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Jetzt NABU-Mitglied werden!Die Streuobstlandschaft verändert sich
Was können wir tun, um die artenreichen Hochstamm-Obstwiesen zu erhalten?
27. November 2024 - Im Interview erklärt Dr. Markus Rösler, Sprecher des NABU-Bundesfachausschuss Streuobst, wie sich die Streuobstlandschaft verändern wird und was wir tun können, sie zu erhalten.
Lieber Markus, wie gestaltete sich das Streuobstjahr 2024?
In manchen Regionen im Osten Deutschlands wie in Sachsen, aber auch in Teilen Polens, gab es wegen Spätfrösten einen Totalausfall. In Baden-Württemberg als streuobstreichstem Bundesland gab es hingegen eine überdurchschnittliche Ernte. Wegen der eher schlechten Ernten der Vorjahre sind die Tanklager leer und die Preise für Mostobst lagen oft über 20 Euro pro 100 Kilo – das ist gut so.
Dabei leiden auch die Obstwiesen unter dem Klimawandel…
Ja, Hitze und Sonneinstrahlung sorgen für mehr Sonnenschäden an Bäumen und Früchten sowie für höheren Wasserbedarf – nicht nur bei Jungbäumen, sondern sogar bei vitalen Altbäumen. Höhere Temperaturen begünstigen die Ausbreitung von Krankheiten und Pilzen wie dem Schwarzen Rindenbrand, fördern Schadinsekten wie den Apfelwickler und die Ausbreitung der Mistel. Ein früherer Blühbeginn und zugleich weiterhin Spätfröste bedrohen die Ernten.
Wie wird sich der Lebensraum Streuobstwiese verändern?
Die Bäume unterliegen höherem Hitze- und Dürrestress sowie Sturmgefahren. Die artenreichen Blumenwiesen werden mit Klimaerwärmung und Extremwettereignissen wohl ganz gut zurechtkommen, zumindest in den nächsten Jahrzehnten. Wärmeliebende Arten wie der Wiedehopf und der Rotkopfwürger profitieren von den Veränderungen. Zudem kommen durch die Burgundische Pforte – einer Hochebene zwischen Vogesen und Jura – mediterrane Insektenarten vermehrt zu uns nach Mitteleuropa.
Es wird die nächsten Jahrzehnte in den Streuobstwiesen voraussichtlich eher Artenverschiebungen als gravierende Verluste von Arten geben. Das betrifft auch die Baumarten: Esskastanien, Walnüsse, Mandeln sowie Aprikosen werden wohl eine größere Rolle spielen, weil sich die für Obstbau geeigneten Regionen nach Norden erweitern. Auch gemischte Pflanzungen mit anderen Laubbäumen und Pflanzungen mit deutlich größeren Pflanzabständen zur Erleichterung der landwirtschaftlichen Grasnutzung sind zu erwarten.
Wie soll man die Bestände klimafit machen?
Bei längeren Dürrephasen muss man inzwischen sogar Altbäume gießen. Dies lieber sehr kräftig anstelle täglich: Die Wurzeln orientieren sich in die Richtung der Feuchtigkeit, also stärker nach unten, wenn seltener, aber sehr kräftig gegossen wird. Die Stämme, auch bei Bäumen im Ertrag, weißen und beim Schnitt auf der Südseite auf etwas mehr Blattwerk als Sonnenschutz achten. Bei allen Pflanzungen sollte man ausschließlich Sämlingsunterlagen verwenden und auf die Erhaltung der Pfahlwurzel in den Baumschulen drängen – beides ist wichtig für tiefe Wurzeln.
Wie können wir unsere Streuobstbestände bewahren?
Es gibt dramatisch zu wenig Nachpflanzungen, noch dazu mit oft schlechter Pflege. Nachpflanzungen besitzen höchste Priorität und müssen in großem Umfang erfolgen. Bayern ist da Vorbild mit einer landesweit vieljährig groß angelegten Pflanzkampagne. In anderen Bundesländern benötigen wir dringlich Sofortprogramme, um jährlich mindestens zwei bis drei Prozent der bestehenden Baumzahl zu pflanzen. Das bedarf verbindlicher Absprachen mit den Baumschulen, die mindestens zwei Jahre Vorlauf benötigen. Bei der Stammhöhe sollte man lieber auf zwei Meter oder 2,20 Meter setzen. Das erleichtert Mahd und Beweidung und ist für Spechte sowie den Artenreichtum auf Wiesen von großer Bedeutung.
Was ist bei der Mahd entscheidend?
Kleinräumigkeit, unterschiedliche Schnittzeitpunkte und Balken- statt Kreiselmäher – auf kleinen Flächen das Sensen – fördern die Artenvielfalt. Für Steinkauz, Grünspecht, Wendehals und Rotkopfwürger sollten manche Flächen auch schon im Mai und Juni gemäht werden.
Fördern die Länder auch Privatpersonen bei der Pflege von Streuobstwiesen?
Zu selten. Baden-Württemberg bietet immerhin ein bundesweit vorbildliches Programm mit mehr als drei Millionen Euro Landesmitteln pro Jahr zur Baumschnittförderung auch für Privatpersonen an.
Was sollte die Politik sonst noch tun?
Es braucht deutlich mehr Geld für Forschung, Pflanzung und Pflege, Verwertung und Vermarktung für Hochstämme und Hochstammprodukte, um die jahrzehntelange Bevorzugung des Plantagenobstbaus auszugleichen. Leider noch nicht gestoppt ist trotz bundesweitem Schutz des Biotoptyps die direkte Bebauung. Da müssen die Länder deutlich konsequenter rangehen.
Wie steht es um die wirtschaftliche Seite?
Weil die Preise für Streuobst meist viel zu niedrig sind, fehlen Anreize zur Bewirtschaftung. 25 Euro je 100 Kilogramm für Mostobst sollte das Mindeste sein. 2024 war das wegen der geringen Ernte schon oft Realität – es geht also! Immer gravierender wird die Konkurrenz durch Bio-Apfelsaft aus Plantagen: Da müssen wir im Regal auf „100 Prozent Streuobst“ oder „Hochstamm“ achten – und auf dem Wochenmarkt auch Birnen oder Zwetschgen kaufen, die nicht „makellos“ sind.
Woran können sich Verbraucher*innen orientieren?
Es gibt das NABU-Qualitätszeichen für Streuobstprodukte für vorbildliche Unternehmen. Die von uns, BUND und anderen gegründete Organisation Hochstamm Deutschland bereitet ein neues Zertifizierungssystem vor. In Baden-Württemberg soll nach Vorstellung des dortigen Agrarministeriums ab 2024 bei einem neu einzuführenden „Streuobst-Qualitätszeichen BW“ (PDF) das Beimischen von bis zu 15 Prozent Saft aus über 30-mal chemisch-synthetisch gespritzten Plantagen zulässig sein. Das ist ganz klar Verbraucher*innentäuschung. Wer Saft kauft, sollte auf 100 Prozent Streuobst achten und solche Mischgetränke von Streuobst mit Plantagenobst im Regal lassen.
Langfassung eines Interview in „Naturschutz heute“ 4/24
Zur Person: Dr. Markus Rösler
Dr. Markus Rösler ist seit Gründung 1992 Sprecher des NABU-Bundesfachausschuss Streuobst und damit dienstältester Sprecher aller NABU-Bundesfachausschüsse. Er stammt aus einer Obstbauernfamilie in Gerlingen, ist Praktiker wie Wissenschaftler, Ökologe und Landschaftsökonom. Er initiierte die Streuobstwiese von Prof. Dr. Michael Succow bei Greifswald sowie die regional bedeutsame Vaihinger Streuobstinitiative. Zudem veröffentlichte er seit den 1980er Jahren zahlreiche Streuobst-Publikationen, initiierte die bundesweiten Treffen der Streuobst-Aufpreisvermarkter seit 1996 und ist auch international als Referent für den NABU und die Zukunft des Streuobstbaus in Europa tätig.
Streuobst-Service: Vom Rundbrief bis zur Baumschulenliste
Streuobst-Rundbrief, Streuobst-Materialversand, Streuobst-Qualitätszeichen, Streuobst-Experten, zudem bundesweite, nach Bundesländern sortierte Listen empfehlenswerter Baumschulen, Brennereien und Mostereien. Das ist nur ein Teil der Service-Leistungen und Infos des NABU-BFA Streuobst.
Save the date: Internationale Streuobst-Tagung 25. bis 27. Juli 2025
Vom 25. bis 27. Juli 2025 wird in der Evangelischen Akademie Bad Boll eine Internationale Streuobst-Tagung des NABU-BFA Streuobst und zugleich das 6. Bundesweite Treffen der Streuobst-Aufpreisvermarkter stattfinden. Weitere Infos
Das Hintergrundpapier zum Streuobstbau des NABU-BFA Streuobst, bereits seit über 20 Jahren beliebtes vierseitiges Info-Blatt für Veranstaltungen und Informationen jeder Art, ist aktualisiert und kann hier heruntergeladen werden. Mehr →
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