Fast eine Milliarde Euro Agrarsubventionen in Niedersachsen ...
... doch die Natur bleibt auf der Strecke
Wir alle wollen, dass unsere Steuergelder sinnvoll ausgegeben werden. Doch gerade beim größten Posten des EU-Haushalts, der Agrarpolitik, passiert genau das eben nicht. 114 Euro zahlt jeder von uns pro Jahr für die Agrarpolitik. 58 Milliarden Euro insgesamt jährlich, die Landwirten und Umwelt zugute kommen soll. Aber das Gegenteil ist der Fall: Die Subventionen beschleunigen das Artensterben und belasten das Trinkwasser. Warum ist das so?
Ein genauerer Blick auf Niedersachsen - eine der größten Agrarregionen Deutschlands - liefert Antworten. 934 Millionen Euro Agrarsubventionen erhielt das Bundesland im Jahr 2017 - mehr Geld ging nur noch nach Bayern. Erstmals hat der NABU mit Hilfe von Daten-Analysten der Open Knowledge Foundation und Unterstützung der Heinrich-Böll-Stiftung diese Subventionen ausgewertet. Die Daten von 2017 zeigen, in welche Regionen die Subventionen fließen, wer von ihnen profitiert, und wie wenig Geld dabei für die Umwelt ausgegeben wird.
Die Ergebnisse untermauern auch die immer lauter werdende Kritik an der EU-Agrarpolitik, die derzeit in Brüssel neu verhandelt wird:
- Gießkannenprinzip fördert Maximierung: Knapp 60 Prozent der Subventionen fließen als Direktzahlungen an Landwirte. Nach dem Motto: Je mehr Fläche, desto mehr Geld.
- Geld verpufft: 23 Prozent der Subventionen werden für „Greening” ausgegeben. Diese Maßnahmen sollen eigentlich der Natur helfen, haben aber nachweislich kaum Nutzen für den Arten- und Naturschutz. Eine enorme Steuerverschwendung.
- Lediglich sechs Prozent für Natur und Umwelt: So wenig floss 2017 in eine naturverträgliche Landwirtschaft in Niedersachsen.
Hier können Sie die beiden Karten überspringen und gelangen direkt zur Analyse der Daten.
Karte 1: Auf dieser interaktiven Karte können Sie sehen: Wohin genau fließen die Agrarsubventionen Niedersachsens aus dem Jahr 2017? Wo wird mit diesem Geld die Umwelt gefördert, wo offensichtlich nicht?
Fahren Sie mit der Maus über die Postleitzahlenbereiche. Sie sehen in einem eingeblendeten Popup-Fenster, in welcher Höhe Agrarsubventionen in diesen Bereich fließen. Unterhalb der Karte sehen Sie darüber hinaus, wie sich diese Gesamtsumme für jeden Postleitzahlenbereich auf die verschiedenen Fördertöpfe aufteilt, also zum Beispiel Direktzahlungen, Ökolandbau oder Agrarumweltmaßnahmen.
Sie möchten zunächst mehr über die Struktur der EU-Agrarpolitik erfahren und welche Fördertöpfe für was genau gedacht sind? In unseren FAQ zur Gemeinsamen Agrarpolitik der EU (GAP) beantworten wir die wichtigsten Fragen. Und auf der Seite Wer bekommt wieviel aus dem EU-Agrarhaushalt? zeigen wir, welche EU-Mitgliedstaaten und welche Bundesländer die meisten Agrarsubventionen erhalten, und wofür sie ausgegeben werden.
Karte 2: Auf dieser Karte sehen Sie, wer im Jahr 2017 die drei Top-Empfänger pro Postleitzahl waren und wie viel Geld in einzelne Maßnahmen der Agrarsubventionen geflossen ist.
Fahren Sie mit der Maus über die Postleitzahlenbereiche. Sie sehen in einem eingeblendeten Popup-Fenster, wer die drei Top-Empfänger in dieser Region sind. Wenn Sie in dem Dropdownmenu statt "Alle Agrarsubventionen" einen anderen Maßnahmenbereich auswählen, sehen Sie, wohin zum Beispiel bei den "Agrarumweltmaßnahmen" die meisten Mittel fließen.
Subventionsverteilung in Niedersachsen - eine Analyse
Welche Aussagen lassen sich aus den erhobenen Daten in Niedersachsen ableiten? Ein genauerer Blick auf die Daten zeigt, wohin die Löwenanteile des Geldes fließen und wieso die Milliarde an Subventionen die Umweltprobleme eher verschärft als löst.
Fast 60 Prozent aller Agrarsubventionen sind pauschale Direktzahlungen
Insgesamt 934 Millionen Euro Agrarsubventionen flossen 2017 nach Niedersachsen. Der Löwenanteil von 553 Millionen (fast 60 Prozent) wurde als sogenannte Direktzahlung ohne konkrete Gegenleistung direkt an Landwirte ausbezahlt. Die Direktzahlungen dienen vorrangig der Einkommensunterstützung und werden pauschal nach Fläche berechnet. Wer am meisten Land hat, erhält auch am meisten. Zwar müssen Landwirte auch einige Auflagen erfüllen, um Direktzahlungen zu bekommen, aber diese sind zum Teil äußerst schwach.
Die meisten Direktzahlungen flossen nach Zeven-Elsdorf (fast 4,5 Millionen Euro), Friesoythe (4,2 Millionen Euro) und Neustadt am Rübenberge (fast 4 Millionen Euro). In diesen Kommunen liegen viele Betriebe mit viel Land. Die Direktzahlungen geben allerdings keine Auskunft darüber, wie intensiv oder umweltfreundlich hier gearbeitet wird.
Greening: 23 Prozent der Subventionen verpuffen ohne Nutzen für die Natur
23 Prozent der Subventionen (219 Millionen Euro) flossen 2017 in sogenannte „Greening“-Maßnahmen. Sie sind für Landwirte verpflichtend, wenn sie Direktzahlungen erhalten wollen. Die Betriebe müssen hierfür Grünland erhalten, die Vielfalt bei den Anbausorten erhöhen und auf mindestens fünf Prozent der Betriebsfläche ökologische Vorrangflächen einrichten. Um auf diesen Flächen jedoch weiterhin produzieren zu können, bauen niedersächsische Landwirte größtenteils Leguminosen, wie Ackerbohnen, oder Zwischenfrüchte (in etwa 70 Prozent der Fälle) an, statt auf Maßnahmen zur Förderung der Artenvielfalt wie Blüh- oder Pufferstreifen (unter 4 Prozent), Brachen, Raine oder Hecken zu setzen.
Der Nutzen der Greening-Maßnahmen für die Natur ist also äußerst gering und hilft in Niedersachsen kaum, die Artenvielfalt zu retten. Auch wenn dies ursprünglich eines der Hauptargumente für die Einführung des Greenings war.
Umweltmaßnahmen und Ökolandbau bleiben auf der Strecke
Die wirkungsvollsten Maßnahmen für die Natur werden von Landwirten leider fast gar nicht umgesetzt. Lediglich rund sechs Prozent der Subventionen (58,8 Millionen Euro) flossen in sogenannte „Agrarumwelt- und Klimaschutzmaßnahmen“ sowie den Ökolandbau und sonstige Prämien (4,6 Prozent Agrarumwelt- und Klimaschutzmaßnahmen, 1,6 Prozent für Ökolandbau). Wenn überhaupt Geld gezahlt wird, dann für kleine Flächenanteile. Dadurch sind es häufig kleine Summen, im Durchschnitt 4.000 Euro für die Agrarumwelt- und Klimamaßnahmen.
Die Kommune, die 2017 am meisten für die Umwelt umsetzte, ist Amt Neuhaus (1,4 Millionen Euro). Hier liegen viele Betriebe in der Lüneburger Heide, einem der ältesten und größten Naturschutzgebiete Deutschlands.
Ungerechte Verteilung: 20 Prozent der Empfänger erhalten 60 Prozent des Geldes
Der Fall Niedersachsen zeigt, dass die Verteilung der Gelder ungerecht ist. 20 Prozent der Empfänger erhielten fast 60 Prozent der Subventionen.
Zwar bekam durchschnittlich jeder der etwa 38.000 Empfänger ungefähr 25.000 Euro, jedoch ist die Bandbreite bei den Zahlungen enorm. Die 25 Top-Empfänger erhielten Beträge zwischen 3,1 Millionen und 600.000 Euro - drei Viertel der Landwirte hingegen im Durchschnitt weniger als 9.000 Euro. Zudem zeigt die Analyse der letzten vier Jahre: Die größten Beträge gehen oft auf einmalig gezahlte Sondersubventionen zurück (zum Beispiel: Beihilfen für bestimmte Produkte wie Milch, Obst und Gemüse, aber ebenso Investitionen in Infrastruktur oder Küsten- und Hochwasserschutz).
Umweltproblem ungelöst: Nitrat im Grundwasser
Seit Jahren belastet die Landwirtschaft in Niedersachsen das Grundwasser durch Überdüngung. Auf 60 Prozent der Landesfläche überschreitet das Grundwasser die zulässigen Nitratgrenzwerte. Und die Belastung steigt vielerorts sogar noch: Zwischen 2010 und 2016 wiesen 24 Prozent der Messstellen, die die Grenzwerte bereits überschritten, einen signifikant ansteigenden Trend auf. Die niedersächsische Regierung erwägt inzwischen sogar, Nitrat-Risikogebiete auszuweisen. Noch schlimmer ist der Zustand bei Bächen und Flüssen: 98 Prozent der Fließgewässer erfüllen die europäischen Qualitätsstandards nicht. Selbst mit der Umsetzung bestehenden EU-Rechts, zum Beispiel der Wasserrahmenrichtlinie, tut sich Niedersachsen schwer.
Umweltproblem ungelöst: Massiver Artenschwund
Genauso wie weite Teile der EU hat auch Niedersachsen mit den dramatischen Auswirkungen der Agrarpolitik auf die Artenvielfalt zu kämpfen. Die Situation der Wiesenvögel ist katastrophal, wie etwa bei den Uferschnepfen. Zum Teil ist dies dem ungebrochenen Trend zu Mais-Monokulturen zuzuschreiben. In Teilen von Niedersachsen sind drei Viertel der Ackerfläche mit Mais bepflanzt, durchschnittlich steht auf einem Drittel der Flächen Mais. Hot Spots der “Vermaisung” sind die Landkreise Rotenburg (Wümme), Cuxhaven, Ammerland, Cloppenburg und Vechta mit bis zu 78 Prozent Anteil an der gesamten Ackerfläche. Durch den Maisanbau gehen wichtige Lebensräume verloren, beispielsweise für den Kiebitz.
Hinzu kommt die Umwandlung von Grünland in Ackerland und die Abnahme seiner Qualität aufgrund der stark intensivierten Bewirtschaftung. Zwischen 2001 und 2011 wurde in dramatischem Ausmaß Grünland umgebrochen, in den Landkreisen Rotenburg (Wümme) 17 Prozent der Flächen, in Cuxhaven 28 Prozent und Ammerland 31 Prozent. Dieser Trend ist glücklicherweise durch EU-Vorgaben und einen Erlass der Landesregierung gestoppt worden.
Verschlimmert wird die Situation noch dadurch, dass Niedersachsen generell viel zu wenig Geld für den Naturschutz ausgibt. Das Land ist im Vergleich zu den anderen Bundesländern Schlusslicht in der Naturschutzfinanzierung.
Agrarland Niedersachsen steht stellvertretend für alle Bundesländer
Nach Bayern ist Niedersachsen das Bundesland mit der zweitgrößten landwirtschaftlichen Fläche. 130.000 Beschäftigte arbeiten hier in über 37.000 Betrieben. Die massiven Umweltbelastungen, die wir hier sehen, sind jedoch in ganz Deutschland ein Problem.
- Nitrat: Mehr als ein Viertel aller Messstellen in Deutschland zeigte zwischen 2012 und 2014 besorgniserregende Werte. Das ist alarmierend, denn bei der Nitratbelastung im Trinkwasser geht es auch um unsere Gesundheit. Deutschland wurde zuletzt von der EU verklagt – es droht eine milliardenschwere Strafzahlung.
- Artenschwund: Der dramatische Verlust an Biodiversität ist nicht nur in Niedersachsen, sondern bundesweit ein riesiges Problem. Und dies sowohl bei Vögeln und Insekten wie auch bei Pflanzen.
- Verteilung der EU-Agrarsubventionen: Deutschlandweit werden sie nach den grundsätzlich gleichen Kriterien vergeben. Es gibt kleinere Unterschiede von Bundesland zu Bundesland, aber generell gilt: Die geringen finanziellen Mittel für Umweltmaßnahmen reichen nicht, um die hausgemachten Umweltprobleme der Landwirtschaft zu lösen.
Was muss jetzt in Niedersachsen passieren?
- Geld für Naturschutz verdoppeln: Naturschutz ist Ländersache. Bislang ist Niedersachsen bundesweit Schlusslicht bei der Naturschutzfinanzierung. Die Haushaltsmittel für den Naturschutz müssen verdoppelt werden.
- Mehr gezielter Artenschutz: Dringend notwendig ist ein Programm zum Schutz von Wiesenvögeln - in Verbindung mit dem Erhalt von Grünland.
- Tierschutzplan umsetzen: Was als “Tierschutzplan Niedersachsen” in den letzten beiden Legislaturperioden entwickelt wurde, muss endlich umgesetzt werden. Tierställe müssen tiergerechter und die Tierbestände reduziert werden.
- Gülle reduzieren: Die Menge an ausgebrachter Gülle muss drastisch sinken. Und gültige Normen und Richtlinien, wie die EU-Wasserrahmenrichtlinie, müssen dringend umgesetzt werden.
Was muss sich in Deutschland und der EU ändern?
Die aktuelle Förderpolitik der EU-Agrarpolitik verschärft die Umweltprobleme in der Landwirtschaft, statt sie zu lösen. Milliarden an Steuergeldern werden ineffizient und umweltschädlich verteilt, weil die Basisstandards und EU-Gesetze immer noch nicht richtig umgesetzt sind. Unsere Analyse für Niedersachsen zeigt dies stellvertretend für ganz Deutschland und die EU. Das muss sich jetzt ändern:
- Pauschale Flächenprämien abschaffen: Um Natur und Landwirtschaft in Einklang zu bringen, müssen die pauschalen Prämienzahlungen beendet werden. Der hohe Anteil an Direktzahlungen (60 Prozent in Niedersachsen) führt dazu, dass Landwirte ihre Anbauflächen bis auf das Maximum vergrößern. Hinzu kommt, dass es aufgrund der pauschalen Zahlung keine Anreize gibt, umweltfreundlich zu produzieren. Für die meisten Landwirte ist es deshalb sinnvoll, auf ihren Flächen möglichst hohe Erträge zu erzielen, um am Ende ein genügend hohes Einkommen zu erwirtschaften. Das Ergebnis ist eine immer stärkere Intensivierung der Landwirtschaft, in der wichtige Lebensräume verloren gehen und Insekten kaum noch Überlebenschancen haben.
- Umbau des Fördersystems, neue Anreize: Landwirte brauchen Anreize, die nachhaltiges Wirtschaften finanziell reizvoll machen. Derzeit bleibt der Umweltschutz auf der Strecke oder lohnt sich für die Betriebe schlichtweg kaum (nur sechs Prozent der Gelder gehen in Niedersachsen in den effektiven Natur- und Umweltschutz). Der nachhaltige Umbau der Landwirtschaft muss durch Investitionshilfen und konkrete Naturschutzmaßnahmen vorangetrieben werden. Nur so kann unser Grundwasser künftig geschützt und das dramatische Artensterben gestoppt werden.
- 15 Milliarden für den EU-Naturschutz: Nach Expertenschätzung sind EU-weit mindestens 15 Milliarden nötig, um die bestehenden Naturschutzrichtlinien umzusetzen. Dieses Geld kann frei werden durch eine Umschichtung der vorhandenen Gelder von den pauschalen Flächenprämien hin zur attraktiven Förderung konkreter Naturschutzmaßnahmen.
Unser Fazit angesichts der gravierenden Umweltprobleme in der Landwirtschaft: Die EU-Agrarpolitik muss grundlegend naturverträglicher werden. Das Geld steht zur Verfügung - es muss lediglich besser verteilt werden. Von diesem Kurswechsel würden am Ende alle Seiten profitieren: die Natur, die Landwirte und wir Steuerzahler.
Der EU-Agrarhaushalt ist gigantisch. 2017 waren es 58,9 Milliarden Euro Agrarsubventionen, die an die EU-Mitgliedstaaten verteilt wurden. Doch welche Länder bekommen am meisten, welches Bundesland erhält wieviel? Und wofür wird das Geld ausgegeben? Mehr →
Fast 40 Prozent des EU-Haushalts fließt in die europäische Landwirtschaft. Doch das Fördersystem der GAP ist kompliziert und bewirkt zu wenig für Umwelt und Natur. Wir haben die wichtigsten Fragen und Antworten zur GAP für Sie zusammengestellt. Mehr →