Auge in Auge mit der Seenadel
So entstand die erste virtuelle Realität der Ostsee




Dunkles Grün – darauf muss sich jeder einstellen, der zum Tauchgang in die Ostsee aufbricht. Wer sich trotzdem traut, den erwartet ein einmaliges Naturschauspiel. Denn in den Tiefen der Ostsee verbirgt sich ein faszinierendes Unterwasserreich. Wogende Seegraswiesen, Sandbänke und artenreiche Steinriffe sind das Zuhause von Seenadeln, Robben und Schweinswalen – der einzigen heimischen Walart Deutschlands.
Virtueller Tauchgang
Was bisher nur Tauchern vorbehalten war, macht der NABU für alle erlebbar. Erstmals kann jeder die Geheimnisse und Schönheiten der Ostsee entdecken – ohne Flossen und Schnorchel, von zu Hause oder unterwegs. Unter dem Namen OstseeLIFE hat der NABU die deutschlandweit erste virtuelle Unterwasser-Realität (VR) zu einem heimischen Meer geschaffen. Täuschend echt wird der „Tauchgang“ durch die Ostsee mit einer VR-Brille. Über eine innovative Technik steuern Nutzer die virtuelle Unterwasserreise mit den eigenen Augen. Die 360-Grad-Realität lässt sich aber auch ohne VR-Brille am PC, Tablet oder Smartphone entdecken. Einmal „abgetaucht“, können per Mausklick verschiedene Lebensräume angesteuert werden.
Und dann ist eine bekannte Stimme zu hören: Der deutsche Schauspieler Axel Prahl, den die meisten als Kommissar Frank Thiel aus dem ARD-„Tatort Münster“ kennen, spricht über Kegelrobben und Seegraswiesen. Auch die Schauspielerin Ulrike Knospe war dabei und erzählt spannende Geschichten über die Bewohner der Ostsee.
Der NABU möchte mit „OstseeLIFE“ dafür sensibilisieren, wie vielfältig, aber auch wie gefährdet die faszinierende Meereswelt vor unserer Haustür bereits ist. Überfischung, industrielle Nutzung, intensiver Schiffsverkehr und die andauernde Verschmutzung bedrohen die Tiere und Pflanzen der Ostsee.
Schwierige Bedingungen
Zwei Wochen und 25 Tauchgänge brauchten die Filmemacher, um sechs marine Lebensräume ins Bild setzen zu können. Mit dabei: die Seegraswiese, Lunge und Kinderstube der Ostsee, das Millionen Jahre alte Kreideriff vor Rügen oder alte Schiffswracks, die Dorschen und Meeraalen eine neue Heimat geben. So entstand ein Kaleidoskop der Ostsee mit einer Vielfalt, die ihr wohl nur wenige zutrauen.
„Ich war am Ende beeindruckt von der Artenvielfalt in der Ostsee. Wer wie ich bis dato nur kristallklare Bedingungen gewohnt war, der staunt nach den ersten Tauchgängen, bei denen wir teilweise nur drei Meter weite Sicht hatten, wie viele Tiere man doch vor die Kamera bekommt“, sagt Holger Weber, der mit seinem Produktionsstudio Kubikfoto die VR-Welt umgesetzt hat.
40 Stunden auf dem Boot bei teilweise Sturm und Regen musste das Team aushalten. Gleich der erste Tauchgang mit dem schweren 360-Grad-Stativ endete bei Nullsicht, da sich durch ein Gewitter Kreideschleier gebildet hatten. Trotzdem wurde das Team noch mit schönen Erlebnissen belohnt: Im dänischen Kleinen Belt trieben sie bei sehr ruhiger See eine ganze Zeit zwischen einer Schule von Schweinswalen, die Heringe jagten.
16 GoPro-Kameras und viele Test-Tauchgänge
13 Personen haben in weiterer Folge daran gearbeitet, die Massen an Daten aufzuarbeiten. „Für diese Form der VR-Welt gibt es noch keine fertigen Tools, geschweige denn ein Baukastensystem, die unseren Ansprüchen genügten, da mussten wir alles neu denken und entwickeln", so Weber. "Virtuelle Realitäten stehen noch am Anfang und um die Ideen rund um das Projekt zu verwirklichen, mussten wir viel erfinden, beginnend mit der Kameratechnik bis zur Entwicklung der Programmierung." Um die 360-Grad-Aufnahmen zu erstellen, hat Holgers Team ein Stativ mit 16 GoPro-Kameras gebaut. „So etwas gab es bislang nicht“, sagt er.

Auch den Seehasen bekamen die Filmemacher vor die Linse - Foto: Wolf Wichmann
Damit es trotz Strömung stabile Bilder gibt, mussten die Kameras teilweise mit 15 Kilogramm Blei beschwert werden. „Ab einigen Metern Tiefe und nur mäßiger Sicht fehlen unter Wasser die für das spätere Stiching (aus 16 Kameraperspektiven muss eine werden) benötigten Kontraste und Referenzpunkte“, erklärt Weber. Hinzu kamen die einzelnen Test-Tauchgänge. „Wir mussten 10 bis 15 pro Tag durchführen, um nach geeigneten Orten zu suchen, die für das passende Thema und das Rig – das ist die Basis, an der die 16 GoPros so montiert werden, dass jeder Blickwinkel im Raum erfasst wird – geeignet sind“, so Weber. „Dass trotz der anspruchsvollen Bedingungen, die uns die Ostsee anfangs gestellt hat, am Ende ein solches Ergebnis herauskommt, hat uns alle begeistert.“
Mit 4K als hochauflösendem digitalen Videoformat und dem interaktiven Zuschauererleben ist die „OstseeLIFE“-Welt bislang einmalig. Und auch der Einsatz für den Naturschutz ist absolut neu. „Es handelt sich dabei nicht um einen linearen Film, sondern die Welt reagiert auf das Verhalten vom Nutzer“, so Weber. Außerdem kann problemlos zwischen den einzelnen Sphären, d.h. den Lebensräumen gewechselt werden.
Nicole Flöper
Abtauchen!
In den Tiefen der Ostsee verbirgt sich ein faszinierendes Unterwasserreich, das es zu entdecken gilt – ohne Flossen und Schnorchel, von zu Hause oder unterwegs. Möglich macht dies die erste virtuelle Unterwasser-Realität des Meeres vor unserer Haustür! Mehr →