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Entscheidende Weichenstellung in der europäischen Agrarpolitik im Jahr 2020
Die intensive Landwirtschaft in Europa verursacht massive Umweltschäden – vom Vogel- und Insektensterben hin zu klimaschädlichen Emissionen und Nitratbelastung im Grundwasser. Mit der Gestaltung der Agrarpolitik hält die EU deshalb den wesentlichen Hebel zur Lösung der Arten- und Klimakrise in der Hand. Rund 174 Millionen Hektar werden in Europa landwirtschaftlich genutzt, das sind etwa 40 Prozent der Fläche. Wie auf diesen Wiesen und Feldern gearbeitet wird, ist entscheidend für das Funktionieren der Ökosysteme, die Qualität des Grundwassers und das Klima.
Reformpläne der EU-Kommission nicht akzeptabel
Seit Mai 2018 liegt ein Vorschlag der EU-Kommission auf dem Tisch, der jedoch nicht einmal ansatzweise die Chance nutzt, in der europäischen Landwirtschaft grundlegend umzusteuern.
Im Gegenteil: Laut einer Studie, die ein Forscher*innenteam aus acht Ländern in der Fachzeitschrift Science veröffentlicht hat, droht die europäische Agrarpolitik künftig noch klima- und naturschädlicher zu werden, wenn die EU ihre Pläne nicht korrigiert.
Die Zeit für Reformbemühungen wird knapp, denn 2020 läuft die aktuelle Förderperiode aus. Und es gibt bislang keine Signale der neuen Kommission unter Ursula von der Leyen, einen gänzlich neuen Entwurf vorzulegen. Das EU-Parlament ist nun gefragt, die schwache Vorlage der Juncker-Kommission zu überarbeiten. In den nächsten Monaten wird es hier zur entscheidenden Abstimmung kommen.
EU-Parlament muss die gute Vorlage des Umweltausschusses nutzen
Sowohl der Umwelt- als auch der Agrarausschuss des EU-Parlaments haben bereits über den Kommissionsentwurf verhandelt und Änderungen vorgeschlagen. Die Position des Umweltausschusses – obwohl aus unserer Sicht immer noch nicht ausreichend – ist mit Abstand die bessere. Denn sie bietet konkrete Vorschläge für eine "grünere Architektur" der zukünftigen Agrarsubventionen. Im starken Kontrast dazu stehen die Vorschläge des Agrarausschusses. Diese sind gespickt sind mit Versuchen, die ohnehin schon unzureichenden Natur- und Umweltschutzelemente der aktuellen Förderperiode weiter abzuschwächen.
Damit die europäische Landwirtschaft zur Lösung der Arten- und Klimakrise beitragen kann und endlich zukunftsfähig wird, sind aus unserer Sicht drei wichtige Schritte notwendig, die das EU-Parlament voraussichtlich im Juni 2020 beschließen muss.
Das sind unsere Forderungen für eine umwelt- und naturverträgliche Landwirtschaft in Europa
SPACE FOR NATURE: Mehr Platz für Feldhasen, Vögel und Insekten – mindestens zehn Prozent der Betriebsfläche für die Artenvielfalt.
Als Grundvoraussetzung für EU-Subventionen soll jeder Hof mindestens zehn Prozent seiner landwirtschaftlichen Fläche - zum Beispiel als Brache, Blühstreifen oder Randgehölz - aus der Produktion nehmen und für den Erhalt der Artenvielfalt freigeben. Nur auf diese Weise können wir ein Mindestmaß an ökologisch wertvollen Flächen in der Agrarlandschaft erhalten, das Vögeln, Insekten und anderen Tieren Nahrung, Rückzugsort und Brutfläche bietet.
MONEY FOR NATURE: Naturschutzleistungen von Europas Landwirt*innen belohnen – mit 15 Milliarden Euro pro Jahr.
Um die vereinbarten Artenschutzziele zu erreichen, muss die EU jedes Jahr 15 Milliarden Euro für Naturschutzmaßnahmen zur Verfügung stellen. Ziel ist es, landwirtschaftliche Betriebe für ihre Bemühungen, die Artenvielfalt zu erhalten, angemessen zu bezahlen.
Damit die Fördergelder effizient und sinnvoll eingesetzt werden, muss die EU-Kommission darauf achten, dass die EU-Agrarpolitik durch die Mitgliedsstaaten angemessen umgesetzt wird. Angemessen heißt, dass die geförderten Maßnahmen im Einklang stehen sollten mit den bereits bestehenden EU-Naturschutzrichtlinien, wie die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH) oder die Vogelschutz-Richtlinie.
Besonders wichtig sind hier die sogenannten „Prioritären Aktionsrahmen“ (PAFs): In diesen Plänen werden Agrarumweltmaßnahmen beschrieben, die von den nationalen Naturschutzbehörden für die finanzielle Bedarfsanalyse zur Umsetzung von Natura 2000 ausgearbeitet werden. Diese Maßnahmen müssen zukünftig die rechtlich verbindliche Voraussetzung für den Erhalt von Agrargeldern sein. Umwelt- und Landwirtschaftsbehörden wären so gezwungen, bei der Agrarpolitik endlich zusammenzuarbeiten. Das würde auch die Qualität der Maßnahmen verbessern.
CHANGE FOR NATURE: Umbau in der Landwirtschaft fördern – umweltschädigende Subventionen beenden.
Die pauschalen Flächenzahlungen, die 70 bis 80 Prozent der EU-Agrarsubventionen ausmachen, sind ineffizient und sozial ungerecht. Bis 2027 wollen wir aus diesen schädlichen Subventionen aussteigen. Die frei werdenden Gelder sollen für die ländliche Entwicklung und den Umbau hin zu einer nachhaltigen Landwirtschaft eingesetzt werden.
Ein zweckgebundener Fonds soll Landwirt*innen bei den notwendigen Veränderungen unterstützen, damit sie zum Beispiel:
- den Pestizid- und Düngereinsatz reduzieren,
- klimaschädliche Emissionen vermeiden,
- das Tierwohl verbessern,
- auf Ökolandbau umstellen oder
- die regionale Vermarktung verbessern können.
Zwei Ausschüsse, ein Gewinner: Positionen im Vergleich
SPACE FOR NATURE - rote Karte für den Agrarausschuss!
Der Umweltausschuss des EU-Parlaments kommt der NABU-Forderung nach zehn Prozent der landwirtschaftlichen Fläche für die Natur schon recht nahe. In seiner Vorlage forderte er sieben Prozent an nicht-produktiven Flächen und Landschaftselementen, zum Beispiel Hecken oder Blühstreifen. Ebenfalls positiv: Die Tierhaltung soll künftig an die verfügbare Fläche eines Betriebes gebunden werden. Der Tierbestand dürfte hierdurch insgesamt sinken und damit auch der Ressourcenverbrauch der Landwirtschaft. Umweltprobleme wie eine zu hohe Nitratbelastung in intensiv bewirtschafteten Regionen könnten so effektiv angegangen werden.
Der Agrarausschuss hingegen will die bestehenden Bedingungen für Direktzahlungen noch weiter schwächen, indem „im Umweltinteresse genutzte Flächen“ gar nicht mehr verpflichtend vorgesehen werden sollen.
MONEY FOR NATURE - nochmals rote Karte für den Agrarausschuss!
Der Umweltausschuss will für Naturschutzmaßnahmen in der sogenannten Zweiten Säule der Agrarförderung mindestens 40 Prozent der Mittel bereitstellen und sie mit der FFH-Richtlinie verzahnen. Eine Reihe von wichtigen Umweltmaßnahmen (Eco-Schemes) soll in die Erste Säule der Direktzahlungen verlagert werden. Mindestens 30 Prozent der Mittel sind für diese sogenannten Eco-Schemes zu reservieren. Leider ist hier nur teilweise eine Zweckbindung vorgesehen, was den Missbrauch durch die Mitgliedsstaaten möglich machen würde. Für beide Säulen ergibt sich dennoch eine deutliche Verbesserung gegenüber dem Kommissionsvorschlag.
Eine weitere Entlastung für die im Budgetvorschlag der Kommission überproportional stark gekürzte zweite Säule ist die beschlossene Verschiebung der Zahlungen an „benachteiligte Gebiete“ in die erste Säule. Da es sich hierbei um eine reine Form der Einkommensunterstützung handelt, ist dieser Schritt fachlich gut begründbar. Gleichzeitig bliebe so in der zweiten Säule mehr finanzieller Spielraum für Umwelt- und Naturschutz und andere Fördermaßnahmen für ländliche Räume.
Eher enttäuschend: Der Finanzbedarf in Höhe von 15 Milliarden Euro pro Jahr wird zwar schriftlich festgehalten, allerdings nur in der nicht bindenden Präambel der Beschlussvorlage des Umweltausschusses.
Der Agrarausschuss macht hingegen auch hier eine Rolle rückwärts: Die Grundvoraussetzungen für den Erhalt von Agrargeldern sollen noch weiter abschwächt werden. Außerdem möchten die Ausschussabgeordneten, dass nicht zweckgebundene Zahlungen für benachteiligte Gebiete automatisch als Umweltzahlungen deklariert werden, obwohl dieser Zusammenhang wissenschaftlich nicht nachweisbar ist. Für den Erhalt der Artenvielfalt soll es überdies gar keine zweckgebundenen Mittel mehr geben.
CHANGE FOR NATURE - zwei Mal rote Karte!
Der Umweltausschuss konnte sich leider nicht dazu durchringen, komplett aus den pauschalen Flächenzahlungen auszusteigen. Aber weil ein Teil der Direktzahlungen zukünftig für Naturschutzmaßnahmen vorgesehen ist, nehmen Bedeutung und Umfang der Flächenprämien zumindest ab. Eine weitergehende Unterstützung von landwirtschaftlichen Betrieben, die naturverträglich wirtschaften wollen, fehlt leider.
Auch der Agrarausschuss enttäuscht in diesem Bereich auf ganzer Linie. Mindestens 60 Prozent der Ersten Säule soll weiterhin für Direktzahlungen verwendet werden – entgegen der Empfehlungen von Wissenschaft und EU-Rechnungshof. Ebenfalls schlimm: Die Intensivierung wird mit ansteigenden produktionsgebundenen Subventionen - zum Beispiel für die Rinder- und Schweinemast - weiter zunehmen.
Fazit
Auch wenn die Vorschläge des Umweltausschusses in einigen Punkten nicht weit genug gehen, sind sie unter dem Strich ein erster wichtiger Schritt, die europäische Agrarpolitik endlich zukunftsfähig zu machen. Wir fordern das EU-Parlament auf, den ursprünglichen EU-Kommissionsvorschlag mindestens entsprechend den Beschlüssen des Umweltausschusses abzuändern – und im besten Fall durch unsere weitergehenden Forderungen zu ergänzen. Sollte sich das EU-Parlament zu diesen Schritten durchringen können, wäre das eine riesige Chance für die europäische Landwirtschaft.
Nach dem Beschluss des EU-Parlaments kommt es vermutlich Mitte nächsten Jahres zum sogenannten Trilog. In diesem Verhandlungsprozess einigen sich EU-Parlament, EU-Komission und der Rat der Agrarminister*innen auf einen finalen Vorschlag. Dieser wird dann auf den EU-Ebenen verabschiedet und muss anschließend von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden. Auf diesem langen Weg bis zur fertigen GAP-Reform könnten noch viele Punkte wieder aufgeweicht werden.
Es gibt also bis zur endgültigen Fassung noch jede Menge zu tun. Noch ist vieles offen und zum Positiven veränderbar – es bleibt zu hoffen, dass sich Europas Entscheidungsträger*innen für den richtigen Weg entscheiden. Daran arbeiten wir.
Unsere Landwirtschaftsthemen im Überblick
Die Folgen unserer hochintensiven Landwirtschaft sind ein dramatisches Insekten- und Vogelsterben, zu hohe Nitratwerte im Grundwasser und klimaschädliche Emmissionen. Der NABU setzt sich deshalb für eine naturverträgliche Landwirtschaft ein. Mehr →
Für nichts gibt die EU mehr Geld aus als für Agrarsubventionen. Die jahrelangen Verhandlungen zur EU-Agrarreform hätten eine echte Chance für mehr Artenvielfalt und Klimaschutz in der Landwirtschaft sein können. Das Ergebnis vom 28. Juni 2021 ist aber leider enttäuschend. Mehr →