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Jetzt NABU-Mitglied werden!Hintergrund: Ilisu-Staudamm in der Türkei
Skandalprojekt mit schlimmen Folgen für Mensch und Natur
3. Juni 2013 - Seit drei Jahren ist der Tigris auf Hunderten von Flusskilometern eine Baustelle. Ende August 2012 wurde der Fluss durch drei Tunnel umgeleitet. Seitdem laufen im ausgetrockneten Flussbett die Bauarbeiten für eines der umstrittensten Bauvorhaben weltweit: den Ilisu-Staudamm. Er soll für etwa 50 Jahre Strom bis in weit entfernte Metropolen liefern. Der türkische Umweltminister Veysel Eroglu nannte Ilisu ein „wichtiges strategisches und wirtschaftliches Projekt“. Aus Sicht des NABU ist Ilisu jedoch ein Skandalprojekt. Zusammen mit vielen anderen Nichtregierungsorganisationen warnen wir seit Jahren vor einer ökologischen und sozialen Katastrophe. Geht es nach der türkischen Regierung, soll der Damm schon im Sommer 2014 fertiggestellt sein. Geflutet wird danach ein Jahr lang, bis der Stausee komplett gefüllt ist.
Durch den Bau des Staudamms werden nun 400 Quadratkilometer Tigris-Flusstal sowie daran angrenzende Gebiete zerstört. Auch die Mesopotamischen Sümpfe im Süden des Irak sind betroffen – ein Gebiet von hohem kulturhistorischem und ökologischem Wert. Die Sümpfe inmitten der Wüste gehören zu den global bedeutendsten Regionen, da dort zahlreiche Vögel auf ihrem Zug Station machen und viele Arten nur hier existieren. Durch den Bau des Staudamms verlieren die Sümpfe ihre Wasserzufuhr und werden trockenfallen.
Jahrtausende altes Weltkulturerbe versinkt
Das riesige Inlanddelta gilt als die größte Oase der Welt und Wiege unserer Zivilisation. Die Sumerer entwickelten hier vor 6000 Jahren die Schrift und die Grundzüge der Landwirtschaft. Der Sage nach soll sich hier der biblische Garten Eden befunden haben. Dramatisch ist auch der Verlust eines weltweit einzigartigen Kulturerbes: der antiken Stadt Hasankeyf. Sie gilt als eine der ältesten Städte der Welt. Nicht nur, dass damit ein mehr als 12.000 Jahre altes Kulturerbe zerstört wird. Es werden auch Tausende Menschen gezwungen, ihre Heimat zu verlassen und verlieren fruchtbares Acker- und Weideland im Tigris-Tal. Ihnen droht nun die Verelendung, denn die geringen Entschädigungen widersprechen allen internationalen Standards.
Wegen der verheerenden Folgen für Mensch und Natur waren Deutschland, Österreich und die Schweiz im Jahr 2009 – erstmals in der Geschichte ihrer Exporthaftungen – aus dem Projekt ausgestiegen. Schon im darauf folgenden Jahr baute die Türkei weiter, obwohl inzwischen auch die meisten europäischen Banken und Baufirmen ihre Zusammenarbeit aufgekündigt hatten. In der Stadt Neu-Hasankeyef stehen bereits die ersten Häuser. Die Bewohner wollen sich jedoch weigern umzuziehen. Der Bau des Ilisu-Damms ist Teil des Südostanatolien-Projekts (GAP), einem Entwicklungsprojekt der Türkei, das insgesamt 22 Staudämme und 19 Wasserkraftwerke an Euphrat und Tigris errichten soll. Schon der Bau des ersten und größten Staudamms am Euphrat, des Atatürk-Staudamms, hatte 15 Jahre nach seiner Eröffnung, im Jahr 1998, zu einem ökologischen und ökonomischen Desaster geführt, das in der westlichen Öffentlichkeit jedoch kaum wahrgenommen wurde.
Auch internationale Spannungen könnten zunehmen, darunter Konflikte um Wasser mit den angrenzenden Ländern Syrien und Irak. Denn durch den Staudamm wird der Wasserzufluss in den Irak stark verringert, was dramatische Auswirkungen hätte: Die Wüstenbildung würde enorm verstärkt und lokale Klimaveränderungen wie Sandstürme würden zunehmen. Geht der Staudamm in Betrieb, wird der Irak mehr zudem als je zuvor von der türkischen Wasserpolitik abhängig sein. Denn etwa sechs Millionen Menschen im Irak leben am Tigris oder von Erzeugnissen aus dem Fluss, sind also unter anderem für die Bewässerung ihrer Felder oder den Fischfang abhängig von dem Gewässer.
Etwa 750 Millionen Menschen leiden aktuell unter den Folgen bestehender Staudämme – doch 5000 neue sind bereits geplant. Nun haben sich Staudamm-Gegner weltweit zu dem Bündnis „Damocracy“ zusammengeschlossen, um Ilisu und andere Dämme zu stoppen. Mehr →