Vogelschutzvortrag Lina Hähnles in Tettnang 1909

Tettnang, 20. Nov. Allen Naturfreunden ist es gewiß schon aufgefallen, daß die Zahl unserer Sing- und nützlichen Vögel im Abnehmen begriffen ist. Es ist deshalb zu verstehen und zu begrüßen, daß wir seit mehreren Jahren einen Verein in Württemberg haben, dessen Aufgabe es ist, die Vögel zu schützen: und für deren Vermehrung wieder Sorge zu tragen. Aus kleinen lokalen Anfängen heraus hat sich dieser Verein: "Bund für Vogelschutz" zu einem mächtigen Verbande von über 18 000 Mitgliedern ausgebaut; ein schönes Zeichen warmen und liebevollen Herzens für die nützliche und schöne Vogelwelt. Die Existenz der Vögel, die Ab- und Zunahme derselben wird in der Hauptsache durch die sich bietenden Lebensbedingungen, vornehmlich durch hinreichende und zusagende Nistgelegenheiten bedingt. Dort wo sich Vögel angesiedelt haben und das ganze Jahr hindurch ihren Aufenthalt nehmen, ist auch ein wichtiger Punkt des Vogelschutzes: die Winterfütterung. Ueber alles dieses und über die Bestrebungen zur Erhaltung unserer Vogelwelt wird nun die erste Vorsitzende des Bundes für Vogelschutz, Frau Kommerzienrat Hähnle aus Stuttgart kommenden Dienstag abend sprechen. (Siehe Inserat.) Entsprechende Lichtbilder werden diesen Vortrag umrahmen und ergänzen. Es wäre sehr zu wünschen, wenn diesem Entgegenkommens seitens des Bundes für Vogelschutz durch zahlreichen Besuch der Versammlung von Damen und Herren jeden Standes Rechnung getragen würde zu Gunsten unserer lieben Vögel, welche gewiß unsere allgemeine Teilnahme verdienen.

Quelle: Amtsblatt für den Oberamtsbezirk Tettnang Nr. 185 vom 21. November 1909


Tettnang, 25. Nov. Am Dienstag abend fand, wie bereits berichtet, im Gasthof zur "Krone" eine Versammlung des B u n d e s f ü r V o g e l s c h u t z statt, die außerordentlich zahlreich besucht war, namentlich auch seitens der Damen. Herr Oberamtmann Dr. B o c k s h a m m e r begrüßte die Versammlung und stellte Frau Kommerzienrat H ä h n l e aus Stuttgart, die Vorsitzende des Bundes für Vogelschutz, vor, welche zunächst ihrer Freude Ausdruck gab, auch mit der Ortsgruppe Tettnang habe in Verbindung treten zu können. Aus dem nachfolgenden Vortrag konnte man ersehen, mit wie viel Sachkenntnis und Liebe der Verminderung und dem fortwährenden Rückgang der Vogelwelt gesteuert wird. Nicht nur ihrer vielen Reize, sondern hauptsächlich ihres großen Nutzens für Gartenbau, Land- und Forstwirtschaft wegen soll der Erhaltung unserer Vögel größte Aufmerksamkeit gewidmet werden. Staatliche und städtische Behörden sind längst von der Notwendigkeit weitgehendsten Schutzes durchdrungen und auch die Reichsregierung hat mit ihrem 1908 in Kraft getretenen neuen Vogelschutzgesetz segensreich eingegriffen. Vor allem muß dem Massenfang gesteuert werden, namentlich in Italien. Es ist auch schon etwas besser geworden dank den Bestrebungen des Bundes in Verbindung mit anderen Vogelschutzvereinen. Vor allem muß passenden Nistgelegenheiten alle Sorgfalt gewidmet werden. Hier wird durch die fortschreitende Kultur viel gesündigt! Jeden Strauch, jede Hecke rottet man aus und beraubt dadurch gerade unsere lieblichsten und nützlichsten Sänger, wie Rotkehlchen, Meisen, Grasmücken und Nachtigallen ihrer natürlichen Zufluchtstätten und Nistgelegenheiten. Auch gegen den Federschmuck auf Damenhüten muß angekämpft werden, soweit es sich nicht um Federn von Straußen oder Raubvögeln handelt. Gegen die Haltung von Stubenvögeln nimmt der Bund nicht Stellung. Gegen das freie Umherschweifen von Katzen soll ganz energisch vorgegangen werden. Während man im Frühjahr für passende Niststellen sorgt, muß im Winter durch geeignete angebrachte, geschützte Futterplätze der Not unserer gefiederten Sänger gesteuert werden. Namentlich soll hiebei beachtet werden, daß Futter regelmäßig verabreicht wird. Es ist also hier ein weites, dankbares Feld, auf dem sich jedes segensreich betätigen kann. Der Bund für Vogelschutz, der im Jahre 1899 gegründet wurde und bereits heute schon über 18 000 Mitglieder aus allen Kreisen zählt, will hier tatkräftig eingreifen und durch Belehrung, Abgabe billiger Nistkästchen, Futterhäuschen und geeigneten Futters systematisch vorgehen zum Nutzen der Vogelwelt und zur Freude der Menschen. Reicher Beifall lohnte die Dame für ihre beherzigenswerten Wort. - In verschiedenen Lichtbildern nach photographischen Aufnahmen wurde noch das possierliche Treiben einer Rotkehlchenfamilie gezeigt und an einer großen Anzahl verschiedenartigster Niststellen und Futterhäuschen konnte man deren Einfachheit und Zweckmäßigkeit studieren. Die zum Verkauf mitgebrachten Erzeugnisse der Bundeswerkstätte fanden guten Absatz. Für den Bezug derselben ist eine Niederlage bei der Firma A. Horn hier errichtet. - Daß die interessanten Ausführungen von Frau Kommerzienrat Hähnle auch hier volles Verständnis gefunden, zeigte die Einzeichnung von 25 neuen Mitgliedern. Möchten noch recht viele sich dem Bund für Vogelschutz anschließen. Die niedrige Jahresbeitrag von 50 Pfg. ermöglicht es ja jedem, für seinen Teil mitzuhelfen an der Erhaltung unserer lieblichen Vogelwelt.

Quelle: Amtsblatt für den Oberamtsbezirk Tettnang Nr. 188 vom 27. November 1909


zurück zur Übersichtsseite "Original-Quellen zur NABU-Geschichte"...