt als „Intensivierung der Landwirtschaft“ bezeichnen können. Und die schreitet bisher ungebremst voran und erreicht auch die letzten Winkel unserer Landschaft. Dazu gehört die zunehmende Maschinisierung der Landwirtschaft mit immer größeren Feldern, die immer weniger Restflächen wie Feldraine und Wegränder oder Hecken und Baumreihen übrig lässt, genauso wie der Wegfall von Brachflächen.
Ebenso gibt es in großflächigen Monokulturen keinen Platz mehr für Wildkräuter oder Insekten. Artenreiche Wiesen wurden vielfach zu Ackerflächen umgebrochen oder entwässert und gedüngt, damit sie in schneller Folge immer wieder gemäht werden können. Hier können keine Vögel mehr brüten. Gleichzeitig wird die Bewirtschaftung auf wenig fruchtbaren Böden wie Heideflächen oder sehr sandige Böden oft ganz aufgegeben, was genauso zu einem Verlust dieser Jahrtausende alten Kulturlebensräume führt.
Welche Rolle spielt das Insektensterben für die Vögel?
Hier sind die Zahlen sehr deutlich: Es fällt auf, dass unter den Vögeln, die sich von Insekten ernähren, besonders viele Arten Verluste zu verzeichnen haben. Bei den Arten, die zumindest ihre Jungen mit Insekten füttern, sind seit 1980 über acht Millionen Brutpaare verschwunden, während alle anderen Arten in der Summe sogar leicht zugenommen haben.
Der nationale Vogelschutzbericht
Mit dem Nationalen Vogelschutzbericht übermittelt die Bundesregierung alle sechs Jahre umfassende Daten über unsere heimischen Vogelarten an die EU-Kommission. Der Bericht enthält Informationen über Bestandsgrößen und Verbreitung von Vogelarten und zur Entwicklung der Bestände, die vor allem aus ehrenamtlichen Monitoringprogrammen stammen und vom Dachverband Deutscher Avifaunisten (DDA) zusammengestellt wurden. Die vollständigen Berichtsdaten können auf der Webseite des BfN (Bundesamt für Naturschutz) abgerufen werden.
Eine umfassende Darstellung der Ergebnisse findet sich in der neuen Publikation „Vögel in Deutschland 2019“, die Sie auf der Webseite des DDA (Dachverband Deutscher Avifaunisten) herunterladen können (PDF, 9 MB).
Was müsste sich ändern, um die Vögel der Agrarlandschaft zu retten?
Die Lage dieser Vogelarten hängt ganz einfach davon ab, wie wir unsere Landwirtschaft betreiben. Viele Landwirte sind sehr naturverbunden und würden gerne mehr für die Natur tun. Gleichzeitig aber müssen sie dafür sorgen, dass ihre Höfe wirtschaftlich überleben können. Und leider fördert die derzeitige Agrarpolitik das naturverträgliche Wirtschaften nicht. Diejenigen, die am meisten auf ihren Flächen produzieren, haben am Ende mehr Geld in der Tasche – egal ob auf diesen Flächen noch der Gesang der Feldlerche zu hören ist oder nicht. Auch ob es noch bunte Wiesen mit Insekten gibt oder das Trinkwasser frei von Umweltgiften bleibt, spielt für die Förderung durch die derzeitige Agrarpolitik und damit durch unsere Steuergelder kaum eine Rolle.
Vögel verraten uns sehr genau, wenn es in einer Landschaft Probleme gibt – und auf unseren Wiesen und Feldern schrillen die Alarmglocken. Wir brauchen jetzt einen Systemwechsel in der EU-Agrarpolitik. Für Landwirt*innen muss es sich künftig wieder lohnen, Platz für die Natur und Arten zu schaffen. Dafür müssen sich jetzt die Bundesregierung in Brüssel, aber auch die Länder und die einzelnen Landwirtschaftsbetriebe einsetzen.
Gibt es auch gute Nachrichten in dem Bericht?
Zunächst einmal ist es beeindruckend, dass es für fast alle heimischen Vogelarten inzwischen überhaupt so genaue Zahlen zu ihren Beständen und Bestandstrends gibt. Das ist eine einmalige Datenbasis für die Bewertung von Veränderungen in der Natur, die es in dieser Form und Qualität für keine andere Gruppe von Lebewesen gibt. Dies wäre nicht möglich ohne die Arbeit von Tausenden ehrenamtlichen Kartierer*innen und Vogelbeobachter*innen, die ihre Daten in die entsprechenden wissenschaftlichen Monitoringprogramme eingebracht haben.
Wenn man den massiven Rückgang der Agrarvögel bedenkt, ist es auch eine gute Nachricht, dass die Gesamtzahl an Brutvögeln in Deutschland seit 1980 nur um etwa sieben Prozent abgenommen hat. Noch hoffnungsfroher stimmt mich die Tatsache, dass es insgesamt etwa genauso viele Vogelarten gibt, die zunehmen, wie solche, die abnehmen. Dass wir heute trotzdem weniger Brutvögel haben, liegt daran, dass im Betrachtungszeitraum vor allem seltene große Vogelarten zugenommen haben, während eher kleinere aber häufige und eigentlich flächendeckend verbreitete Vogelarten die Verlierer sind.
Unter diesem Effekt versteckt sich der größte Naturschutzerfolg der letzten Jahrzehnte: Viele bekannte Flaggschiffarten des Naturschutzes haben in dieser Zeit spektakuläre Comebacks gefeiert.
Welche Arten sind damit gemeint?
Dazu gehören Vögel wie Seeadler, Kranich und Schwarzstorch, deren Bestände sich um das Sechs- bis Zehnfache vermehrt haben. Sie sind streng durch die EU-Vogelschutzrichtlinie geschützt, und auch die Einrichtung von Naturschutzgebieten und speziellen Schutzprogrammen haben ihnen geholfen. Man erkennt daran, dass der Naturschutz große Erfolge erzielen kann, wo er direkt wirken kann. Wo aber andere Politikbereiche, wie eben die Landwirtschaftspolitik, den Zielen des Naturschutzes entgegenwirken, nützen bisher auch die besten Naturschutzgesetze und -bemühungen wenig. Das muss sich ändern.
Nach dem letzten Nationalen Vogelschutzbericht sprach der NABU vom „großen Vogelsterben“. Können wir heute mit Blick auf den Gesamt-Trend aufatmen?
Die Daten des letzten Berichts vor sechs Jahren zeigten für den Zeitraum 1998 bis 2009 einen massiven Rückgang der Gesamtzahl an Brutvögeln von 12,7 Millionen Brutpaaren oder 15 Prozent des Gesamtbestands innerhalb von nur 12 Jahren. Das war erschreckend. Außer den damals wie heute stark abnehmenden Agrarvogelarten, waren auch viele häufige Singvögel aus anderen Lebensräumen betroffen. Im jüngsten Zeitraum des neuen Berichts, 2004 bis 2016, gehen die Zahlen nun aber leicht um sechs bis sieben Prozent nach oben. Die Agrarvögel nehmen zwar weiter ab, aber andere häufige Vogelarten wie Haussperling, Wintergoldhähnchen und Buchfink haben in den letzten Jahren wieder etwas zugenommen.
Wir können also tatsächlich etwas aufatmen: Ein generelles Vogelsterben gibt es offensichtlich nicht. Das Verschwinden der Agrarvögel bedeutet aber, dass wir in über der Hälfte der Fläche Deutschlands extrem zurückgehende Vogelbestände haben.
Wie fällt der Bericht aus Deutschland im Vergleich zu den anderen EU-Staaten aus? Wie geht es den Vögeln dort?
Die EU-Kommission ist gerade erst dabei, die Berichte aus den einzelnen Mitgliedstaaten zu analysieren und wird die Ergebnisse später in diesem Jahr veröffentlichen. Grundsätzlich zeigen sich jedoch die gleichen Trends in fast allen Mitgliedstaaten, nämlich der Verlust der Agrarvögel und der Schutzerfolg bei großen seltenen Vogelarten. Das ist auch nicht verwunderlich, denn beide Trends lassen sich maßgeblich auf EU-Regeln zurückführen, nämlich auf die gemeinsame Agrarpolitik der EU und auf die EU-Vogelschutzrichtlinie.
Wie wird sich der Vogelbestand in der Zukunft weiterentwickeln?
Die entscheidende Frage ist, ob es gelingt, in der Agrarpolitik das Steuer herumzureißen und eine naturverträgliche Landwirtschaft zu fördern. Dazu werden in diesem Jahr die wichtigsten Entscheidungen getroffen, in Brüssel und anschließend in Berlin und den Bundesländern. Gelingt dies nicht, müssen wir davon ausgehen, dass das Verschwinden der Agrarvögel unverändert weitergeht.
Auch die Zukunft der Vögel im Wald ist nicht gesichert. Gerade nach den trockenheißen Sommern der letzten Jahre gibt es Ideen, den deutschen Wald mit exotischen hitzeresistenten Baumarten aufzuforsten, gleichzeitig steigt der Bedarf an Holz für die Energienutzung. Beides wäre schlecht für die heimischen Waldvögel.
Bereits heute kann man auch die Auswirkungen des Klimawandels auf unsere Vogelwelt erkennen: Arten, die wärmeres Klima lieben, nehmen heute schon eher zu, während Arten, die kühles Klima brauchen, eher abnehmen. Dieser Trend wird sich noch verstärken. Der steigende Meeresspiegel macht sich auch schon an den Küsten bemerkbar: Die hochwassersicheren Flächen vor den Deichen werden immer kleiner, die Gefahr der Überschwemmung von Nestern von Küstenvögeln wie Austernfischern wird immer größer. Auch deshalb gehören bereits heute viele unserer Küstenvögel zu den Verlierern.
Können wir Verbraucher*innen etwas tun, um die Vögel zu unterstützen?
Auf jeden Fall. Zunächst einmal sind wir mündige Bürger*innen, die mit ihrer Stimme für den Naturschutz sprechen können. Man kann Initiativen von Naturschutzorganisationen unterstützen, diese als Mitglied unterstützen und natürlich sein Stimmrecht bei Wahlen entsprechend nutzen. Als Verbraucher*innen können wir naturschutzfreundliche Produkte wählen, um zu zeigen, dass es uns nicht egal ist, wie unsere Nahrung produziert wird. Meist sind die gängigen Bio-Labels dabei die beste Entscheidungshilfe.
Wer einen eigenen Garten besitzt, kann dort natürlich ganz konkret besonders viel tun. Wenn viele Menschen diese kleinen Fleckchen Erde als Mini-Naturschutzgebiete ansehen und entsprechend bewirtschaften, dann sieht zumindest die Zukunft für die Vögel in unserer unmittelbaren Lebensumwelt nicht schlecht aus.
Das Interview führte Friederike Opitz.
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