NABU historisch: "Schutz den Singvögeln" 1899


Schutz den Singvögeln.

Welche Freude und wie manches Vergnügen gewährt gegenwärtig für alt und jung das stets fröhliche Wesen und der liebliche Gesang unserer Singvögel. Zum Leidwesen aller Vogelfreunde und zum Schaden der Landwirtschaft gehen dieselben aber von Jahr zu Jahr an Zahl immer mehr zurück. Ja, es ist durchaus keine Übertreibung, zu sagen, dieselben haben sich seit einigen Jahrzehnten zur Hälfte vermindert, so daß, wenn es so weiter geht, die zeit nicht mehr in so großer Ferne sein wird, wo viele Arten derselben ganz ausgestorben und die andern höchst selten sein werden.

Auch heuer wieder muß man die Wahrnehmung machen, daß unsere Zugvögel in sehr stark verminderter Anzahl vom Süden zurückgekehrt sind. Es müssen wieder sehr viele der armen Tiere den Schlingen und Netzen der Südeuropäer zum Opfer gefallen sein, so daß die unglaublich klingende Zeitungsnotiz, daß drei lombardische Bauern vorigen Herbst in drei Nächten über vierzigtausend Vögel eingefangen, leider nur zu wahr sein scheint. Wann mögen wohl dort einmal wirksame Vogelschutzmaßregeln getroffen werden? Wohl dann, wenn keine Vögel mehr zu sehen sein werden!

Es sollte deshalb hier zu Lande den bedrängten Lieblingen die menschenmöglichste Hilfe und Schutz gewährt werden. Dieses ist um so dringender geboten, da in neuerer Zeit unserer heimischen Vogelwelt im Modeputz ein neuer grimmiger Feind entstanden, der im Zeitraum von wenigen Jahrzehnten mit dem ungeheuren Vogelreichtum der Tropenländer fast ganz aufgeräumt hat und da hier bei uns gerade die allernützlichsten Arten derselben, die Schwalbe, die nebenbei bemerkt, in auffallend geringer Anzahl vom Süden zurückkehrt, der Stieglitz, Grasmücken u. s. w. in Betracht kommen.

Es geschieht hierin leider auch bei uns viel zu wenig. Der Landmann weiß seine Freunde und nützlichen Gehilfen zu wenig zu schätzen, sonst würden auf freiem Felde nicht alle Hecken und Schlupfwinkel derselben entfernt werden, selbst von Stellen, denen solche nur zur Zierde gereichen können. So ist das Vögelein daselbst jeden Zufluchtsorts beraubt und mangelt es an passenden Nistplätzen.

Auf das freie Herumlaufen der Katzen zur Brutzeit der Vögel sollte viel schärfer gesehen werden; die Eltern und Lehrer sollten den Kindern Liebe zur Vogelwelt einpflanzen, das Zerstören ihrer Nester bei denselben strenge bestrafen und den Knaben Anregung zur Befestigung von Nistkästchen an Bäumen u. s. w. gegeben werden. Jede Dame, die sich nicht schämt, zur Pflege ihrer Eitelkeit eine Vogelleiche auf dem Hut herumzutragen, sollte gesetzlich gleich dem gehalten werden, der am Einfangen eines Vögeleins ertappt wird.
Auch der Ausrottung der weniger nützlichen Vögel, des Sperlings u. s. w. sollte entgegengetreten werden, insbesondere dem unbefugten Erschießen derselben zum Vergnügen und Zeitvertreib, wie dies mancherorts sogar innerhalb Ortseiters üblich ist, sollte ein Ziel gesetzt werden. Es läßt sich allerdings nicht leugnen, daß dieselben zu gewisser Jahreszeit etwas Schaden anrichten, hingegen steht aber der Nutzen, den auch sie durch Vertilgung schädlicher Insekten und Aas das ganze Jahr über stiften, in gar keinem Vergleich. Wie manche Freude gewähren auch sie, wenn im Winter alles abgestorben und fast alle anderen Vögel fortgezogen, durch Belebung der freien Natur. Auch die Geschichte thut es zur Genüge dar, daß man mit gänzlicher Ausrottung derselben schon schlimme Erfahrungen gemacht hat. Was das schlimmste bei der grausamen Liebhaberei ist, es fallen derselben auch viele der nützlicheren Vögel zum Opfer, da vielfach jedes zu Gesicht kommende Vögelein als Spatz aufs Korn genommen wird.

Quelle: Zaber-Bote vom 1. Juni 1899


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